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# taz.de -- Buch über neurechte Bewegungen: Die nicht die Freiheit wollen
> Der Journalist Paul Mason sagt, der Faschismus sei zurück. In seinem
> neuen Buch entwickelt er ein düsteres Szenario, Theorie liefert er
> jedoch nicht.
Bild: Trump-Anhänger bei der Erstürmung des Capitols am 6. Januar 2021
Der Faschismus als „terroristische Diktatur der am meisten reaktionären,
chauvinistischen und imperialistischen Elemente des Finanzkapitals“. – Wenn
es um den Faschismus geht, tragen seine Gegner bis heute immer noch die
berüchtigte „Dimitroff-Formel“ vor sich her.
Mit ehernen Gewissheiten wie der, die der legendäre bulgarische Kommunist
einst für die Kommunistische Internationale formulierte, hat [1][Paul
Mason] seine Probleme. Zwar fürchtet auch der langjährige Guardian-Autor
die Wiederkehr eines Gespenstes. „Der Faschismus ist zurück“, konstatiert
der britische Journalist, Marxist und Aktivist, Jahrgang 1960, in seinem
jüngsten Buch. Doch er will auf ein neues Verständnis der Triebkräfte des
Faschismus hinaus.
Verglichen mit seinen viel beachteten Vorgängerwerken „Postkapitalismus“
von 2016 und „Klare, lichte Zukunft. Eine radikale Verteidigung des
Humanismus“ von 2019, entwickelt Mason in seinem jüngsten Werk ein düsteres
Szenario.
Von der AfD in Deutschland über Viktor Orbán in Ungarn bis zu Jair
Bolsonaro in Brasilien reicht für Mason die neue Internationale der
Rechten. Den Sturm auf das Kapitol im Januar 2021 nach der Wahlniederlage
Donald Trumps sieht Mason als „Wendepunkt“, an dem „[2][Konservatismus,
Rechtspopulismus] und Faschismus begonnen haben, bewusst miteinander zu
interagieren“.
## Ideologische Parallelen
Um zu verstehen, wie es so weit kommen konnte, geht Mason in die Geschichte
zurück: Er zeichnet noch einmal die Terrormethoden nach, mit denen Hitler
und Mussolini im Gefolge der Weltwirtschaftskrise zu Beginn des 20.
Jahrhunderts die Macht eroberten.
Er zeigt die ideologischen Parallelen zwischen damals und heute auf: die
Orientierung an dem „Neuen Menschen“ Ernst Jüngers und Friedrich Nietzsches
oder dem Vitalismus eines Philosophen wie Henri Bergson. Die Kumulation der
Krisen heute, so Masons Argument, schaffe einen ähnlichen Nährboden wie in
der europäischen Zwischenkriegszeit: der Zusammenbruch des neoliberalen
Wirtschaftsmodells nach der Finanzkrise von 2009, der Aufstieg der
digitalen Technologien, die Umweltkatastrophen und schließlich der Schock
der Pandemie.
Mason ist von dem löblichen Vorsatz getrieben, die linke Theorie aus dem
Prokrustesbett ihres oft rigiden, sozialökonomischen Determinismus zu
lösen. „Wir müssen statt der Klasse oder dem Kapitalismus den Menschen in
den Mittelpunkt rücken“, schreibt er. Genau an diesem Punkt manifestiert
sich aber der Widerspruch seines Versuchs, die linke Faschismustheorie von
ihrem materialistischen Kopf auf die idealistischen Füße zu stellen.
Einerseits hebt er die sozialökonomische Desintegration als Grund für die
Renaissance des Faschismus hervor. Gleichzeitig will er auf eine neue
Theorie des Faschismus hinaus: „Bedeutsamer als jeder spezifische
Klassengegensatz“, konstatiert er, „ist ein menschlicher Antagonismus: der
Wunsch nach Freiheit, der durch Furcht vor der Freiheit gehemmt wird, wann
immer sie in greifbare Nähe rückt“.
## Den Faschismus verkennen
Dieser Wunsch mag die Vehemenz erklären, mit der sich Rechtsextreme gegen
die Rechte von Indigenen, der LGTB+-Community oder der People of Colour
stemmen. Doch indem Mason den Faschismus damit zuvörderst zur
sozialpsychologischen Disposition erklärt, relativiert er das vorsätzlich
Eliminatorische des Faschismus zu einer Art Präventionsreflex.
Einst ging es um die Auslöschung der Juden. Heute, so Mason, gehe es um den
globalen, ethnoreligiösen Bürgerkrieg, der die angeblich bedrohte „Weiße
Rasse“ wieder in ihre alten Rechte einsetzen soll. Abgesehen davon, dass
Mason seine neue Theorie zwar vehement postuliert, aber nirgends
ausformuliert.
So wie der Autor „Freiheit“ zur Kernvokabel seiner neuen Theorie
promoviert, wird plötzlich verständlich, dass der überzeugte Linke Jürgen
Habermas im Streit über den Ukrainekrieg kürzlich den Satz „Wer Freiheit
will, muss auch das existenzielle Risiko, sie zu verteidigen, wagen wollen“
entgegenhalten konnte.
Masons Buch ist mehr ein Essay im Angesicht einer großen Gefahr als ein
wissenschaftliches Werk: Politische Mahnungen wechseln ab mit historischen
Exkursen, Fallbeispiele mit philosophischen Impromptus, Appelle stehen
neben Analysen. Ein kohärentes Programm gegen den „neuen Faschismus“ hat
Mason freilich nicht anzubieten. Auch wenn der Verlag mit einem fetten
roten „Emergency“-Knopf auf dem Buchumschlag suggeriert, die lädierte
Demokratie ließe sich mal eben auf Werkseinstellungen zurücksetzen.
## Bündnis von Elite und Mob
Zur Abwehr eines neuen „zeitweiligen Bündnisses von Elite und Mob“, wie
Hannah Arendt den Faschismus einst beschrieb, setzt Mason auf eine neue
Volksfront. So wie die Formation, die im Frankreich des Jahres 1934
kurzzeitig den Sozialisten Léon Blum an die Macht brachte. Dafür müsste die
Linke, so appelliert Mason, die liberale Mitte aber als Bündnispartner
begreifen, statt sie als Hauptfeind zu verteufeln. Dazu, ließe sich
ergänzen, müsste der organisierte Liberalismus selbst aber auch nach links
rücken.
Wer sich erinnert, wie ein FDP-Politiker mit Stimmen der AfD zu Thüringens
Ministerpräsident gewählt wurde oder sich die Partei gegen ein Tempolimit
sperrt, ahnt, wie mühsam diese Trendwende zu bewerkstelligen sein wird.
Durch Umweltschutz entstandene neue Arbeitsplätze, glaubt Mason, könnten
den Neuen Rechten das Wasser abgraben.
Wenn es um die Bekämpfung des Faschismus geht, greift Mason letztlich auch
auf rhetorisches Standardrepertoire zurück. Wenn er Slogans wie
„Antifaschismus als Ethos“ und „Wehrhafte Demokratie 2.0“ intoniert, kl…
das am Ende nach dem guten, alten: nie wieder.
19 Jun 2022
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## AUTOREN
Ingo Arend
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