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# taz.de -- Aufführung in Berlin-Kreuzberg: Singen gegen Gentrifzierung
> Die Protestoper Lauratibor geht diesen Sommer in die zweite Runde. Dabei
> verschwimmen die Grenzen zwischen Kunst und Demo.
Bild: Der Chor in der Berliner Ratiborstraße
Die Held:innen haben gar nichts mehr als ihre Mieten und nichts mehr zu
verlieren als ihre Angst“, hallt es durch die Hitze Lauratibors, eines
[1][heiß umkämpften Gebiets zwischen Ratiborstraße und Lausitzer Straße in
Kreuzberg]. „Überall im Kiez kämpfen Mieter:innen um ihre Wohnungen,
Arbeits- und Freiräume.“ So steht es auch im Opernlibretto, aber das
benutzen die meisten hier eher zum Luftzufächern, während sie den epischen
Arien der Mietunterdrückten lauschen. Es hat über 35 Grad an diesem
Samstagnachmittag. Die Spätis in der Reichenberger Straße kommen gar nicht
hinterher mit der Nachfrage an kaltem Bier und Eis am Stiel.
Der erste Akt ist vorbei, der Chor verwandelt sich in einen Demozug. Junge
und alte links-alternative Menschen, Punks und Kreuzberger Familien mit
Kindern, sie alle ziehen weiter die Reichenberger Straße entlang. Sind wir
noch im Stück? Oder ist das schon echter Protest?
Die Bullen sind jedenfalls auch da, bleiben bis auf ein paar vielsagende
Blicke, die sie wechseln, als es um die [2][Räumung der „Meuterei“] geht,
gelassen. An der legendären linke Kollektivkneipe kommen wir nämlich auch
vorbei. Seit über einem Jahr steht sie leer. Die Fenster zugenagelt. „Das
Huhn ist tot, es lebe das Huhn!“ Die Hühner stehen für die Kneipe, wird mir
erklärt, denn die hatten mal ein „Feierabendlied mit Huhn“. Heute stimmen
sie ein Klagelied an. Mit vollen Getränkekästen schlagen sie den Takt auf
dem Boden.
Drei Touris in bunten Sommerhemden bleiben stehen: „Entschuldigung, worum
geht es hier eigentlich?“ „Das ist eine Oper und gleichzeitig Protest“,
sage ich. „Eine Art Protestoper sozusagen.“ Sie nicken irritiert. „Und
wohin lauft ihr?“ „Zum nächsten Akt.“ Die Investoren sind am Gewinnen. D…
Senat – stellt sich heraus – ist auch keine Hilfe. Ende des zweiten Akts.
„Bis gleich!“, heißt es und: „Wir sehen uns wie immer auf der Straße.“
Schon wieder zieht die Demo weiter, mitsamt Musikinstrumentenwagen,
Zuschauer:innen, Kiezchor und dem Dirigenten.
Im dritten Akt nimmt das Drama seinen Lauf: Tibor, einer der beiden
Held:innen, stirbt. Das Publikum darf klagen, schreien, schweigen.
Schwarzgekleidete „Klageweiber“ führen den Trauermarsch an, beerdigen nicht
nur Tibor, sondern alle Häuserprojekte Berlins, die gestorben sind. Und es
sind einige, wie auf den Schildern zu lesen ist.
Evil Maximilius Profitikus tritt auf und verlangt mit tiefer Stimme die
Schlüssel aller Mieter:innen. Denn: „Andersartigkeit darf nur bleiben, wenn
sie sich vermarkten lässt.“ Aber sieh an: Das Kraut des Widerstands gibt es
doch noch! Häuserprojekte wie die „Lause“ bleiben, die Initiative
[3][Deutsche Wohnen & Co enteignen] holt fast 60 Prozent Zustimmung … Wir
tanzen auf der Straße. Und ganz kurz denkt man, während die Hitze langsam
abklingt und die Blechbläser ihre Instrumente schmettern, dass es auch im
echten Leben ein Happy End geben könnte. Auch für das [4][besetzte Haus in
der Habersaathstraße] in Berlin-Mitte. Dort wird „Lauratibor“ diesen
Sonntag ein weiteres Mal aufgeführt.
24 Jun 2022
## LINKS
[1] /Kunst-gegen-Gentrifizierung/!5774848
[2] /Linke-Kneipe-in-Kreuzberg/!5761358
[3] /Deutsche-Wohnen-und-Co-enteignen/!t5562213
[4] /Obdachlosenprojekt-Habersaathstrasse/!5858778
## AUTOREN
Ruth Lang Fuentes
## TAGS
Schwerpunkt Stadtland
Kolumne Großraumdisco
Fête de la musique
Schwerpunkt Gentrifizierung in Berlin
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Wochenvorschau
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drohende Räumung. Mittes Bürgermeister gerät zunehmend unter Druck.
Die Wochenvorschau für Berlin: Kurze Nächte und ein Orchestertraum
Auf der Fête de la musique kann man den Sommer ganz vortrefflich feiern.
Musikalisch geht es auch bei der Lauratibor-Oper gegen Verdrängung zu.
Kunst gegen Gentrifizierung: Eine Demo-Oper durch Kreuzberg
„Lauratibor“ agitiert mit Witz, Gesang, Tragik und ein bisschen Dada gegen
Verdrängung im Kiez. Das Publikum hat dabei die Straße für sich.
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