| # taz.de -- Verantwortung des Globalen Nordens: Unser brutaler Egalismus | |
| > Die G7-Staaten stehen für die Aufrechterhaltung einer Dekadenz, die sich | |
| > als legitimer Wohlstandsanspruch tarnt. | |
| Bild: Keine Angst, die wollen doch nur konferieren, aber ganz sicher nichts än… | |
| Die Staaten der „großen Sieben“, sind Ursache essentieller | |
| Problemstellungen auf dem Planeten. Sie sind für einen Großteil der | |
| aktuellen und den Großteil der historischen Treibhausgasemissionen | |
| verantwortlich. Sie und gewalttätige Konzerne sind die historischen | |
| Hauptakteure der ökologischen Zerstörung im globalen Maßstab. Sie sind die | |
| Urhebenden und Nutznießenden rassistischer, patriarchaler Unterdrückung, | |
| kolonialer Ausbeutung und kultureller Zerstörungen, die bis heute andauern. | |
| Ihre Aufgabe ist die Aufrechterhaltung der kapitalistischen | |
| Gesellschaftsform und dies setzt voraus, dass diese Strukturen weiter | |
| existieren. Schließlich ist es der kapitalistischen Ideologie immanent, ein | |
| Außen zu definieren und dieses auszubeuten. | |
| Die aktuelle Zusammenkunft dieser historischen Täterstaaten in Elmau | |
| gleicht einem Treffen von weißen alten Männern, die über | |
| Geschlechtergerechtigkeit, Abschaffung von Ungerechtigkeit und das Ende | |
| kapitalistischer Selbstzerstörung verhandeln wollen. | |
| Die wohl größte Bremse, wenn es darum geht, globale Problemstellungen zu | |
| bewältigen, sind jene, die für die Lösungsfindung Abstriche bei sich selbst | |
| machen müssen. Dazu kommt, dass die Regierenden der G7 sich per Wahl dazu | |
| verpflichtet haben, das Wohl der Gesellschaft stets im Sinne zu haben. | |
| Wenn auch zu unterstellen ist, dass mit dem „Wohl der Gesellschaft“ | |
| mehrheitlich die Befriedigung von Konzerninteressen und die Wegbereitung | |
| weiteren Wirtschaftswachstums gemeint ist, zählt dies dennoch als Prämisse. | |
| So wird es niemals möglich sein, dass diese „Großen“, deren Existenz auf | |
| dem Leid Anderer beruht, antreten, um zerstörerische Verhältnisse | |
| aufzulösen. | |
| Die [1][G7], abgeschottet in einem riesigen Schloss, als ein separates | |
| Klassentreffen der coolsten Rich-Kids, werden nie dazu imstande sein, die | |
| klimatischen, ökologischen und sozialen Katastrophen der Weltgemeinschaft | |
| zu lösen. | |
| Wofür sie antreten, mögen sie sich auch anders darstellen, ist die | |
| Aufrechterhaltung der Dekadenz, getarnt als legitime Wohlstandsansprüche | |
| und durchgesetzt mittels eines bedingungslosen Egalismus. | |
| Die Absurdität der Verzichtsdebatte | |
| Während naturbedingte Katastrophen mittlerweile auch in Regionen des | |
| Globalen Nordens über die Menschen hereinbrechen, verbleiben öffentliche | |
| Diskurse im gewohnten Tenor. Die mediale Öffentlichkeit ist voll von | |
| ahistorischen Verzichtsdebatten. Sie skizzieren Situationen, in denen es | |
| einzig darum geht, etwas aus dem eigenen Besitz abzugeben und dafür nichts | |
| oder nur wenig zurückzubekommen. Doch das ist falsch. | |
| Der Wohlstand in Deutschland ist erbaut aus geraubten Ressourcen. | |
| Gesellschaften in Regionen des Globalen Südens wurden und werden Ressourcen | |
| geraubt, um im eigenen Land davon zu profitieren. Was bleibt, sind | |
| zerstörte [2][Ökosysteme] und Naturkatastrophen. Leid, Armut, Krankheit und | |
| Tod sind für viele der Bessergestellten in Deutschland vernachlässigbare | |
| Nebenprodukte. | |
| Doch es ist kein Verzicht, die Maschinerie der Zerstörung zu stoppen. Wenn | |
| es also darum geht, auf individueller Ebene oder auf wirtschaftlicher Ebene | |
| Veränderungen vorzunehmen, dann ist die Debatte des Verzichts nicht nur | |
| historisch, sondern auch moralisch fehlgeleitet. | |
| Indem Menschen langsamer fahren, in einer Stadt ohne eigenes [3][Auto] | |
| leben, in Urlaub nicht mit dem Flugzeug fliegen, oder indem sinnlose | |
| Produktionsketten abgestellt, öffentliche Infrastruktur vergesellschaftet | |
| oder Konzerne zur Rechenschaft gezogen werden, ist dies kein Verzicht. Es | |
| ist der Beginn einer Reparation, die unverzichtbar für das Fortbestehen | |
| menschlicher Zivilisationen ist. | |
| Vom ersten Tag an des seit über 500 Jahren andauernden westlichen | |
| Kolonialismus ist es überfällig, das zurückzugeben, was den Gesellschaften, | |
| Staaten und Konzernen des Globalen Nordens nie gehört hat. | |
| Dies trifft aktuell ganz besonders auf das stark beschleunigte und von | |
| Völlerei geprägte Leben der Ober- und Mittelschicht in Deutschland zu. Was | |
| viele Menschen in Ländern des Globalen Nordens führen, ist ein Leben auf | |
| Pump: Gegenüber zukünftigen Generationen, ganz besonders aber gegenüber | |
| Menschen in Regionen des Globalen Südens. | |
| Vieles lässt sich mittlerweile nicht mehr zurückzahlen, da es | |
| unwiederbringlich verloren ist. Ein Grund mehr, alles dafür zu tun, die | |
| noch verblieben Lebensgrundlagen auf dem Planeten zu erhalten. Statt des | |
| Redens über Verzicht braucht es eine historisch begründete | |
| Gerechtigkeitsdebatte. Statt etwas abzugeben, geht es darum, etwas | |
| zurückzugeben. Etwas, das uns nie gehört hat. | |
| ## Tagtäglich gelebte Selbstzerstörung | |
| Die deutsche Verzichtsdebatte ist so sehr von Dekadenz geprägt, dass | |
| Appelle an die Vernunft im Gepolter von Produktion und Konsum klanglos | |
| untergehen. | |
| Eine große Mehrheit ist nicht fähig, daraus auszubrechen. Und so wird die | |
| bittere Realität, in der es für viele Millionen Menschen um Leben und Tod | |
| geht, von Debatten um angemessene Fahrtgeschwindigkeit, Hubraumgröße oder | |
| die Pünktlichkeit der Deutschen Bahn überlagert. | |
| Diese tagtäglich gelebte Selbstzerstörung fußt auf einem Fundament, das | |
| weit über den je eigenen Egoismus hinausgeht. Dieser Egoismus beruht auf | |
| der fixen Idee, zu wenig abzubekommen. Doch der Egalismus, der uns nicht | |
| erkennen lässt, wie absurd die Debatten sind, die wir führen, während | |
| Menschen in Kriegen getötet werden und vor nie dagewesenen | |
| Naturkatastrophen in die Knie gehen, ist etwas ganz anderes. | |
| Dieser Egalismus unterminiert unseren Selbsterhaltungstrieb – von den G7 | |
| bis auf die individuelle Ebene. Die G7 sind das Sinnbild für das Versagen | |
| der Moral. Sie verteidigen eine Moderne, die so blutig ist, dass es | |
| sprachlos macht, sofern man bereit ist, sich auf die historische Realität | |
| einzulassen. | |
| Am Horizont ziehen große Schatten auf und bald wird kein menschengebauter | |
| Scheinwerfer diese mehr verschwinden lassen können. Die Egalität ist der | |
| westliche Lebensentwurf des 21. Jahrhunderts. Seine Zukunfts-Affinität geht | |
| gegen Null. | |
| 28 Jun 2022 | |
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| Tino Pfaff | |
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