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# taz.de -- Energiekrise in Deutschland: Es gibt keinen Ausstieg mehr
> Die Griechen werben um deutsche Heizflüchtlinge für den Winter. Aber die
> Klima- und Gaskrise verlangen neue Antworten auf alte Aussteigerträume.
Bild: Ob Griechenland wirklich so eine gute Idee ist? Februar 2021 bedeckte dor…
Berlin taz | Der griechische Tourismusminister hat ein großes Herz für die
Deutschen. Vergessen ist der Streit über die Schuldenkrise der Griechen,
über EU-Rettungsschirme und Spardiktate. Vergessen ist die Arroganz der
Deutschen, die sich gegenüber den Griechen aufspielten, als könnten nur
sie, die Deutschen, wirklich rechnen. Jetzt [1][droht hierzulande die
Gaskrise], die Heizkrise. Heizflüchtlinge aus Deutschland könnten im Winter
in den Süden ziehen, nachdem sie ihre turmhohe Gasrechnung verbrannt haben
als letztes Freudenfeuer.
„Wir werden hier auf Sie warten“, verkündete Minister Vasilis Kikilias in
der Bild-Zeitung, „für Herbst und Winter wäre es für uns Griechen eine
große Freude, deutsche Rentner zu begrüßen, die einen ‚mediterranen Winter…
mit griechischer Gastfreundschaft, mildem Wetter und hochwertigen
Dienstleistungen erleben möchten.“
Ähnlich lockt der Bürgermeister der Hafenstadt Chania auf der Insel Kreta,
Panagiotis Simandirakis, wobei er sich nicht nur an die Rentner wendet.
„Wir laden jeden Deutschen ein, der in diesem Winter zu uns kommen möchte,
um hier zu leben – fern der Krisen“, sagte er. Kreta sei sehr geeignet, „…
jeden Krisenwinter zu überstehen“. Hier brauche es keine Heizung im Haus.
Kein Deutscher werde in Griechenland frieren müssen, beteuert der
Bürgermeister.
## Profitieren von niedrigen Preisen
Der Süden. Da werden alte Aussteigerträume wach. Die Verheißung, dass
verlässlicher Sonnenschein und die fröhliche Gastfreundschaft der
Südländer:innen den Kummer der Deutschen mit ihrer
Leistungsgesellschaft einfach hinwegfegen könnten wie ein warmer
Sommerwind. Eine Verheißung, die schon vor 50 Jahren junge Menschen in
Wallekleidern und Cowboystiefeln in Hippie-Enklaven nach Kreta oder
Ibiza zog.
Dort träumte man davon, nie wieder zurückkehren zu müssen ins kalte,
materialistische Deutschland, zählte nervös die immer weniger werdenden
Reiseschecks und war beim Trinkgeld gegenüber der einheimischen
Gastronomie nicht eben großzügig.
Mutige wagten sich noch viel weiter weg in südliche Gefilde und siedelten
zwischenzeitlich nach Indien um, zuerst nach Goa, dann nach Poona. Man
profitierte enorm von den niedrigen Preisen und gab sich der Idee hin, dass
Menschen in armen Ländern aus irgendwelchen Gründen in höheren spirituellen
Sphären schwebten.
Die einheimische Bevölkerung empfand die Hippies als eher faul und geizig,
wie sich später herausstellte. Der sagenumwobene „Florida-Rolf“, der seine
deutsche Sozialhilfe im sonnigen Süden der USA sinnvoll ausgab,
beschäftigte mit seiner Version des Aussteigertums dann sogar die Gerichte.
## Die Gegenwart aushalten und verändern
Heute wirkt der Glauben an Glück durch Dauersonne antiquiert, wie ein
verblichener Sonnenhut. Schließlich suchen wir Glück und Frieden für das
ganze Jahr in unseren Aussteigerträumen, nicht nur für den Winter. Kreta!
Im Juli bis zu 40 Grad im Schatten, gefühlt 44 Grad, sagt der
Wetterbericht. In Spanien ist es nicht besser. Und jetzt kriegen wir
[2][diese Temperaturen auch in Deutschland. Klimawandel].
Im Sommer also auf nach Island. Dort herrschen im Juli verlässliche 15
Grad. Die Nordländer sind eine gute Wahl für den Hitzeflüchtling. Der
Regisseur Ingmar Bergman, wohnhaft auf der Insel Farö, sagte einmal, er
könne nur dort leben, wo er heute noch nicht wisse, wie das Wetter morgen
werde und genauso sei es in Schweden. Die Sonne als Überraschung, als
Rarität, was für ein Luxus. Die Traveller-Regel: Je nördlicher, desto
teurer, erscheint angesichts der Klimakrise in neuem Licht.
Die Kreter also sollten mal auf dem Teppich bleiben mit ihren
Lockangeboten. Die Heizkrisen-Flüchtende aus Deutschland erwartet in Chania
im Dezember 17 Grad und viel Regen, sagt der Wetterbericht. Auf der Insel
gibt es nicht das Problem der hohen Heizkosten, weil es gar keine Heizungen
gibt, harrharr.
Eine Schlafstatt im Hostel in Chania kostet laut Internet 20 Euro pro Nacht
im Mehrbettzimmer, das macht 600 Euro im Monat und da ist noch kein Essen
drin und kein Flug und nix. Da spart man kaum was gegenüber einer um einige
Hundert Euro teureren Gasrechnung. Die Wahrheit lautet: Es gibt keinen
Ausstieg mehr, weder in den Süden noch in den Norden. Wir müssen die
Gegenwart aushalten und verändern. Denn anderswo ist es nicht wirklich
besser.
15 Jul 2022
## LINKS
[1] /Gaskrise-und-soziale-Verwerfungen/!5864002
[2] /Generationenkonflikt-in-der-Klimadebatte/!5862583
## AUTOREN
Barbara Dribbusch
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