# taz.de -- Volkswirt über Inflation und Übergewinne: „Eine Frage der Gerec… | |
> Der Staat sollte Verbraucher bei den hohen Gaspreisen unterstützen, sagt | |
> Ökonom Sebastian Dullien. Und er sollte Übergewinne von Firmen | |
> besteuern. | |
Bild: Inflation: Münzgeld bald noch weniger wert | |
taz am wochenende: Herr Dullien, wenn Sie Kanzler wären: Was würden Sie | |
tun, um den ökonomischen Schwierigkeiten zu begegnen? | |
Sebastian Dullien: Die größten Gefahren sind, dass sich die Inflation | |
verfestigt und dass Deutschland in eine Rezession abgleitet. Die steigenden | |
Preise senken die Kaufkraft. Wenn aber der Konsum einbricht, nimmt die | |
Arbeitslosigkeit zu. Die Steuereinnahmen fallen. Es beginnt ein | |
Teufelskreis. | |
Was würden Sie also tun? | |
Es muss Hilfen für Rentner und Studierende geben. Sie haben von den | |
bisherigen Entlastungspaketen nicht profitiert. Gleichzeitig muss der | |
Hartz-IV-Satz angehoben werden. | |
Ist das alles? | |
Nein. Besonders betroffen sind die Gaskunden. Im Jahresvergleich hat sich | |
der Gaspreis im Großhandel etwa verfünffacht, und diese Preissteigerungen | |
werden nun nach und nach an die Haushalte weitergegeben. Daher sollte es | |
für den Grundverbrauch von Gas eine Preisobergrenze geben. Der Staat | |
übernimmt dann den Rest. | |
Wenn der Staat das Gas subventioniert, lohnt es sich für die Haushalte | |
nicht mehr, Energie einzusparen. | |
Doch. Es würde nur der Grundverbrauch subventioniert. Wer mehr konsumiert, | |
muss den vollen Preis zahlen. | |
Haben Sie noch einen Ratschlag für den Kanzler? | |
2023 sollte es erneut eine Einmalzahlung für alle Steuerzahler geben, | |
ähnlich wie die 300 Euro, die jetzt für den September geplant sind. | |
Das macht FDP-Finanzminister Lindner bestimmt nicht mit. Er will 2023 | |
wieder die Schuldenbremse einhalten. | |
Man könnte die Einmalzahlung auf Dezember 2022 vorziehen. Damit ließe sich | |
der Koalitionsfrieden erhalten. | |
Wenn jeder Steuerzahler 300 Euro bekommt, profitieren auch Gutverdiener und | |
Millionäre, obwohl sie dieses Geld gar nicht benötigen. | |
Die Einmalzahlung muss versteuert werden. Spitzenverdiener zahlen den | |
Spitzensatz – da bleibt nur ein Teil übrig. Einmalzahlungen sind die | |
einzige Möglichkeit, um Haushalte zu entlasten, die wenig Geld haben, aber | |
keine Transferzahlungen wie Hartz IV oder Wohngeld erhalten. Viele Familien | |
haben keine Ersparnisse, sodass sie von der Inflation sehr hart getroffen | |
werden. | |
Wieso soll es eigentlich nicht möglich sein, ganz gezielt nach der Höhe des | |
Einkommens zu helfen? SPD-Arbeitsminister Hubertus Heil will zum Beispiel | |
ein Klimageld an alle Beschäftigten auszahlen, die maximal 4.000 Euro | |
brutto verdienen. | |
Ich bin mir nicht sicher, ob dieser Vorschlag schnell und einfach umsetzbar | |
ist. Das Steuerrecht wird sehr kompliziert, wenn die Entlastungen an die | |
Steuererklärungen gekoppelt werden. Da sind Einmalzahlungen | |
unbürokratischer. | |
Also finden Sie auch [1][den Tankrabatt] richtig – obwohl selbst | |
Porschefahrer entlastet werden? | |
Den Tankrabatt sehe ich positiver als viele andere Ökonomen. Früher hätte | |
ich auch gedacht, dass vor allem reiche SUV-Fahrer entlastet werden. Aber | |
Untersuchungen der Böckler-Stiftung haben gezeigt, dass dieses Bild | |
unvollständig ist. Ich war überrascht, wie viel Geld insbesondere Familien | |
mit geringen und mittleren Einkommen für Benzin und Diesel ausgeben. Durch | |
den Tankrabatt werden sie weit stärker entlastet, als ich es erwartet | |
hätte. | |
Vom Tankrabatt ist aber nicht mehr viel zu spüren. Benzin und Diesel sind | |
wieder fast so teuer wie vorher. Was halten Sie von der Idee, „Übergewinne“ | |
der Ölkonzerne zu besteuern? | |
Das Projekt ist sinnvoll. Die Unternehmen profitieren von der Inflation, | |
die Konsumenten leiden. Es ist daher eine Frage der Gerechtigkeit, die | |
überzogenen Profite zusätzlich zu besteuern. | |
Aber wie soll das funktionieren? Die Ölfirmen haben ihren Sitz doch gar | |
nicht in Deutschland. | |
Man könnte die Umsätze besteuern. Aber das wird nicht einfach. Ich habe | |
noch keine überzeugende rechtliche Lösung gesehen, aber ich bin kein | |
Jurist. | |
[2][Andere europäische Länder besteuern bereits Übergewinne]. Lässt sich | |
davon etwas lernen? | |
Grundsätzlich sicher. Allerdings haben wir eine andere Verfassung und ein | |
anderes Steuersystem. Aber das ist kein Grund, Übergewinne nicht zu | |
besteuern. Man muss nach einer geeigneten Lösung suchen. | |
Demnächst stehen wichtige Tarifverhandlungen an, und die Gewerkschaften | |
fordern einen Inflationsausgleich. Kommt es zu einer Lohn-Preis-Spirale, | |
weil die Unternehmen die steigenden Arbeitskosten auf die Preise | |
aufschlagen? | |
Dafür sehe ich derzeit keine Anzeichen. Alles deutet darauf hin, dass in | |
diesem und im nächsten Jahr die Löhne in Deutschland gesamtwirtschaftlich | |
nicht stärker zulegen werden, als es mit dem Inflationsziel der EZB | |
vereinbar wäre. Die Löhne müssen auch und gerade in Zeiten hoher Inflation | |
steigen. Sonst schwächelt die Nachfrage, weil die hohen Preise die | |
Kaufkraft auffressen. | |
Die Gewerkschaften haben eine neue Verhandlungsmacht, weil überall | |
Fachkräfte fehlen. Besteht nicht doch die Gefahr, dass die Löhne zu stark | |
steigen? | |
Noch einmal: [3][Bisher ist in Deutschland nichts davon zu sehen, dass die | |
Löhne zu stark steigen würden]. Außerdem gibt es Branchen, die erst einmal | |
nicht mehr so stark wachsen werden wie in den vergangenen Jahren. Dazu | |
gehört der private Wohnungsbau. 2021 lagen die Zinsen für einen 10-jährigen | |
Kredit bei 0,8 Prozent. Jetzt sind es schon 2,8 Prozent. Also können sich | |
viele Menschen kein Eigenheim mehr leisten. Das macht eine Beispielrechnung | |
klar: Wenn man eine Hypothek von 300.000 Euro aufnimmt, bei der jährlich 2 | |
Prozent getilgt werden müssen, dann betrug die monatliche Rate früher 750 | |
Euro. Jetzt sind es 1.250 Euro. | |
Ist die Europäische Zentralbank (EZB) schuld, dass die Häuslebauer jetzt | |
stranden? | |
Bisher liegen die Leitzinsen bei Null. [4][Aber im Juli wird sie die EZB | |
auf 0,25 Prozent anheben.] Weitere Zinsschritte sind zu erwarten. Die | |
Immobilienzinsen nehmen diese Entwicklung vorweg. Schließlich laufen die | |
Kredite über mehrere Jahre. | |
Die EZB will die Inflation bremsen. Wie lange ist noch mit einer | |
Geldentwertung zu rechnen? | |
Schon nächstes Jahr wird die Inflationsrate deutlich niedriger liegen als | |
heute. | |
Weil der Ukrainekrieg vorbei ist? | |
Selbst wenn der Krieg anhält, wird die Inflationsrate sinken. Denn sie | |
misst ja nur den Anstieg der Preise. Das Preisniveau bleibt hoch – und | |
damit auch die Belastung für die Haushalte. | |
Um Russland zu schwächen, soll es ab Jahresende ein europäisches Embargo | |
von russischem Öl geben. Ist das eine gute Idee? | |
Auf jeden Fall. Das Problem ist allerdings, dass wir zu wenig Energie | |
sparen. Hier wären Kampagnen und auch symbolische Schritte wie ein | |
Tempolimit sinnvoll. | |
Wenn wir auf russisches Öl verzichten, wird Energie noch knapper und die | |
Preise steigen weiter. Verdient Russland dann nicht sogar mehr als vorher? | |
Wenn es das Embargo gibt, kann Russland sein Öl auf den internationalen | |
Märkten nur noch mit einem gewissen Abschlag verkaufen. Das sieht man am | |
Iran, der auch mit Sanktionen belegt ist. Das Land muss sein Öl auf hoher | |
See umständlich in andere Tanker umladen, damit die Herkunft verschleiert | |
wird. | |
Russland könnte diesen Abschlag aber verkraften: Da die Ölpreise durch das | |
Embargo weltweit steigen, würden die Verluste ausgeglichen. | |
Die Hoffnung wäre schon, dass weniger Einnahmen nach Russland gehen. | |
Seit der Coronapandemie 2020 sind die Lieferketten ständig gestört. Wird | |
das die Globalisierung verändern? | |
Die Globalisierung wird nicht wie bisher weiterlaufen. Wir erleben eine | |
geopolitische Polarisierung. China und die USA setzen bereits auf den | |
eigenen Kontinent. Die EU wird diesem Muster folgen. Die Automobilindustrie | |
ist ein gutes Beispiel. Im Frühjahr 2020 fehlten Antriebsteile aus Italien, | |
dann Halbleiter aus China, jetzt Kabelbäume aus der Ukraine. Künftig wird | |
man größere Lagerbestände anlegen und die Zulieferer auf mehrere Regionen | |
verteilen. Das wird aber für die Konsumenten ein bisschen teurer. | |
10 Jun 2022 | |
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## AUTOREN | |
Ulrike Herrmann | |
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