| # taz.de -- Aus „Le Monde diplomatique“: An den Haustüren von Broxtowe | |
| > Hat die Labour-Partei doch noch eine Chance bei der Wahl? Eine | |
| > Beobachtung des Wahlkampfs in einer nordenglischen Durchschnittsstadt. | |
| Bild: Labour! Auf den Hund gekommen? Die Wahl wird spannender als gedacht, die … | |
| Wollte man die Siedlung Mill Hill in Broxtowe bei Nottingham mit einem Wort | |
| charakterisieren, würde man sagen: adrett. Koniferenhecken, makelloser | |
| Rasen, Pfingstrosen und Tulpen, blank gewienerte Automobile. Der Kandidat | |
| der Labour Party, Greg Marshall, der vor den Parlamentswahlen die Gegend | |
| abgegrast hat, wusste sehr wohl, dass sich die Zukunft seiner Partei in | |
| Orten wie diesem entscheiden würde. | |
| Denn in solchen Orten ist heute die britische Arbeiterklasse zu Hause. In | |
| der älteren Hälfte der Siedlung leben ehemalige Bergarbeiter, Ingenieure | |
| und Facharbeiter, im jüngeren Teil überwiegen die öffentlichen | |
| Angestellten: Universitätsdozentinnen, Lehrkräfte, Krankenpflegerinnen. Der | |
| Ort ist in jeder Hinsicht Durchschnitt. | |
| Als Premierministerin May am 18. April überraschend vorgezogene Neuwahlen | |
| ausrief, gab die Daily Mail sogleich den Ton vor: „Zermalmt die Saboteure!“ | |
| Die Labour Party wurde – zusammen mit den Liberaldemokraten und den | |
| progressiven nationalistischen Parteien in Schottland und Wales – zu einer | |
| Gefahr für Ordnung und Sicherheit erklärt und als Saboteurin des | |
| Volkswillens an den Pranger gestellt. | |
| Wer nur rechte Boulevardblätter las, konnte den Eindruck gewinnen, dass | |
| Großbritannien sich in einer tiefen Existenzkrise befand, dass die | |
| nationale Sicherheit bedroht und eine Katastrophe kaum noch abzuwenden sei. | |
| In Mill Hill sorgte man sich allerdings vor allem um Schlaglöcher. Greg | |
| Marshall – Gemeinderat und ein getreuer Gefolgsmann von Parteichef Jeremy | |
| Corbyn – hatte zum Klinkenputzen die wichtigsten Fakten über das radikale | |
| Steuer- und Ausgabenprogramm von Labour sowie einige Argumente für Corbyns | |
| Positionen in Sachen Verteidigung und Migration parat. Aber die ersten drei | |
| Personen, die ihm die Tür öffneten, zeigten nur über seine Schulter hinweg | |
| und klagten über die Schlaglöcher in der Straße. Niemand nannte ihn einen | |
| Saboteur. | |
| Es waren geopolitische und ökonomische Gründe, die Theresa May zu | |
| vorgezogenen Neuwahlen bewogen, nicht nur wahlstrategischer Opportunismus. | |
| Das Wirtschaftswachstum des Vereinigten Königreichs hat sich verlangsamt | |
| und der Absturz des Britischen Pfunds infolge des Brexit-Referendums heizte | |
| die Inflation an. Obwohl die Arbeitslosigkeit einen historischen Tiefstand | |
| erreicht hat, können nach der umfassenden Deregulierung des Arbeitsmarkts | |
| die Löhne in der Privatwirtschaft nicht mehr steigen, während die | |
| öffentlichen Arbeitgeber in den letzten sieben Jahren jeweils ein Prozent | |
| draufgelegt haben. Was unter dem Strich trotzdem zu sinkenden Reallöhnen | |
| führte. | |
| ## Die fremdenfeindliche Rechte stimmte für May | |
| Gleichzeitig schickte sich die Europäische Kommission an – im Gegensatz zu | |
| allen Verheißungen der Brexit-Befürworter –, Mays Regierung mit denselben | |
| Waffen zu demütigen, die bereits gegen Griechenland zur Anwendung kamen: | |
| mit einem Ultimatum und einem Vertrag. Brüssel will eine vollständige | |
| Loslösung der Insel vom gemeinsamen Markt durchsetzen, um dann, so | |
| verlautete aus einer Quelle, anzubieten, dass innerhalb von drei Jahren | |
| neue Handelsbedingungen vereinbart werden. | |
| Da aber 22 konservativen Abgeordneten wegen Verletzung des Wahlgesetzes im | |
| Jahr 2015 ein Strafverfahren drohte, war Mays Verhandlungsposition | |
| geschwächt. Sie musste schnell und entschlossen handeln. So erklärte sie | |
| der britischen Wählerschaft, es gehe bei der Wahl nicht um den Inhalt der | |
| Brexit-Vereinbarungen mit der EU, sondern einzig darum, eine Regierung mit | |
| einem einheitlichen Standpunkt für die Verhandlungen zu schaffen. Sie hielt | |
| den Namen ihrer eigene Partei aus dem Wahlkampf heraus und appellierte an | |
| die Anhänger anderer Parteien: „Leihen Sie mir Ihre Stimme!“ | |
| Die Europäische Kommission verhärtete daraufhin ihre Verhandlungsposition | |
| und steckte einige Details über ein frostiges Abendessen in der Downing | |
| Street an die Medien durch. Am 3. Mai erklärte die Premierministerin | |
| Brüssel den verbalen Krieg. „Europäische Politiker und Beamte haben | |
| Großbritannien öffentlich gedroht“, sagte sie, „und zwar gezielt, um das | |
| Ergebnis der Parlamentswahlen zu beeinflussen.“ | |
| Das Ergebnis war, wie sich an den Kommunalwahlen einen Tag später ablesen | |
| ließ, dramatisch. Der Stimmenanteil für Ukip brach ein. In gerade einmal | |
| zwei Wochen hatte Theresa May die Partei der fremdenfeindlichen Rechten | |
| vernichtet und mehr als die Hälfte ihrer Anhänger zu den Tories | |
| zurückgeholt, derweil es für Labour am Ende bei dieser Wahl nicht mehr um | |
| Sieg oder Niederlage ging, sondern ums schiere Überleben. | |
| Der Wahlkreis Broxtowe zerfällt in zwei soziale Welten. Der Norden besteht | |
| aus ehemaligen Bergbaudörfern, der Süden aus einer ethnisch gemischten und | |
| halbwegs prosperierenden universitären Vorstadt. Die einzige | |
| Nord-Süd-Verbindung durch den Wahlbezirk ist eine Autobahn mit einer | |
| einzigen Ausfahrt. Mit anderen Worten, Broxtowe ist England im Kleinformat. | |
| Im Norden hielt nach dem Ende des Kohlebergbaus der Faschismus Einzug. | |
| Viele ältere Labour-Aktivisten haben sich hier einst bei den Kämpfen gegen | |
| die faschistische British National Party zusammengefunden. Aber der Erfolg | |
| von Ukip konfrontierte sie mit einem Arbeiterpopulismus, gegen den sie | |
| machtlos waren. Beim Referendum vom Juni 2016 stimmte Broxtowe bei einer | |
| Wahlbeteiligung von fast 80 Prozent mit 55 zu 45 Stimmen für den Brexit. | |
| Für Labour war die Frage schon immer: Was passiert nach dem Brexit? Denn | |
| nach Angaben der Meinungsforscher gab es beides, sowohl „rote“ als auch | |
| „blaue“ Ukip-Wähler. Die roten hätten sich wegen der wirtschaftlichen und | |
| sozialen Folgen der starken Zuwanderung von der Labour-Partei abgewandt und | |
| würden zurückkehren, wenn Labour den Brexit akzeptiere.1 Doch seit Januar | |
| 2017 befürchteten die Wahlkampfstrategen, diese Überschneidung könnte sich | |
| umgekehrt auswirken. | |
| Interne Umfragen zeigten nämlich, dass Labour ohne eine eindeutige | |
| Stellungnahme gegen osteuropäische Migranten – die die Partei unmöglich | |
| abgeben kann – in den Arbeitergegenden bis zu 100 Sitze verlieren könnte. | |
| ## T-Shirts künden von der Notwendigkeit einer Revolution | |
| Unter Greg Marshalls rund einhundert Wahlhelfern fanden sich Männer Mitte | |
| fünfzig, deren T-Shirts von der Notwendigkeit einer Revolution künden; | |
| Krankenschwestern, Büroangestellte, Lastwagenfahrer und – | |
| erstaunlicherweise – osteuropäische Fabrikarbeiter. Die durften zwar nicht | |
| wählen, aber sie gingen mit ihren Labour-Ansteckern von Haus zu Haus. | |
| Einer von ihnen brachte auf den Punkt, worum es ging: „Die Arbeiter, die | |
| ich kenne, rechnen so: Wenn man die Zuwanderer rauswirft, steigen die | |
| Löhne. Sie glauben, dass wir ihnen die Jobs wegnehmen und dass sie, sobald | |
| sie uns los sind, zu ihrem Chef gehen und mehr Geld verlangen können. Sie | |
| wollen eine andere Meinung dazu nicht mal hören. Für sie heißt Politik | |
| ‚Schmeißt die Migranten raus!‘ “ | |
| In anderen Zeiten hätte man die politische Beteiligung von Fabrikarbeitern | |
| an einem Wahlkampf als ein Zeichen der innerparteilichen Geschlossenheit | |
| gefeiert, aber für Labour verschärfte sie diesmal nur das Dilemma. Corbyn | |
| stand zu Beginn des Wahlkampfs vor einem Chaos: Abwanderung traditioneller | |
| Labour-Wähler zu den Grünen und den schottischen Nationalisten; dauerhafter | |
| Verlust Schottlands; massive Zerwürfnisse innerhalb der Partei; und eine | |
| konservative Wahlmaschine, die über dreimal so viel Geld verfügte wie | |
| Labour. Dabei hatte er die Partei nicht vollständig unter Kontrolle – zwei | |
| Drittel seiner Abgeordneten verweigerten ihm die Gefolgschaft. | |
| Aber Corbyn und sein engster Mitstreiter, der Schattenschatzkanzler John | |
| McDonnell, hatten ein Ass in der Hand, das sie ausspielen konnten: die | |
| programmatische Kritik an der Sparpolitik, die sie in Corbyns ersten | |
| Monaten als Parteiführer entwickelt hatten. | |
| ## Eine Intrige bringt den Wahlkampf in Schwung | |
| In den verwinkelten, ausgelagerten Parlamentsräumen, die als eine Art | |
| Parteizentrale fungierten, hatte John McDonnells Team ein Programm massiver | |
| Umverteilung und staatlicher Konjunkturanreize ausgearbeitet. Es ist das | |
| größte Konjunkturprogramm, das die britische Wählerschaft seit 1945 gesehen | |
| hat. | |
| Über höhere Steuern für Einkommen über 80 000 Pfund im Jahr, | |
| Vermögenssteuern insbesondere für ausländische Immobilienspekulanten, die | |
| Rücknahme von Kürzungen bei der Unternehmensteuer sowie eine | |
| Robin-Hood-Steuer auf Börsengeschäfte soll die Abschaffung der hohen | |
| Studiengebühren und die Verbesserung des Gesundheits- und Sozialwesens | |
| finanziert werden. Jahrelang hatte es geheißen, ein solches Programm sei | |
| niemandem mehr zu vermitteln. | |
| Eigentlich hatte McDonnell seine Vorschläge während des Wahlkampfs Zug um | |
| Zug an die Öffentlichkeit bringen wollen. Aber ein führender Politiker vom | |
| rechten Parteiflügel war dem Vernehmen nach so schockiert über den | |
| Programmentwurf, dass er das ganze Dokument der rechtsgerichteten Presse | |
| zuspielte. | |
| Wider Erwarten brachte diese Intrige den Wahlkampf erst richtig in Schwung | |
| und zementierte zugleich den historischen Abschied der Partei mit der | |
| neoliberalen Linie von New Labour. Der Parteivorstand stellte sich | |
| einstimmig hinter Corbyns Programm, obwohl der Blair-Flügel für eine | |
| teilweise Blockade getrommelt hatte. Damit hat Labour als erste große | |
| sozialdemokratische Partei den radikalen Bruch mit dem Neoliberalismus | |
| vollzogen. | |
| Mit einem derart umfangreichen und verständlichen Angebot an die | |
| Wählerinnen und Wähler, so Corbyns Kalkül, könnte es gelingen, wichtigere | |
| Themen als Theresa May, die Stärke der Regierung und den Brexit in den | |
| Vordergrund zu stellen. Als die Parteiaktivisten in die ruhigen Straßen von | |
| Broxtowe ausschwärmten, merkten sie jedoch schnell, dass ihre Chancen nicht | |
| gut standen, und dies aus einem Grund, auf den sie keinerlei Einfluss | |
| hatten: die politische Dynamik in Schottland. | |
| Als May ihre harte Brexit-Strategie festklopfte, witterte die Scottish | |
| National Party, die gemeinsam mit den Grünen in Schottland regiert, eine | |
| historische Chance. Die Parteichefin und schottische Premierministerin | |
| Nicola Sturgeon brachte erst ihre Partei und dann das schottische Parlament | |
| dazu, sich auf ein erneutes Unabhängigkeitsreferendum zu verpflichten. | |
| Anders als die Abstimmung von 2014 wird dieses zweite Referendum, das für | |
| die Zeit kurz vor oder nach dem Brexit angesetzt ist, gegen den Willen der | |
| Londoner Regierung abgehalten werden. | |
| ## Die schottische Linke wählte nationalistisch | |
| Als 55 Prozent der Schotten 2014 gegen die Abspaltung vom Vereinigten | |
| Königreich votierten, hatte Brüssel einen gewichtigen Grund geliefert: Wenn | |
| ihr Großbritannien verlasst, dann verlasst ihr auch die Europäische Union! | |
| Schottland hätte seine Mitgliedschaft neu beantragen müssen, was erstens | |
| Jahre gedauert hätte und zweitens mit der Übernahme des Euro verknüpft | |
| gewesen wäre. Aber seit Großbritannien den Austritt aus der EU beschlossen | |
| hat und Brüssel große Aufgeschlossenheit für einen separaten Vertrag mit | |
| einem unabhängigen Schottland signalisiert, hat sich diese Angst | |
| verflüchtigt. | |
| Labour hat in Schottland nach 2014 keinen Fuß mehr auf den Boden bekommen, | |
| weil die eher linken Lohnabhängigen für die Unabhängigkeit votierten. Zwei | |
| Drittel der neuen SNP-Mitglieder sind ehemalige Labour-Wähler. Von der | |
| schottischen Labour Party ist nur noch ein aberwitziges Bündnis aus | |
| radikalen Sozialisten und Blair-Anhängern übrig, deren Gemeinsamkeit sich | |
| darin erschöpft, dass sie im Vereinigten Königreich bleiben wollen. Erst | |
| verlor Labour die Hälfte seiner Wähler an den schottischen Nationalismus, | |
| dann lief die andere Hälfte nach und nach zu den Konservativen über. | |
| Außerhalb Schottlands ist die Verbitterung über das destruktive Verhalten | |
| der schottischen Labour Partei so groß, dass ihr kaum jemand eine Träne | |
| nachweint. Die Labour-Strategen in London haben sich längst mit der | |
| Tatsache abgefunden, dass Labour auf absehbare Zeit nur mit der SNP eine | |
| Mehrheit gegen die Tories zusammenbekommen kann. | |
| Sollte Schottland das Vereinigte Königreich verlassen, wird die Lage für | |
| Labour noch elender. Noch nie in der Geschichte hat Labour in England eine | |
| eigene Mehrheit errungen: Die Partei kam immer nur an die Regierung, wenn | |
| es ihr gelang, die Stimmen der nordenglischen, schottischen und walisischen | |
| Arbeiterklasse, der Bevölkerung der großen Städte und Teilen des Bürgertums | |
| auf sich zu vereinigen. | |
| Das Beispiel Schottlands ist aber auch aus einem eher strategischen Grund | |
| von Bedeutung. Was Labour über 100 Jahre mit der schottischen | |
| Arbeiterklasse verband, war das Zusammenwirken der ökonomischen und | |
| kulturellen Narrative. Der Klassengegensatz war stärker als der zwischen | |
| Katholiken und Protestanten, und er hatte mehr Gewicht als die schottische | |
| Identität. Das ist heute nicht mehr so. | |
| Mit dem Aufkommen eines progressiven kulturellen Nationalismus, der sich | |
| mit der Globalisierung und mit sozialliberalen Positionen verbinden ließ, | |
| wurde dieser für die Hälfte der schottischen Bevölkerung attraktiver als | |
| das alte Labour-Programm. Die Tories ihrerseits wissen nicht nur die | |
| Fremdenfeindlichkeit der Brexiteers, sondern auch das Wiedererstarken eines | |
| protestantischen Konfessionalismus für sich zu nutzen. | |
| Die Anhängerschaft der schottischen Labour Party ist mittlerweile auf die | |
| Leute zusammengeschrumpft, die weder die Unabhängigkeit noch den Brexit | |
| wollen – all jene, welche den Kräften, die die britische Gesellschaft | |
| auseinandertreiben, Einhalt gebieten wollen. Doch zum Leidwesen der | |
| Gesamtpartei lassen sich diese Kräfte kaum aufhalten. | |
| An den Türen in Broxtowe waren sich die wenigsten darüber im Klaren, was | |
| bei dieser Wahl auf dem Spiel stand. Das war das Widersprüchlichste, was | |
| mir auffiel, als wir vorsichtig zwischen Topfpflanzen und Stauden | |
| herumstiefelten. Die Wahl, die auf nationaler Ebene als ideologischer | |
| Kulturkampf ausgefochten wurde, konnte – zumindest in diesem Wahlkreis – | |
| keine Leidenschaften entfachen. | |
| ## Viel zu viele blieben zu Hause | |
| Unter den vielleicht 50 Haushalten, bei deren Besuch ich den Kandidaten | |
| Marshall begleitet habe, schienen diejenigen, die sich für Labour | |
| entschieden hatten, es mit finsterer Entschlossenheit und im vollen | |
| Bewusstsein um ihre Stigmatisierung durch die nationale Presse getan zu | |
| haben. Sie traten aus ihrem Garten oder Schuppen und erklärten mit einer | |
| vielsagenden Kopfbewegung, sie hätten schon ihr „ganzes Leben“ oder „seit | |
| jeher für Labour“ gestimmt. | |
| Die konservativen Wähler waren höflich. Meist handelte es sich um ältere | |
| Leute, die sich, ganz ohne Feindseligkeit, auf ein längeres Gespräch über | |
| die aktuellen politischen Probleme einließen. Wenn man fragte, welche | |
| Verbesserungen sie sich vor Ort wünschten, kamen viele Unentschiedene auf | |
| die schlechten Straßen und kommunalen Dienstleistungen zu sprechen, andere | |
| zuckten die Achseln und wussten nicht, was sie sagen sollten. | |
| Für Dawn Elliot, Labour-Gemeinderätin und Wahlkampfmanagerin, zeigt sich | |
| hieran, wie sehr sich neoliberale Politik und politische Teilnahmslosigkeit | |
| wechselseitig verstärken. „Unser Wähleranteil ist seit 2010 beständig | |
| gesunken, aber nicht nur, weil die Arbeiterklasse von Labour enttäuscht | |
| ist, sondern wegen einer allgemeinen Enttäuschung über die Politik“, meinte | |
| Elliot. „Seit sieben Jahren werden die Leute durch die Sparpolitik aus dem | |
| System gedrängt: Sie haben einfach das Gefühl, dass sie nichts mehr zu | |
| erwarten haben. Also engagieren sie sich nicht mehr politisch. Je länger | |
| die Tories im Amt sind und ihr ‚Jeder ist sich selbst der Nächste‘ | |
| propagieren, desto weniger Leute scheren sich um den Wert öffentlicher | |
| Dienstleistungen.“ | |
| Als Theresa May vorgezogene Neuwahlen ausrief, stand sie in den Umfragen | |
| bei 49 Prozent, im Vergleich zu 26 Prozent für Labour. Durch diese Zahlen | |
| ermutigt, leitete May einen Bruch mit David Camerons liberalem | |
| Konservatismus ein. Die Sparpolitik will sie zwar bis 2025 fortsetzten, | |
| aber in langsamerem Tempo. Die verbalen Angriffe auf Sozialhilfeempfänger | |
| sollen heruntergefahren werden. Stattdessen haben die Tories zum ersten Mal | |
| seit 1990 ihre Bereitschaft zu Steuererhöhungen für die Mittelschicht | |
| bekundet und erklärt, das „mittelständische Großbritannien“ müsse die | |
| Kosten der wachsenden Sozialausgaben tragen. Das Einzige, was May von | |
| Camerons Programm übernommen hat, ist der Beschluss, die | |
| Unternehmenssteuern auf 17 Prozent zu senken, um Großbritannien nach dem | |
| Brexit neben Irland und Luxemburg zu einem Steuerparadies zu machen. | |
| Trotz seiner Radikalität hat der ideologische Bruch mit Cameron in der | |
| Konservativen Partei kaum Wellen geschlagen. May hat die 30-jährige | |
| Parteinahme der Elite für den Liberalismus und Europa abserviert. Die | |
| liberalen Konservativen haben – zumindest vorübergehend – einer faktischen | |
| Wählergemeinschaft mit der Ukip zugestimmt und schienen bereit, die | |
| Auswüchse an nationalistischer und fremdenfeindlicher Rhetorik als | |
| propagandistische Ausrutscher zu entschuldigen. | |
| 1 yougov.co.uk/news/2015/03/25/two-tribes-ukip. | |
| Aus dem Englischen von Robin Cackett | |
| 8 Jun 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Paul Mason | |
| ## TAGS | |
| Wahlen in Großbritannien | |
| Großbritannien | |
| Labour Party | |
| Tories | |
| Jeremy Corbyn | |
| Theresa May | |
| Lesestück Recherche und Reportage | |
| Faschismus | |
| Wahlen in Großbritannien | |
| Unabhängigkeit Schottland | |
| Wahlen in Großbritannien | |
| Großbritannien | |
| Wahlen in Großbritannien | |
| Wahlen in Großbritannien | |
| Schwerpunkt Emmanuel Macron | |
| Wahlen in Großbritannien | |
| Großbritannien | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Buch über neurechte Bewegungen: Die nicht die Freiheit wollen | |
| Der Journalist Paul Mason sagt, der Faschismus sei zurück. In seinem neuen | |
| Buch entwickelt er ein düsteres Szenario, Theorie liefert er jedoch nicht. | |
| Kommentar zum Wahlergebnis: Gut für Großbritannien | |
| Das Wahlergebnis funktioniert für keine Partei alleine, davon wird das Land | |
| profitieren. Statt eines Regierungs- muss es einen Politikwechsel geben. | |
| Scottish National Party macht Verluste: Tories freuen sich in Schottland | |
| Die Scottish National Party hat bei der Wahl Mandate verloren. Kaum einer | |
| will wohl ein zweites Referendum zur schottischen Unabhängigkeit. | |
| Unterhauswahl in Großbritannien: Theresa May liebäugelt mit DUP | |
| Bei der Wahl geht die Mehrheit der Tories verloren, Labour triumphiert. Die | |
| Premierministerin hofft nun, die Regierung umbilden zu können. | |
| Kommentar Britische Unterhauswahl: Ohne Gespür, ohne Gefühl | |
| Theresa May hat sich verzockt. Die Neuwahl wird ihr keine stabilere | |
| Mehrheit im Parlament bringen. Dass die Sache danebenging, lag vor allem an | |
| ihr. | |
| Unterhauswahl in Großbritannien: Pattsituation im Parlament | |
| Premierministerin May und die Konservativen sind die Verlierer dieser Wahl. | |
| Auch Schottlands Nationalisten stürzen ab. In der Labour Party herrscht | |
| Freude. | |
| Vor der Wahl in Großbritannien: Nichts scheint unmöglich | |
| Labour könnte bei der Wahl zwar Stimmen gewinnen, aber Sitze verlieren – | |
| denn andere Parteien sind schwach. Auch um Terror geht es. | |
| Kommentar May und Menschenrechte: Macron macht’s genauso | |
| Theresa May will Menschenrechte zugunsten des Antiterrorkampfes | |
| suspendieren. Die Reaktion mancher Linksliberaler ist nicht konsistent. | |
| Unterhauswahl in Großbritannien: Wahlkampf im Zeichen des Terrors | |
| Nach drei Anschlägen ist der Kampf gegen den Terror zum zentralen | |
| Wahlkampfthema geworden. Theresa May ist heftiger Kritik ausgesetzt. | |
| Unterhauswahl in Großbritannien: Vorfreude in Edinburgh | |
| Der Wahlkampf geht weiter. Ein Tory und eine Liberaldemokratin wollen in | |
| Edinburgh den schottischen Nationalisten den Sitz abknöpfen. |