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# taz.de -- Bücher schreiben und Geld verdienen: Schwerstarbeit Literatur
> Wie viel verdienen Schriftsteller:innen eigentlich? Können sie von
> ihren Büchern leben? Darüber ist gerade eine Debatte entbrannt.
Bild: Wenn der Dichter Dinçer Güçyeter nicht gerade am Schreibtisch sitzt, f…
Ein Foto auf Facebook brachte alles ins Rollen. Darauf zu sehen: Dinçer
Güçyeter, [1][wie er auf einem Gabelstapler sitzt], hinter ihm sind ein
paar voll bepackte Euro-Paletten und das Werktor einer Spedition zu
erkennen. Dieses Bild postete Güçyeter im Oktober 2020, und es entfachte
schnell eine lebhafte Diskussion. Denn der 43-Jährige ist Lyriker und
Verleger des [2][Elif Verlags]. In der Spedition arbeitet er werktags von 6
Uhr bis 10 Uhr – sozusagen: nebenberuflich. [3][Während der Coronazeit]
hatte er den Stapler-Job angenommen, als das ohnehin unsichere Dasein im
Literaturbetrieb schlagartig noch unsicherer wurde.
Weit über 150 Kommentare folgten, Schriftstellerkolleg:innen
erzählten einander von ihren Jobs, diskutierten über ihre
Arbeitsverhältnisse. Es entstand die Idee, ein Buch zum Thema zu machen –
und ein Jahr darauf erschien dann ein solcher Sammelband, unter dem Titel
„[4][Brotjobs & Literatur“]. Darin machen Autor:innen das, was sie sonst
selten tun: Sie reden (schreiben) übers Geld. Wie hoch ihre Honorare und
Einnahmen sind, welche Nebentätigkeiten sie ausüben, um im Hauptberuf
Schriftsteller sein zu können. Oder umgekehrt?
Die Debatte rührt an einem Tabu. Iuditha Balint, Direktorin des
Fritz-Hüser-Instituts für Literatur und Kultur der Arbeitswelt und
Mitherausgeberin von „Brotjobs & Literatur“, sagt im Gespräch mit der taz
am wochenende: „Alle Autor:innen erzählten uns, dass im Literaturbetrieb
über Geld und über Honorare wenig bis gar nicht gesprochen werde. Und wenn,
dann nur verschleiert.“
Offenbar gibt es einerseits eine Scham, über Honorare zu sprechen,
andererseits eine Hemmung, sich selbstbewusst als Schriftsteller:in zu
bezeichnen. Die [5][Autorin Isabelle Lehn] beschreibt dies in ihrem Beitrag
für das Buch so: „Als Schriftstellerin leben zu wollen scheint ein
unverschämter Wunsch zu sein. Ich fühle mich schamlos, wenn ich mich zu
meinem Beruf äußere und erst einmal erklären muss, wie viel ich verdiene,
um mich so nennen zu dürfen. Wenn ich heute davon leben kann, dann auch,
weil ich die Scham überwunden habe, meinen Beruf als Beruf ernst zu nehmen,
meine Arbeit als Arbeit anzuerkennen und ihr einen Preis beizumessen.“
## Ist das Schreiben überhaupt ein „richtiger Beruf“?
Kunst und Arbeit, Literatur und Arbeit sind dabei insgesamt – auch aufgrund
der Pandemie – größere Themen geworden. So hat kürzlich auch die
[6][Soziologin Carolin Amlinger eine umfassende Analyse zum „Schreiben“]
veröffentlicht, zu den Produktionsbedingungen von Literatur. Die
grundsätzliche Frage, die beide Bücher stellen: Was zeichnet ein:e
Schriftsteller:in eigentlich aus? Welches Verständnis haben Gesellschaft
und Politik, welches Selbstverständnis haben Schriftsteller:innen von
ihrem Schreiben? Handelt es sich überhaupt um einen ‚richtigen‘ Beruf?
Dinçer Güçyeter glaubt, ein überkommener [7][Geniemythos] verhindere, dass
die Gesellschaft den Begriff „Arbeit“ mit dem Künstlerdasein assoziiere.
„Der Beruf des Künstlers wird romantisiert“, sagt er im Videotelefonat. �…
gibt noch immer die Vorstellung, dass der Schriftsteller von der Muse
geküsst wird und dann etwas zu Papier bringt. Ich sitze aber nicht zuhause
und warte auf die Muse! Dafür sitze ich jeden Tag am Schreibtisch und
schreibe etwas. Ob es ein Gedicht ist oder eine Strophe oder nur ein Satz.“
Güçyeter hat den Elif Verlag in seiner Heimat Nettetal am Niederrhein 2011
gegründet, als Autor veröffentlicht er selbst Gedichtbände, und seinen
Erwerbsalltag skizziert er so: Staplerfahren, Steuernachzahlungen,
Stipendienbewerbungen. „Ich verstehe mich als Arbeiter. Mit Sprache
konstruiere ich Texte. Diese Arbeit möchte ich gut machen, allein aus
Respekt vor den Menschen, die 20 Euro für ein Buch ausgeben. Die Texte
werden oft hundert Mal von mir umgeschrieben, bis sie fertig sind. Das kann
Knochenarbeit sein.“ Wenn man Literatur als etwas Hehres betrachte,
entwerte das andere, ebenfalls wichtige Tätigkeiten. „Meine Arbeit ist
nicht wertvoller als die Arbeit eines Müllmanns oder einer Putzfrau“, meint
der Dichter.
Dass über Künstlerberufe viel zu wenig bekannt ist, auch in der Politik,
hat die Frühphase der Coronakrise gezeigt. Fast alle
Schriftsteller:innen arbeiten, steuerrechtlich gesehen, als
Soloselbstständige, die ersten aufgelegten Hilfsprogramme griffen bei ihnen
nicht. „Es hat acht Jahre gedauert, bis ich dem Finanzamt überhaupt
verständlich machen konnte, was mein Job und was Lyrik ist“, sagt der
dichtende Gabelstaplerfahrer, der schwer schuftende Verleger Dinçer
Güçyeter.
Soloselbstständige sind Sonderfälle auf dem Arbeitsmarkt, wenngleich
[8][mehr als 2,2 Millionen von ihnen existieren], doppelt so viele wie noch
in den Neunzigern. Bei Vermieter:innen und Banken sind sie Berufstätige
zweiter Klasse. Auch Güçyeter gilt bei seiner Hausbank als nicht
kreditwürdig: „Ich habe in den zehn Jahren, die ich jetzt als Verleger und
Lyriker arbeite, vier oder fünf Mal bei meiner Bank gefragt, ob ich mein
Konto um tausend Euro überziehen kann. Ein einziges Mal haben sie es
zugelassen, weil ich fast auf die Knie ging. Ich bin seit dreißig Jahren
dort Kunde.“
Die meisten Schriftsteller:innen schöpfen aus vielen unterschiedlichen
Einnahmequellen. Der Bücherverkauf ist nur eine davon, in der Regel erhält
der Autor zwischen 5 und 15 Prozent des Nettoladenpreises. Vorschüsse des
Verlags werden darauf angerechnet. Geht man von einem Buchpreis von 20 Euro
aus und durchschnittlich 10 Prozent Beteiligung, verdient ein:e Autor:in
also nur 2 Euro pro verkauftem Exemplar. Lesungshonorare sind ein weiterer
Einkommensbaustein, sie liegen in der Regel irgendwo zwischen 100 und 600
Euro, bei Bestsellerautor:innen oft deutlich höher. Die Empfehlung
des [9][Verbands deutscher Schriftstellerinnen und Schriftsteller] liegt
aktuell bei 300 Euro pro Lesung, soll aber bald auf 500 Euro angehoben
werden. Finden Lesungen weniger häufig statt wie während der Coronakrise,
geht die Mischkalkulation nicht mehr auf.
Außerdem erhalten Schriftsteller:innen jährliche Zahlungen der
[10][Verwertungsgesellschaft Wort] (VG Wort). Die VG Wort, gegründet 1958,
sammelt Tantiemen von Bibliotheken und Abgaben für Kopier- und
Vervielfältigungsrechte ein und schüttet sie an die Autor:innen wieder
aus. Zu diesen Einnahmen können Preisgelder und Stipendien hinzukommen. Ein
weiteres berufliches Standbein für Schriftsteller:innen können
Dozentenjobs sein. Um als Autor:in zu Geld zu kommen, sind im
Netzzeitalter neue, mitunter durchaus lohnende Finanzierungsmodelle
hinzugekommen: über Portale wie [11][Patreon] oder [12][OnlyFans] kann man
sich direkt von den Leser:innen unterstützen lassen.
Zugute kommt der gesamten Branche immerhin, dass es hierzulande die
Buchpreisbindung gibt und kein Preiskampf um Bücher stattfinden kann. Zudem
können sich Schriftsteller:innen über die 1983 gegründete
Künstlersozialkasse kranken-, renten- und pflegeversichern.
## Zu Goethes Zeiten hatten viele Autor:innen andere Jobs
Der Begriff des „freien Schriftstellers“ wurde erst in der Frühen Neuzeit
üblich, die Bezeichnung wurde als Abgrenzung verwendet zu den höfischen
Dichtern der vormodernen Epochen, deren bekanntester Vertreter in unseren
Breitengraden wohl Walther von der Vogelweide (ca. 1170 – 1230) war. Im
Grimmschen Wörterbuch vom Ende des 19. Jahrhunderts steht: „die anwendung
des wortes in dem uns gebräuchlichen sinne, dasz ein mann bezeichnet wird,
der berufsmäszig eine literarische thätigkeit ausübt, wird erst im 18. jh.
üblich.“ Obwohl es zu der Zeit auch schon Schriftstellerinnen gab, werden
ausschließlich Männer genannt. Das liegt auch daran, dass der zu Zeiten der
deutschen Klassik entstandene Begriff des Genies sehr lange männlich
konnotiert war.
Vom Schreiben leben konnte auch zu Goethes und Schillers Zeiten kaum ein:e
Schriftsteller:in, fast alle hatten einen Hauptberuf als Lehrer:innen,
Akademiker:innen oder Jurist:innen. Berufsschriftsteller im heutigen
Sinne gibt es wohl etwa seit der Barockzeit im 17. Jahrhundert, Philipp von
Zesen und Sigmund von Birken wären als zwei Vertreter dieser Gattung zu
nennen. Als eine der ersten hauptberuflichen Schriftstellerinnen gilt
Sophie von La Roche (1730 – 1807), Autorin von „Geschichte des Fräuleins
von Sternheim“.
Die Begriffe „freier Schriftsteller“ oder „freier Autor“ werden bis heu…
verwendet – wie „frei“ ein:e Autor:in bei gleichzeitiger (ökonomischer)
Abhängigkeit von Auftraggeber:innen, Jurys, Selbstvermarktungsgeschick und
dem Talent ihrer Agent:innen aber wirklich sein kann, darauf geht Carolin
Amlinger in „Schreiben“ ein. Ein anonymisierter Schriftsteller, der seinen
Lebensunterhalt in anderen Tätigkeitsfeldern verdient, wird bei ihr mit den
Worten zitiert: „Lieber arbeite ich und bin als Schriftsteller frei, denn
als freier Schriftsteller die ganze Zeit unfrei zu schreiben.“
Was der anonyme Autor damit meint, erklärt Iuditha Balint: Als
Fulltime-Schreiber:in ist man in der Regel gezwungen, sehr viele Aufträge
anzunehmen: „Es passiert schnell, dass man als Autor:in in eine
selbstausbeuterische Struktur hineinrutscht. Einerseits können
Autor:innen sehr viel Idealismus mitbringen und Angebote ‚unter Wert‘
annehmen, weil sie ihre Arbeit gerne machen. Andererseits können sie es
sich oft nicht leisten, schlecht bezahlte Aufträge abzulehnen.“
Die Förderstrukturen sind dabei, so Balint, verbesserungswürdig.
Literaturhäuser müssten etwa viel stärker subventioniert werden, „alle
arbeiten viel mit ehrenamtlichem Personal und können nur niedrige Honorare
für Autor:innen zahlen oder – wenn sie keine niedrigen Honorare vergeben
wollen – nur wenige Veranstaltungen anbieten.“ Die Förderstrukturen für
Schriftsteller:innen sind kompliziert, die Zuständigkeiten auf Bund,
Länder und Kommunen verteilt. Oft wird dabei Österreich als Vorbild für
Deutschland genannt, denn im Nachbarland gibt es, anders als in
Deutschland, eine [13][direkte Verlagsförderung]. Schreibstipendien
existieren [14][hierzulande allerdings zuhauf], und derzeit kommen noch
Corona-Sonderprogramme dazu. Allein für [15][„Neustart Literatur“] stellt
der Bund bis zu 21 Millionen Euro bereit.
## Inspirationen aus der „normalen Welt“
Die „normale Arbeitswelt“ muss indes nicht nur eine Last, sie kann auch
eine wichtige Inspiration sein. Als Dinçer Güçyeter auf dem Stapler saß,
stellte er fest, dass es „auch gut tut, wieder in eine fremde Welt
reinzuschauen“. Manche Gesamtwerke der Literaturgeschichte wären ohne den
proletarischen oder bürgerlichen Beruf der Autor:innen kaum entstanden,
etwa die Romane des Versicherungsjuristen Franz Kafka und die Gedichte des
Arztes Gottfried Benn. Genauso gab und gibt es Arbeiterliteratur und
Literatur von Arbeiter:innen (was nicht immer gleichbedeutend ist).
Doch der Schriftstellerberuf bleibt auf dem Arbeitsmarkt ein Sonderfall.
Iuditha Balint fordert deshalb eine bindende, gesetzliche Grundlage für
Honorare: „Wir müssen dahin kommen, dass Mindesthonorare festgeschrieben
werden, auch wenn das vielleicht schwer umzusetzen ist.“
Klar ist: Auch wenn so manche:r Schriftsteller:in prekär lebt, nimmt
die Zahl derer, die sich vom Schreiben ernähren können, zu. Zu verdanken
ist diese Entwicklung, neben Gründungen wie der VG Wort und der KSK in der
zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, auch [16][einem in Deutschland
stabilen (sogar Corona trotzenden) Buchmarkt]. Doch da die Zahl der
[17][selbstständigen Schriftsteller:innen in Deutschland] stetig
wächst, wird der Anteil dessen, was vom großen Kuchen zu verteilen ist, für
jede:n einzelne:n ständig weniger.
16 Mar 2022
## LINKS
[1] https://www.facebook.com/photo/?fbid=3421526487926686&set=a.53142775360…
[2] https://elifverlag.de/
[3] /Lesen-in-Zeiten-der-Coronavirus-Krise/!5668524
[4] https://www.verbrecherverlag.de/book/detail/1069
[5] https://de.wikipedia.org/wiki/Isabelle_Lehn
[6] https://www.suhrkamp.de/buch/carolin-amlinger-schreiben-t-9783518299630
[7] https://de.wikipedia.org/wiki/Genie
[8] https://www.brandeins.de/magazine/brand-eins-wirtschaftsmagazin/2021/frei-a…
[9] https://vs.verdi.de/
[10] https://www.vgwort.de/startseite.html
[11] https://www.patreon.com/
[12] https://onlyfans.com/
[13] https://www.bmkoes.gv.at/Service/Ausschreibungen/kunst-und-kultur-ausschre…
[14] https://www.literaturport.de/preise-stipendien/
[15] https://deutscher-literaturfonds.de/neustart-kultur/
[16] https://de.statista.com/statistik/daten/studie/164550/umfrage/prognostizie…
[17] https://de.statista.com/statistik/daten/studie/38357/umfrage/anzahl-der-se…
## AUTOREN
Jens Uthoff
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