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# taz.de -- EZB unterstützt Südeuropa: Neue Eurokrise vorerst abgeblasen
> Die Europäische Zentralbank hat mit der Zinswende für Entsetzen in
> Südeuropa gesorgt. Nach einer Feuerwehraktion ist man nun beruhigt.
Bild: Die Zentrale der Europäischen Zentralbank (EZB) in Frankfurt am Main
Rom taz | Man konnte das Aufatmen förmlich hören, das am Mittwochabend
durch alle italienischen TV-Nachrichten, am nächsten Morgen dann durch die
Tageszeitungen ging. Die Europäische Zentralbank (EZB) lässt Italien, lässt
auch die anderen Staaten im Süden Europas wie Spanien oder Portugal nicht
im Regen stehen: Dies war der Tenor, nachdem die EZB am Mittwoch eiligst
ihr Direktorium zu einer Sondersitzung zusammengetrommelt und
Stützungsmaßnahmen für die von Spekulationen besonders betroffenen
Mitglieder der Eurozone in Aussicht gestellt hatte.
Genau besehen hatte die EZB diesen Feuerwehreinsatz selbst provoziert. Erst
am Donnerstag vergangener Woche nämlich hatte deren Chefin Christine
Lagarde bekanntgegeben, vom 1. Juli an werde nicht nur der [1][Leitzins auf
den Euro erhöht, sondern es würden auch die Stützungskäufe von
Staatsanleihen der Euro-Mitgliedstaaten gestoppt]. Damit wurde der
gemeinsame Euro-Schutzschild quasi in die Ecke gestellt, und an den
Finanzmärkten rückte wieder die Situation der einzelnen Euro-Staaten in den
Fokus – mit besonderem Augenmerk auf die schwächelnden Länder.
Und dort steht Italien ganz oben auf der Liste. Es hat inzwischen
Staatsschulden von 2,75 Billionen Euro angehäuft, das macht 150 Prozent des
Bruttoinlandsprodukts aus. Die von der EU erlaubte Obergrenze liegt bei 60
Prozent der Wirtschaftsleistung. Zum Vergleich: Die deutsche Schuldenquote
lag 2021 bei 69,3 Prozent.
Vor der Corona-Pandemie hatten die Schulden noch bei – auch schon hohen –
135 Prozent des BIP gelegen. Der durch die Covid-Lockdowns verursachte
tiefe wirtschaftliche Einbruch hatte zusammen mit den notwendig gewordenen
staatlichen [2][Abfederungsmaßnahmen] zur Unterstützung der Wirtschaft und
der Einkommen einen weiteren rasanten Anstieg der staatlichen
Verbindlichkeiten nach sich gezogen.
## Eurozone in der Pandemie solidarisch
Doch auf die Zinsen Italiens, auf den Zinsabstand auch zum
Stabilitätsprimus Deutschland hatte diese Tatsache zunächst keinen
Einfluss. So musste das Land auf seine zehnjährigen Schuldverschreibungen
noch im Februar 2021 nur 0,9 Prozent mehr Zinsen zahlen als Deutschland.
Der Grund: Die EU zeigte sich solidarisch. Der Stabilitätspakt wurde
ausgesetzt, die EZB kaufte eifrig Staatsanleihen ihrer Mitgliedsländer, die
EU verabschiedete das Mega-Paket „Next Generation EU“, das allein Italien
in den Jahren 2021 bis 2026 etwa 190 Milliarden Euro in die Kassen spült,
als direkte Zuwendungen oder als Billigkredite.
Der nun von der EZB angekündigte Stopp der Anleihekäufe änderte vieles: Die
Finanzmärkte verstanden ihn als Signal, dass es mit dieser unverbrüchlichen
Solidarität erst einmal vorbei ist, dass in Zukunft jeder Staat in der
Eurozone wieder auf eigene Rechnung wirtschaftet.
Für Italien eine ungemütliche Situation: Wie wichtig die Aufkäufe der
europäischen Notenbank für das Land waren, zeigt sich daran, dass
mittlerweile ein Viertel der Staatstitel des Landes von der EZB gehalten
wird, ein weiteres Viertel liegt bei Italiens Banken.
## Drohende „Fragmentierung“ der Euro-Zone
Die „Märkte“ reagierten prompt. Bis zum Dienstag schnellte der Zinsabstand
(„Spread“) zwischen italienischen und deutschen Staatsanleihen auf 2,5
Prozent hoch, italienische Bankentitel brachen an der Mailänder Börse
regelrecht ein. Ähnlich erging es Griechenland und Spanien mit ihren
Staatsanleihen. ExpertInnen sprachen schon wieder von einer drohenden
„Fragmentierung“ der Euro-Zone in den armen Süden und den prosperierenden
Norden.
Die Risikoaufschläge weckten vielerorts Erinnerungen an die
Euro-Schuldenkrise vor etwa einem Jahrzehnt – damals lagen die „Spreads“
aber noch viel höher. Die deshalb enorm teure Tilgung der Staatsschulden
vieler europäischer Länder drohte, viele Etats zu überfordern und so den
Euro zu sprengen. Damals konnten die Finanzmärkte erst beruhigt werden, als
der einstige EZB-Chef Mario Draghi versprach, die Zentralbank werde alles
innerhalb ihres Mandats alles tun, um den Euro zu retten („whatever it
takes“).
Draghi, heute Italiens Regierungschef, schwieg zur verunglückten Zinswende
der aktuellen EZB-Chefin Lagarde. Ungehalten äußerte sich Italiens
Finanzminister Massimo Franco. Er sprach von „Irritationen“ und davon, dass
die EZB „unnötige Spannungen“ verursacht habe. Mit der Sondersitzung am
Mittwoch versuchte das EZB-Direktorium, die Investoren wieder einzufangen.
Angekündigt wurden „flexible“ Stützungsmaßnahmen, die zu hohe Zinsabstä…
zwischen den Euro-Mitgliedstaaten verhindern sollen. Worin die genau
bestehen sollen, wurde noch nicht definiert. Doch schon die Ankündigung
hatte einen ersten Effekt. Schon am Mittwoch ging Italiens Zinsabstand zu
Deutschland wieder auf 2,2 Prozent zurück. Und die Banken des Landes legten
an der Börse kräftig zu. Die Rendite der 10-jährigen italienischen
Staatsanleihe sank zeitweise auf 3,92 Prozent. Ähnlich bei griechischen
10-jährigen Staatstiteln. Hier verringerte sich die Rendite auf 4,308
Prozent, ein Rückgang von 0,35 Prozentpunkten.
16 Jun 2022
## LINKS
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[2] /Klimaschutz-in-Italien/!5780357
## AUTOREN
Michael Braun
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