# taz.de -- Folgen der EZB-Zinswende: Der Wert des Geldes | |
> Die Zinsen der Europäischen Zentralbank werden wieder steigen. Was | |
> bedeutet das für die Privathaushalte und Konsument:innen? | |
Christine Lagarde, die Präsidentin der Europäischen Zentralbank, musste | |
sich lange anhören, sie tue nichts. Nun reagiert die EZB deutlich auf die | |
hohe Inflation, die im Euroraum im Mai 8,1 Prozent betrug. [1][Im nächsten | |
Monat will die Notenbank deshalb erstmals seit elf Jahren die Zinsen | |
anheben]. Das gab Lagarde am Donnerstag bekannt. Jetzt lautet die große | |
Frage: Wie wirkt sich das nun im Alltag aus? | |
Der Leitzins, zu dem sich Banken Geld bei der EZB leihen können, steigt | |
demnächst von 0 auf 0,25 Prozent. Der Strafzins für Institute, die Kapital | |
bei der Zentralbank parken, sinkt von –0,5 auf –0,25 Prozent. | |
Im September soll ein zusätzlicher Schritt der Zinserhöhung kommen, später | |
dürften weitere Anhebungen folgen. Außerdem will die Notenbank, die die | |
gemeinsame europäische Währung Euro herausgibt, ab Juli kein zusätzliches | |
Geld mehr in Anleihenkäufe stecken. | |
Der Trend geht also dazu, dass die Wirtschaft in den kommenden Jahren | |
weniger Zentralbankgeld erhält – diese geringere Menge außerdem zu einem | |
höheren Preis. Die erhoffte Wirkung der Einschränkung: Die Kredite der | |
Geschäftsbanken an die Unternehmen werden teurer. Das macht deren | |
Investitionen kostspieliger und dämpft insgesamt das Wirtschaftswachstum. | |
Dadurch soll sich der Preisauftrieb abschwächen. | |
## Ein dämpfender Effekt | |
Diesen Effekt will die EZB auch dadurch erreichen, dass sie die Erwartungen | |
von Bankern, Unternehmern, Politikern und Bürgern steuert. Wenn die | |
Bevölkerung annimmt, dass die Zentralbank die Inflation wirklich drücken | |
will, entzieht das den Preissteigerungen schon eine Grundlage. | |
Die Inflationsrate wird trotzdem noch ziemlich lange hoch bleiben – wenn | |
auch nicht auf dem Niveau von 8 Prozent. Die neue Politik der Zentralbank | |
wirkt sich erst mittel- und langfristig aus. Ein Grund: Die | |
Zentralbankzinsen dürften nur langsam steigen und vorläufig deutlich unter | |
der Inflationsrate bleiben. Deshalb hält sich der dämpfende Effekt | |
einstweilen in Grenzen. | |
Trotzdem wirken sich die Zinsen mäßigend aus, zum Beispiel auf die Preise | |
für importierte fossile Energie wie Öl und Gas. „Benzin, Heizöl und Erdgas | |
werden wahrscheinlich etwas billiger als in einer Situation ohne | |
Zinsanhebung“, sagt [2][Kerstin Bernoth], Ökonomin am Deutschen Institut | |
für Wirtschaftsforschung in Berlin. Wie viel das ausmacht, ist schwer zu | |
sagen, vielleicht ein paar Cent pro Liter. | |
Grundsätzlich kommt der Effekt daher, dass Öl und Gas auf dem Weltmarkt | |
meist in US-Dollar gehandelt werden. Bernoth sagt: „Weil der Dollarkurs im | |
Vergleich zum Euro leicht sinkt, wenn hier die Zinsen steigen, verbilligen | |
sich fossile Importe in den Euroraum etwas.“ | |
## Ein Faktor unter mehreren | |
Doch die Geldpolitik der EZB ist nur ein Faktor unter mehreren, der auf die | |
Preise wirkt. Wie sich die Öl- und Gaskosten auf dem Weltmarkt verändern, | |
hängt auch stark vom russischen Krieg in der Ukraine ab. Eine große Rolle | |
spielt außerdem, welche Mengen die Organisation der Erdölstaaten (Opec) | |
fördert. | |
Und wenn es in China zu weiteren Lockdowns wegen Corona kommt, kann das | |
Produktion und Lieferungen mancher anderer Güter durcheinanderbringen. | |
Deren Knappheit treibt die Preise zusätzlich an. „Es spricht vieles dafür, | |
dass sich die Inflationsraten in Deutschland und in der Eurozone in den | |
kommenden Jahren mit einer deutlich höheren Trendrate entwickeln werden als | |
in den vergangenen zwei Dekaden“, schrieb der Verband der Privatbanken | |
(BdB). | |
Die gute Nachricht für Leute, die Geld beiseitelegen können, lautet: Die | |
Negativzinsen werden abgeschafft. Mit der Zeit erhalten Sparer:innen | |
wieder Zinsen für ihre Guthaben etwa auf Tagesgeld- und Sparkonten. Bis es | |
so weit ist, dauert es allerdings noch einige Zeit. 1, 2 Prozent | |
Guthabenzinsen gleichen die Inflation jedoch wenigstens zum Teil aus. | |
## Die Inflation ist höher als die Zinsen | |
Man muss sich aber darauf einstellen, dass die Inflation vorläufig höher | |
bleibt als die Zinsen. Und Privathaushalte, die so wenig verdienen, dass | |
sie nicht sparen können, kommen nicht in den Genuss dieses partiellen | |
Inflationsausgleichs. | |
Wie die Guthaben- werden aber auch die Kreditzinsen steigen, also die | |
Gebühren, die die Kund:innen an die Banken zahlen, wenn sie sich Geld | |
leihen. „Diese Zinsen heben die Institute nun schnell an“, erklärt Bernoth. | |
Damit wollen die Banken ihre höheren Kosten fürs Geldleihen bei der EZB an | |
die Kund:innen weitergeben. Und schade für die Privathaushalte ist: In | |
der Regel liegen die Kreditzinsen über den Guthabenzinsen – denn mit der | |
Differenz bestreiten die Institute einen Teil ihres Gewinns. Das bedeutet: | |
Kredite für Autos, Leasingraten und auch Konsumentenkredite etwa für Möbel | |
in Einrichtungshäusern steigen deutlich im Preis. | |
Auch bei Immobilien gibt es diesen Effekt. Der Kauf von Eigentumswohnungen | |
und Häusern wird kostspieliger. In Erwartung einer Trendwende der | |
Geldpolitik zogen die Bauzinsen kürzlich sowieso schon an: Verlangten | |
Institute Ende des Jahres 2021 beispielsweise noch 1 Prozent der | |
Kreditsumme als Gebühr bei Hypotheken mit zehnjähriger Laufzeit, mussten | |
die Kund:innen im Mai 2022 schon fast 3 Prozent zahlen. | |
Bei einem Kredit von 300.000 Euro macht das eine Differenz von 6.000 Euro | |
pro Jahr aus, 500 Euro monatlich. Um diese Summe steigt die individuelle | |
Belastung nach dem Kauf einer entsprechenden Eigentumswohnung. | |
Und die Immobilienzinsen dürften weiter zulegen. Für viele Privathaushalte | |
kann das den Unterschied ausmachen, ob sie sich den Kauf leisten können | |
oder nicht. | |
## Auch die Staatsverschuldung wird teurer | |
Für laufende Baukredite spielt die Zinsanhebung erst mal keine Rolle. | |
Allerdings müssen die Kreditnehmer:innen damit rechnen, dass sich | |
Anschlusskredite verteuern, wenn sie die geliehene Summe noch nicht | |
abbezahlt haben. Aus der Sicht der Käufer:innen erschweren auch die wohl | |
weiter steigenden Baukosten die Investition in die eigene Immobilie. | |
Mitunter kann es da günstiger sein, doch eine Wohnung zu mieten. Der | |
entscheidende Punkt in der persönlichen Rechnung dürfte oft die Höhe des | |
Eigenkapitals sein, das zur Verfügung steht. Wer ein paar hunderttausend | |
Euro geerbt hat, muss sich weniger leihen und ist von den steigenden | |
Kreditzinsen weniger betroffen. Reiche Haushalte haben mehr Möglichkeiten | |
als arme. | |
Die private Altersvorsorge etwa mit einer Lebensversicherung dürfte mit der | |
Zeit wieder etwas attraktiver werden. Weil die Versicherungsunternehmen | |
einen Teil des angelegten Kapitals in sichere Staatspapiere investieren | |
müssen und diese dann höhere Zinsen bieten, erhalten die Versicherten | |
später mehr Geld ausgezahlt. Parallel könnte die relative Attraktivität von | |
Aktien nachlassen – aber das hängt auch maßgeblich von der Entwicklung der | |
Börsen ab. | |
Nicht nur Privathaushalte, auch Politiker:innen müssen sich auf | |
Veränderungen einstellen. So wird die Verschuldung des Staates teurer, wenn | |
die Zinsen steigen. Beispielsweise muss der Bundesfinanzminister vielleicht | |
bald 10 oder 20 Milliarden Euro mehr im Bundeshaushalt für Zinszahlungen | |
veranschlagen. Der Grund: Wenn die Zinsen insgesamt zulegen, muss der Staat | |
den Investoren mehr Gewinn anbieten, damit diese seine Staatsanleihen | |
kaufen. | |
Dadurch sinkt der Spielraum in den öffentlichen Haushalten. Vorübergehend | |
dürfte freilich ein anderer Effekt überwiegen: Die Inflation spült höhere | |
Steuereinnahmen in die Staatskassen, sodass mindestens 2023 hohe | |
öffentliche Investitionen etwa in Wohnungsbau möglich sein sollten. | |
Die EZB muss nun schwierige Entscheidungen treffen. Einerseits gilt es, die | |
Inflation zu bremsen. Andererseits darf es nicht zu einer Wirtschaftskrise | |
kommen, bei der die hohen Zinsen die Wirtschaftsentwicklung lähmen und | |
Arbeitslosigkeit verursachen – ein anstrengender Spagat. | |
10 Jun 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Zentralbank-leitet-Zinswende-ein/!5856929 | |
[2] https://www.diw.de/de/diw_01.c.427326.de/personen/bernoth__kerstin.html | |
## AUTOREN | |
Hannes Koch | |
## TAGS | |
EZB | |
Geld | |
Inflation | |
Geldpolitik | |
GNS | |
EZB | |
Inflation | |
EZB | |
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine | |
Rentenversicherung | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
EZB unterstützt Südeuropa: Neue Eurokrise vorerst abgeblasen | |
Die Europäische Zentralbank hat mit der Zinswende für Entsetzen in | |
Südeuropa gesorgt. Nach einer Feuerwehraktion ist man nun beruhigt. | |
Entlastungspaket in Österreich: Wien dämpft Inflationsfolgen | |
Die schwarz-grüne Regierung greift tief in die Tasche, um den steigenden | |
Preise zu begegnen. Vor allem Menschen mit kleinem Geldbeutel werden | |
entlastet. | |
Zentralbank leitet Zinswende ein: EZB sagt Inflation den Kampf an | |
Die Europäische Zentralbank plant die erste Leitzinserhöhung seit elf | |
Jahren. Ein Ende der historisch hohen Geldentwertung erwartet sie 2024. | |
Preissteigerungsrate bei fast 8 Prozent: Inflation wie zu Willys Zeiten | |
Die Inflationsquote steigt im Mai auf 7,9 Prozent – so hoch wie zuletzt im | |
Winter 1973/1974. Das bringt reale Verluste für Löhne und Altersvorsorge. | |
Vorschlag von Ökonomen: Höheres Rentenalter gegen Inflation? | |
Die Preise steigen und steigen. Mehrere Wirtschaftswissenschaftler schlagen | |
deshalb nun vor, das Renteneintrittsalter zu erhöhen. |