| # taz.de -- Streit um Habersaathstraße: Das ist ihr Haus | |
| > Die rund 60 Obdachlosen aus der Habersaathstraße wehren sich gegen die | |
| > drohende Räumung. Mittes Bürgermeister gerät zunehmend unter Druck. | |
| Bild: Seit ihrer ersten Besetzung im Herbst 2020 gibt es immer wieder Streit um… | |
| Berlin taz | Im Kiezbüro in der Habersaathstraße ist es trotz der hohen | |
| Außentemperaturen angenehm kühl. Auf Tischen stapeln sich Flyer und Poster, | |
| die auf kommende Aktionen gegen den drohenden Rausschmiss der rund 60 | |
| ehemaligen Obdachlosen aufmerksam machen. Einer von ihnen ist Sven. Der | |
| 52-Jährige sitzt auf einem bequemen Sessel und zieht energisch an seiner | |
| Zigarette. „Eins vorweg: Wir ziehen hier nicht aus. Eher besetzen wir das | |
| Haus“, sagt er. „Wir lassen uns doch von Herrn von Dassel nicht für dumm | |
| verkaufen.“ | |
| Die ehemaligen Obdachlosen sind nicht gut zu sprechen auf Mittes | |
| Bezirksbürgermeister Stephan von Dassel. Vor zwei Wochen hat der | |
| Grünen-Politiker ihnen einen Brief geschrieben, dass sie ihr neues Zuhause | |
| voraussichtlich Ende nächster Woche verlassen müssen. „Ich befürchte, dass | |
| die Eigentümer Ihren Aufenthalt nicht über den 30. Juni hinaus billigen | |
| werden“, heißt es darin. | |
| Der Bezirk, der nach einer [1][Besetzung des jahrelang leerstehenden | |
| Gebäudes vor einem halben Jahr] eine Zwischennutzung mit dem Eigentümer | |
| ausgehandelt hatte, [2][sieht sich gegen dessen Auszugsforderung machtlos]. | |
| Eine Vereinbarung mit der Arcadia Estates GmbH sei bislang nicht zustande | |
| gekommen und man könne nicht einfach über die Wohnungen verfügen, teilt der | |
| Bezirksbürgermeister bedauernd mit. Der Vertrag mit dem Sozialträger „Neue | |
| Chance“, der im Erdgeschoss einen Anlaufpunkt für die Obdachlosen | |
| eingerichtet hat, sei daher zu Ende des Monats gekündigt worden. | |
| „Uns wurde gesagt, dass wir bis zum Abriss bleiben können“, empört sich | |
| Sven. Er war einer der Ersten, die in das ehemalige Schwesternwohnheim der | |
| Charité mit seinen knapp 120 Wohnungen eingezogen waren. Ohne seine Wohnung | |
| in der Habersaathstraße würde er, wie viele andere auch, wieder auf der | |
| Straße landen, sagt Sven. Eine Massenunterkunft komme für ihn nicht | |
| infrage, dort fühle er sich nicht sicher. | |
| ## Abriss laut Bezirk nicht zu verhindern | |
| Dem Bezirk sei bewusst, wie „verstörend und frustrierend“ die Situation | |
| sei, schreibt der Bürgermeister in seinem Brief an die Bewohner*innen. Man | |
| tue alles dafür, dass die ehemaligen Obdachlosen bleiben können, ihren | |
| Verbleib bis zu einem Abriss des Gebäudes könne man aus rechtlichen Gründen | |
| jedoch nicht an eine Vereinbarung mit dem Eigentümer knüpfen. | |
| Seit Jahren will die Arcadia Estates das Haus abreißen lassen, um dort neu | |
| und teuer zu bauen. Nach dem Zweckentfremdungsverbotsgesetz müsste sie bei | |
| einem Abriss eigentlich Ersatzwohnraum zu maximal 7,92 Euro netto kalt pro | |
| Quadratmeter schaffen. Da sie das nicht zusagen will, verweigert der Bezirk | |
| bislang die Genehmigung für den Abriss. Den laufenden Rechtsstreit darüber | |
| befürchtet der Bezirk jedoch offenbar zu verlieren. Man sehe „keine | |
| Möglichkeit, den Abriss des Gebäudes zu verhindern“, und werde aller | |
| Voraussicht nach in Kürze eine Abrissgenehmigung erteilen müssen, so von | |
| Dassel. | |
| Der Bezirk will daher einen Deal mit der Arcadia abschließen: | |
| Abrissgenehmigung gegen die Zusage, dass danach 30 Prozent der Wohnungen zu | |
| „bezahlbaren“ Mieten vermietet werden: 9,15 Euro veranschlagt der Bezirk | |
| als „bezahlbar“. Das Bezirksamt soll ein Vorschlagsrecht für diese | |
| Mieter*innen bekommen und verspricht den Obdachlosen, wieder einziehen | |
| zu können. Die verbliebenen 12 Altmieter*innen in dem Gebäude haben die | |
| Wahl: Entweder sie erhalten eine Abfindung über 1.000 Euro pro Quadratmeter | |
| oder sie ziehen nach Fertigstellung des Neubaus in eine gleichartige | |
| Wohnung zu denselben Mietkonditionen wie zuvor – jedoch nur für 10 Jahre. | |
| ## Kritik an geplantem Deal mit Eigentümer | |
| „Das ist ein gesetzeswidriger Kompromiss, den wir nicht hinnehmen werden“, | |
| schimpft Daniel Diekmann. Der 54-Jährige ist Vorsitzender des Mieterrats | |
| und kämpft seit 15 Jahren gegen die Vernachlässigung und den Leerstand des | |
| Plattenbaus. Schon einmal seien ihm 30.000 Euro für seinen Auszug geboten | |
| worden. Diese habe er ebenso abgelehnt wie das neue Angebot. | |
| „Das ist eine Mogelpackung“, sagt der auch der stellvertretende | |
| Geschäftsführer des Berliner Mietervereins, Sebastian Bartels, zur taz. Die | |
| Abfindung sei angesichts der hohen Mietpreise zu niedrig, die | |
| 10-Jahres-Garantie zu kurz und die 30 Prozent günstige Wohnungen zu wenig. | |
| „Der Bezirk hat schlecht verhandelt“, findet Barthels. In seinen Augen | |
| müsste der Anteil mietpreisgebundener Wohnungen bei mindestens zwei | |
| Dritteln liegen, um einen Abriss überhaupt in Betracht zu ziehen. | |
| Den hält der Mieterverein ohnehin für ein „ökologische Katastrophe“. | |
| Schließlich wurde das Gebäude aus den 1980er Jahren erst 2008 mit einer | |
| Wärmedämmung, neuen Fenstern und einer Photovoltaikanlage ausgestattet. | |
| ## Senat hat sich eingeschaltet | |
| Mittlerweile wird der Druck auf den Bezirksbürgermeister immer größer. „Die | |
| Duldung der Obdachlosen muss auf jeden Fall verlängert werden“, fordert der | |
| mietenpolitische Sprecher der Linken, Niklas Schenker. Immerhin sei die | |
| Habersaathstraße „ein Modellprojekt in Sachen [3][Housing First]“. Eine | |
| Vereinbarung mit dem Eigentümer müsse daher an den Verbleib der | |
| Bewohner*innen geknüpft werden. | |
| Der Bezirk sei auch nicht so machtlos, wie er sich gebe. Verliere er das | |
| Verfahren vor dem Verwaltungsgericht, gehe der Rechtsstreit in die nächste | |
| Instanz. Und selbst mit Abrissgenehmigung müsse der Eigentümer die | |
| Mieter*innen erst einmal rausklagen. Das alles könne Jahre dauern: | |
| Jahre, in denen die Obdachlosen nicht auf der Straße leben müssen. | |
| Nun hat sich auch der Senat eingeschaltet. In einem Brief an den | |
| Geschäftsführer von Arcadia Estates, Andreas Pichotta, bittet | |
| Sozialsenatorin Katja Kipping (Linke) darum, den Bewohner*innen „eine | |
| langfristig abgesicherte Perspektive in der Habersaathstraße“ zu geben. | |
| ## Rekommunalisierung gefordert | |
| Die Initiative „Leerstand Hab ich Saath“ fordert, dass der Senat das | |
| Gebäude, das er 2006 für gerade einmal 2 Millionen Euro verkauft und das | |
| die Arcadia 2017 für 10 Millionen Euro erworben hat, rekommunalisiert. „Um | |
| [4][Obdachlosigkeit wie geplant bis 2030 abzuschaffen], braucht es mehr | |
| Projekte wie unseres, nicht weniger“, sagt Sprecherin Valentina Hauser im | |
| Gespräch mit der taz. Eine Nachbarin läuft vorbei und erkundigt sich, ob es | |
| schon einen Räumungstermin gibt. „Wir sind auf jeden Fall solidarisch“, | |
| sagt die junge Frau und geht weiter. | |
| Der Rückhalt durch Nachbar*innen und Initiativen sei groß, sagt | |
| Valentina Hauser. Jetzt gelte es, Druck zu machen, um die Räumung der | |
| Obdachlosen und den Abriss ihres neuen Zuhauses noch zu verhindern. | |
| Unterstützung bekommen die Bewohner*innen dabei von der | |
| Künstler*innen-Gruppe Lauratibor-Protestoper, die an diesem Sonntag das | |
| Berliner Drama von Verdrängung und Ausverkauf vor ihrem Haus aufführt. | |
| 23 Jun 2022 | |
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| ## AUTOREN | |
| Marie Frank | |
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