# taz.de -- Obdachlosenprojekt Habersaathstraße: Die zaghafte Politik rächt s… | |
> Der Eigentümer der Häuser in der Habersaathstraße will 56 Obdachlose | |
> rauswerfen – und der Bezirk Mitte meint, dagegen machtlos zu sein. | |
Bild: Abreißen, neu bauen, teurer vermieten: Kann die Politik diesem Geschäft… | |
Das war zu erwarten gewesen: Der Bezirk Mitte hat den [1][Kampf um die | |
Habersaathstraße] offensichtlich aufgegeben. Es sehe „leider“ nicht danach | |
aus, „dass wir eine längere Duldung der obdachlosen Menschen hinbekommen“, | |
erklärte Bürgermeister Stephan von Dassel (Grüne) am Mittwoch. Einen Tag | |
zuvor hatte der Eigentümer der Häuser Nummer 40 bis 47 den 56 ehemaligen | |
Obdachlosen erneut mitgeteilt, dass sie ausziehen müssten. | |
Diese zaghafte Haltung des Bezirks gegenüber einem Eigentümer, der nur | |
seinen eigenen Gewinnmaximierungsinteressen folgt, zieht sich bedauerlicher | |
Weise durch die ganze Geschichte. | |
[2][Seit Jahren lässt die Arcadia Estate GmbH die Gebäude leer stehen], bis | |
auf 9 Altmiet-Parteien sind inzwischen alle ausgezogen: Man möchte gerne | |
abreißen und teuer neu bauen. Gegen den spekulativen Leerstand unternahm | |
die Politik trotz Protesten von Bürger*innen lange nichts; im Winter | |
besetzen dann 56 Wohnungslose mit Hilfe der Initiative | |
„Leerstand-hab-ich-Saath“ einen Teil der Wohnungen. | |
Der Bezirk, schon damals im Ruf, zu zaghaft mit Arcadia umzugehen, | |
erreichte in Verhandlungen immerhin, dass die Leute „vorerst“ bleiben | |
dürfen – sogar 3,50 Euro pro Quadratmeter „Kostenerstattung“ sagte der | |
Bezirk dem Eigentümer dafür zu. Der „bedankte“ sich im April mit dem [3][… | |
Rauswurfschreiben]: Statt „Winterhilfe“ für die Obdachlosen wolle man nun | |
lieber Ukraine-Flüchtlinge unterbringen. | |
Dahinter stand offensichtlich die Idee, dass man mit Flüchtlingen mehr | |
Kasse machen kann. Für sie zahlen – je nach dem – Bezirke oder das Land bis | |
zu 25 Euro pro Person pro Tag. Daraus wurde zwar nichts; der Bezirk pfiff | |
Arcadia zurück mit der Drohung, wenn die Leute rausfliegen, werde das | |
nichts mit der Einigung über den Abriss. Einen Monat später beim 2. | |
Rauswurfschreiben sieht sich der Bezirk jedoch nicht mehr in der Lage, für | |
die Bewohner*innen einzustehen. | |
Für die weitere Unterbringung sei „das Entgegenkommen des Eigentümers | |
Voraussetzung“, heißt es nun aus dem Bezirksamt. Die Frage ist: Warum | |
eigentlich? | |
## Nicht vorzeitig einknicken | |
Denn eigentlich hat der Bezirk ja ein gutes Faustpfand in der Hand: Seit | |
Jahren verstößt die Arcadia Estate GmbH mit dem bewussten Leerstand eines | |
Großteil der Gebäude gegen das Zweckentfremdungsverbot und müsste dafür | |
nach Berechnungen der Initiative eigentlich 42 Millionen Euro Strafgelder | |
zahlen. Und selbst wenn man deren Eintreibung für unrealistisch hält, | |
braucht der Eigentümer eine Genehmigung für den Abriss, wenn er dort neu | |
bauen will. Wenn er nicht zusagen will, dass die neuen Wohnungen für | |
durchschnittlich verdienende Menschen erschwinglich sein werden, muss der | |
Bezirk diesen Abriss auch nicht genehmigen. | |
Doch offensichtlich hat man Befürchtungen, dass eine solche Verweigerung | |
vor Gericht nicht stand hält – und sucht lieber eine Verhandlungslösung. | |
Doch diese Angst vor der eigenen Courage ist falsch: Wenn man am | |
politischen Ziel des Zweckentfremdungsverbots festhält, den Abriss von | |
Wohnraum zu spekulativen Zwecken zu verhindern, dann sollte man dieses Ziel | |
auch konsequent verfolgen und vor Gericht dafür einstehen. | |
Notfalls muss das Gesetz eben nachgebessert werden, damit es gerichtsfest | |
wird. Aber vorzeitiges Einknicken, wie es der Bezirk gegenüber Arcadia | |
getan hat, als er die Abrissgenehmigung für 30 Prozent der Wohnungen im | |
„bezahlbaren“ Segment anbot, nützt niemandem – außer dem Investor. | |
Allerdings sind die Bezirke mit ihren arg begrenzten Ressourcen womöglich | |
damit überfordert, sich solchen Kapitalinteressen entgegen zu stellen. Und | |
es ist ja vor allem der Senat, der sich die [4][Abschaffung der | |
Obdachlosigkeit bis 2030] und eine progressive Wohnungspolitik auf die | |
Fahnen geschrieben hat. Warum übernimmt also die Landesregierung nicht | |
einfach, so wie sie es auch bei anderen Themenbereichen macht, wenn sie von | |
stadtweitem Interesse sind? | |
Denn so viel kann man wohl festhalten: Die Habersaathstraße ist längst zum | |
Symbol geworden für den Kampf gegen Investoren, denen das Allgemeinwohl | |
nichts und ihre Börse alles bedeutet. Wenn die Politik hier vorzeitig | |
aufgibt, ist das kein gutes Zeichen. | |
4 Jun 2022 | |
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## AUTOREN | |
Susanne Memarnia | |
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