| # taz.de -- Kampf gegen IS in Sahelzone: Mali darf sich nicht wiederholen | |
| > Die internationalen Militäreinsätze in Mali gelten als gescheitert. Jetzt | |
| > wird der Niger wichtigster Standort ausländischer Antiterrortruppen. | |
| Bild: Verteidigungsministerin Lambrecht besucht die deutsche Ausbildungsmission… | |
| Niamey taz | Samstagmorgen auf einem Hinterhof am Stadtrand von Niamey, | |
| Hauptstadt von Niger. Seit vier Monaten lebt Issaka hier. Seinen richtigen | |
| Namen möchte er nicht nennen und auch nicht sagen, wie sein Heimatdorf | |
| heißt. „Man weiß nicht, wer mich erkennt. Die Angst ist zu groß“, erklä… | |
| der große hagere Mann, dessen Haare langsam grau werden. | |
| Angst ist das beherrschende Wort, wenn Issaka über das vergangene Jahr | |
| spricht. Er kommt aus der Region Tillabéri in der Zone des trois | |
| frontières, dem [1][Dreiländereck Niger, Mali und Burkina Faso], jenem | |
| Gebiet, das derzeit in der Sahelzone am stärksten von Terrorangriffen des | |
| „Islamischen Staats in der Größeren Sahara“ (EIGS) und der konkurrierenden | |
| „Gruppe für die Unterstützung des Islams und der Muslime“ (JNIM) betroffen | |
| ist. Dazu kommen Überfälle von bewaffneten Banden. Längst nicht immer ist | |
| klar, wer tatsächlich dahinter steckt, wenn wieder einmal Nachrichten über | |
| getötete Zivilisten die Runde machen. | |
| Issaka beugt sich auf dem schwarzen Metallstuhl etwas nach vorne. Immer | |
| wieder sagt er über die Angreifer: „Wir wissen nicht, was sie wollen, was | |
| für ein Ziel sie haben. Alles ist unklar.“ Begonnen haben die Überfälle in | |
| seiner Region vergangenes Jahr am Ende des Fastenmonats Ramadan, erinnert | |
| er sich. Am Vormittag kamen elf oder zwölf Motorräder in den Ort, die | |
| Fahrer eröffneten das Feuer. Als jemand mit dem einzigen Auto, das im Dorf | |
| geparkt war, flüchten wollte, wurde er angeschossen. Fünf weitere Menschen | |
| wurden ermordet. „Beim zweiten Angriff starben zwei Personen, beim dritten | |
| zwölf. Dabei waren damals sogar Soldaten im Ort, um ihn zu bewachen. Sie | |
| haben sich danach zurückgezogen und hatten wohl nicht den Mut, | |
| wiederzukommen.“ Issaka hat beobachtet: „Eine kleine Gruppe von Soldaten | |
| werden Ziel von Terroristen. Diese greifen dann in großer Zahl an.“ | |
| So ähnlich laufen viele Terrorangriffe in der Sahelzone ab. Auf Motorrädern | |
| sind die Angreifer schnell und mobil. Im Dorf angekommen, wird willkürlich | |
| auf die Bevölkerung geschossen. Häuser und Geschäfte werden angezündet, | |
| Vieh gestohlen. Das schürt Angst, Unsicherheit sowie Misstrauen und macht | |
| aus Menschen psychische Wracks. | |
| ## Die Extremisten haben auch Mobilfunknetze zerstört | |
| Ruhig geschlafen hat Issaka seit dem ersten Angriff nie wieder: „Abends | |
| verlassen alle das Dorf. Man schläft irgendwo im Busch.“ Die Angst ist auch | |
| deshalb groß, weil die Extremisten die Masten der Mobilfunknetze zerstört | |
| haben. Sich gegenseitig zu warnen oder auch zu beruhigen, ist nicht mehr | |
| möglich. Es kann auch niemand mehr arbeiten. Die Felder liegen wegen der | |
| Angst vor Übergriffen brach, der lokale Handel ist zusammengebrochen. | |
| Besonders schwierig ist die Situation für die Kinder, sagt Issaka. | |
| Lehrer*innen können nicht mehr unterrichten und ziehen stattdessen in | |
| die Goldminen, um etwas zu verdienen. Erst Anfang April [2][ermordeten | |
| Bewaffnete in Burkina Faso 20 Menschen], als sie eine illegale Goldmine bei | |
| Barga im Norden des Landes überfielen. | |
| Issaka hält seine linke Hand in die Luft: „Sie haben einen Bruder | |
| umgebracht, einen Onkel, mehrere Cousins. Insgesamt sieben Menschen habe | |
| ich verloren.“ Mit dem Sammeltaxi kam er schließlich vor vier Monaten nach | |
| Niamey und fand privat Unterkunft. Frau und Kinder sind im Dorf geblieben. | |
| Das klingt grausam. Doch Männer – vor allem die Jungen – sind derzeit bei | |
| Angriffen am meisten gefährdet. Zahlreiche Familien sind | |
| auseinandergerissen. | |
| Niger zählt laut UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR mittlerweile rund 265.000 | |
| Binnenvertriebene; in Tillabéri sind es mehr als 134.000. Dazu kommen etwa | |
| noch einmal so viele Flüchtlinge aus den Nachbarländern. Das bitterarme | |
| Land liegt direkt zwischen den besonders von terroristischer Gewalt | |
| betroffenen Gebieten von Mali und Burkina Faso im Westen und der Region | |
| rund um den Tschadsee im Osten, wo Boko Haram aus Nigeria und der | |
| [3][„Islamische Staat Provinz Westafrika“ (ISWAP)] aktiv sind. | |
| ## Niger gilt als bester EU-Verbündeter der Region | |
| Dabei gilt Niger als das letzte noch stabile Land im Sahel, als bester | |
| Verbündeter Frankreichs und Europas. In [4][Mali] und Burkina Faso gab es | |
| Militärputsche; in Tschad hievten die Generäle vor genau einem Jahr nach | |
| dem Tod des Langzeitpräsidenten Idriss Déby dessen Sohn Mahamat Idriss Déby | |
| an die Macht. Wahlen und die Rückkehr zu einer zivilen Regierung sind | |
| nirgends in Sicht. | |
| In Niger wird darüber diskutiert, wie weit eine verstärkte Präsenz | |
| internationaler Armeen das Land sichern kann. Klar ist: Frankreich zieht | |
| sich aus dem Nachbarland Mali zurück, wo noch weit über 15.000 ausländische | |
| Soldat*innen stationiert sind, meist im Rahmen der UN-Mission Minusma. | |
| Die französische Antiterrormission „Barkhane“, die seit zehn Jahren mit | |
| mehreren Tausend Soldaten Terrorgruppen in Mali bekämpft, gilt als | |
| gescheitert. | |
| Während des [5][Besuchs der deutschen Außenministerin Annalena Baerbock in | |
| Niger und Mali] vergangene Woche sagte ihr nigrischer Amtskollege Hassoumi | |
| Massoudou, man erwarte, „dass mit dem Abzug der französischen Streitkräfte | |
| aus Nordmali ein größerer Druck von Terroristen auf unser Land ausgeübt | |
| wird“. | |
| Schon jetzt sind zahlreiche ausländische Streitkräfte in Niger. Frankreich | |
| will nun auch seine als Nachfolger von Barkhane konzipierte „Operation | |
| Takuba“, in der europäische Spezialkräfte Terroristen jagen, aus Mali nach | |
| Niger verlegen. Niamey ist ein logistisches Drehkreuz für die | |
| Bundeswehrsoldaten in der UN-Mission in Mali. „Operation Gazelle“ der | |
| Bundeswehr bildet seit 2018 nigrische Spezialkräfte aus. | |
| ## Polizei- und Militärposten sind häufig Anschlagsziele | |
| Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht bezeichnete dies gerade | |
| als Erfolgsmodell und schlug im Rahmen ihrer Sahelreise wenige Tage vor der | |
| von Baerbock vor, EUTM Mali in EUTM Sahel umzubenennen. Eine weitere | |
| Mission ist die Polizeiausbildungsmission EUCAP Sahel Niger, in deren | |
| Rahmen mobile Grenzkontrollstationen entstanden sind. So lassen sich | |
| Bewaffnete leichter über Grenzen hinweg verfolgen – andererseits kann so | |
| auch Migration bekämpft werden, etwa aus Nigeria. | |
| Boniface Cissé arbeitet im Sahelbüro der [6][nichtstaatlichen Organisation | |
| Eirene] (Internationaler Christlicher Friedensdienst) in Niamey. In allen | |
| drei Staaten des Zentralsahel, Niger, Mali und Burkina Faso, hat er | |
| gearbeitet. „Die Sicherheitslage ist schlecht. An viele Einsatzorte können | |
| wir nicht mehr mit dem Auto fahren“, lautet seine Zusammenfassung der Lage. | |
| In den vergangenen zehn Jahren habe sich die Situation mehr und mehr | |
| verschlechtert. Cissé ist skeptisch gegenüber der Vorstellung, dass | |
| internationale Militärmissionen in Niger die Region noch stabilisieren | |
| können. „In Mali hat das nicht die erwarteten Erfolge gebracht“, sagt er. | |
| Dort hat sich die Gewalt von Norden in Richtung Zentrum und in das südliche | |
| Nachbarland Burkina Faso ausgebreitet. „Wir müssen die Frage stellen | |
| dürfen, ob das die Lösung ist.“ Schließlich seien Polizei- und | |
| Militärposten häufige Anschlagziele. „Ganz persönlich meine ich: Das ist | |
| keine Lösung.“ | |
| Terroristen, mahnt Cissé, nutzen schlechte Regierungsführung, Korruption | |
| und Klientelismus aus und gewinnen damit Anhänger*innen. „Jungen Menschen, | |
| die aufgrund von Vetternwirtschaft keine Chance auf einen Job haben, | |
| versprechen sie: Wenn ihr mitmacht, erhaltet ihr Arbeit.“ Aus seiner Sicht | |
| müssen lokale Lösungen her, und zwar durch Verhandlungen. Das hätten | |
| mittlerweile alle drei Staaten erkannt. „Dass Waffen nicht helfen, sehen | |
| wir seit zehn Jahren in Mali.“ | |
| In Gesprächen in Niamey teilen diese Einstellung viele Menschen. Der | |
| gescheiterte Militäransatz von Mali ist allgegenwärtig und soll sich | |
| keinesfalls hier wiederholen. In seinem Hinterhof zuckt Issaka mit den | |
| Schultern. „Wenn Soldaten aus Europa uns helfen, wäre es eine Möglichkeit�… | |
| sagt er vage. Jede Chance müsse genutzt werden, damit er endlich wieder | |
| zurück zu seiner Familie kann – ohne in ständiger Angst zu leben. | |
| 19 Apr 2022 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Islamistische-Gewalt-in-Benin/!5840271 | |
| [2] https://www.thedefensepost.com/2022/04/03/burkina-faso-gold-mine-attack/ | |
| [3] https://www.thedefensepost.com/tag/islamic-state-west-africa-province/ | |
| [4] /Mehr-als-200-Tote-bei-Armeeeinsatz/!5843155 | |
| [5] /UN-Stabilisierungsmission-fuer-Mali/!5848677 | |
| [6] https://eirene.org/laender/niger | |
| ## AUTOREN | |
| Katrin Gänsler | |
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