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# taz.de -- Forderungen nach längeren Arbeitszeiten: Krisenmanagement für das…
> „You’ll never walk alone“, verspricht Bundeskanzler Olaf Scholz. Er
> verschleiert, dass in Deutschland ein knallharter Klassenkampf von oben
> tobt.
Bild: „You’ll never walk alone“: Singende Fans des FC Liverpool
Das Land steuert auf eine soziale Vollkatastrophe zu, und was sagt der
Bundeskanzler dazu? „You’ll never walk alone.“ Fußballfans bekommen
Gänsehaut, wenn Zehntausende im Anfield-Stadion diesen Satz singen und
damit ihr „Wir“ als Liverpool-Fans konstituieren.
Wenn er [1][aus dem Mund von Olaf Scholz kommt], wirkt er hilflos. Und wenn
dessen liberale Koalitionäre die Kanzlerversprechen im Schuldenbremsenwahn
öffentlich unterlaufen, wird es so peinlich, dass man auch davon Gänsehaut
kriegt.
„You’ll ever work alone“ wäre ohnehin ehrlicher. „Wollen wir Menschen …
lieber wieder mehr verdienen lassen, [2][indem wir etwas länger
arbeiten?]“, fragt der Ex-SPD-Außenminister und durch [3][diverse
Aufsichtsratsposten] eng mit der Wirtschaft verbandelte Sigmar Gabriel
rhetorisch in der BamS, wo man solche rhetorische Fragen eben stellt.
Wenn wir „unseren Wohlstand“ erhalten wollten, kämen jetzt zehn Jahre auf
uns zu, in denen es „anstrengender“ würde als in den letzten. „Kleinteil…
Sozialprogramme“ seien da keine „nachhaltige Antwort“.
## Nicht vom „Wir“ benebeln lassen
Auch wenn sich nicht erschließt, warum hier ausgerechnet Gabriel befragt
wird, reiht sich seine Wortmeldung in aktuelle Krisenlösungsvorschläge
deutscher Kapitalinteressenvertreter ein, etwa jene von Finanzminister
Christian Lindner („Wir sind in einer fragilen Lage. Was wir jetzt brauchen
sind (…) [4][mehr Überstunden, um unseren Wohlstand zu sichern]“) oder
Industrieverbandspräsident Siegfried Russwurm („optionale Erhöhung der
Wochenarbeitszeit“, [5][„42-Stunden-Woche“]) oder Arbeitgeberpräsident
Rainer Dulger ([6][„Dynamisierung des Renteneintrittsalters]“).
Es ist kein Zufall, dass fast alle ihre Appelle mit einem „Wir“
formulieren. Die Ansprache verschleiert, dass diejenigen, die angesichts
der Krise mehr Arbeit einfordern, für ihren Wohlstand, den sie als
Wohlstand aller ausgeben, nie selbst gearbeitet haben. Dass dieser
Wohlstand schon immer von jenen erarbeitet wurde, von denen die Profiteure
sich jetzt auch noch mehr Überstunden, eine längere Arbeitswoche und eine
spätere Rente wünschen.
Gleichzeitig sind die Wohlhabenden und ihre Repräsentanten jene, die
weitere Sozialpakete und höhere Steuern blockieren, mit denen tatsächlich
Krisenfolgen für die Allgemeinheit abgefedert werden könnten.
Das ist wie wenn zwei Freunde regelmäßig essen gehen und derjenige, der
fast nichts vom Essen abbekommt, jedes Mal die Rechnung bezahlt. Und wenn
die Preise im Restaurant steigen, fordert der, der nie bezahlt, den, der
immer bezahlt, auch noch auf, mehr zu arbeiten.
„Walk on. With hope in your heart. And you’ll never walk alone“, heißt es
im Song von Richard Rodgers und Oscar Hammerstein II. Wenn Scholz es
zitiert, verschleiert auch er, dass in Deutschland gerade ein knallharter
Klassenkampf von oben tobt. Wer sich von der Hoffnung auf ein „Wir“
benebeln lässt, der wird diesen Kampf ganz sicher verlieren.
28 Jul 2022
## LINKS
[1] /-Nachrichten-im-Ukrainekrieg-/!5869613
[2] https://www.spiegel.de/politik/deutschland/spd-sigmar-gabriel-spricht-sich-…
[3] /Sigmar-Gabriel-fuer-laengere-Arbeitszeit/!5867142
[4] https://twitter.com/c_lindner/status/1540253826766323712
[5] /Moegliche-Massnahme-fuer-Rentenausgleich/!5859665
[6] https://www.augsburger-allgemeine.de/politik/gesellschaft-arbeitgeberpraesi…
## AUTOREN
Volkan Ağar
## TAGS
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