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# taz.de -- Förderprogramme in der Literatur: Schreiben als Zauberkraft
> Kulturinstitutionen wollen diverser werden und ein neues Publikum
> erreichen. Doch sie geben sich keine Mühe, auch alle gleich zu fördern.
Bild: Schreiben als Zauberkraft? Was für eine kitschige Verklärung
Egal welche Kulturinstitution man dieser Tage betritt, überall zerbrechen
sie sich die Köpfe darüber, ein „neues Publikum“ zu erreichen, sich zu
„öffnen“, [1][die Diversität der Gesellschaft im eigenen Haus] zu
„spiegeln“. Häufig mündet das in einem Programmheft, in dem auch ein paar
nichtweiße Künstler_innen angekündigt werden, und der (befristeten)
Anstellung einer Person mit einem „anderen Background“. Dass der
Kulturbetrieb sich im Grunde völlig neu erfinden müsste, damit er sich
nicht immer nur an dasselbe bildungsbürgerliche Publikum richtet, checken
wenige. Und das beginnt schon bei der Frage, welche Künstler_innen
gefördert werden und welche nicht.
Hartnäckig hält sich etwa die Idee eines vielversprechenden
Nachwuchsautors, der (es ist meistens ein „er“) unter 30 ist, ein
abgeschlossenes Studium und etwas über das Leben zu erzählen hat. In erster
Linie ist er aber natürlich viel talentierter als andere. Warum? Wurde ihm
wohl in die Wiege gelegt. Schreiben als Zauberkraft quasi – was für eine
kitschige Verklärung. Als sei das Schreiben in einer profitorientierten
Welt nicht eine Frage [2][von ungleich verteilten Privilegien]. Will
heißen: Man muss es sich schon leisten können, monate- und jahrelang an ein
und demselben Text zu sitzen.
Glücklicherweise gibt es hierzulande einige Förderprogramme und Mittel, die
Autor_innen bei ihrer sehr zeitaufwändigen Arbeit entlasten sollen. Leider
spiegeln aber die Kriterien hierfür manchmal eine Dichotomie wider, die
mehr mit Superhelden-Comics zu tun hat als mit einem realistischen
Lebenslauf. So sorgte die Ausschreibung des mit 15.000 Euro dotierten
Wortmeldungen-Förderpreises kürzlich für Staunen, weil nur Autor_innen
teilnehmen dürfen, die nicht älter sind als 30 und bisher keine
eigenständige Buchpublikation haben.
Da es gleichzeitig auch den Wortmeldungen Literaturpreis gibt, der keine
Altersgrenze hat, aber sich nur an bereits publizierte Autor_innen richtet,
stellte die ausrichtende Crespo Foundation ein Diagramm online, welches
erklären soll, wer sich auf welchen der beiden Preise bewerben kann. Was
die Grafik deutlich macht: Wer über 30 ist und noch nicht publiziert hat,
ist keines Preises würdig.
Schon immer hat mich gewundert, dass es auch bei Residenz- und
Stipendienprogrammen für Künstler_innen Altersbeschränkungen gibt, als
könne man nur Künstler_in werden, wenn man als Teenager oft genug im Museum
war und früh das Selbstbewusstsein hatte, sich Künstler_in zu nennen. Was
jedoch beim Wortmeldungen Förderpreis zusätzlich beunruhigt, ist das Thema
der Ausschreibung: Es sollen Prosatexte zu Flucht, Exil und Heimatlosigkeit
eingereicht werden. Themen also, die, falls sie sich in die Biografien der
Autor_innen eingeschrieben haben, mit Sicherheit zu Brüchen führten, zu
einem Sprachwechsel, zu einem anderen Verhältnis zum Alter als jenes des
durchschnittlichen Berufseinsteigers auf dem freien Markt.
Andernorts gibt es immerhin Bemühungen, „Vielfalt“ auch in abweichenden
Lebensläufen zu denken. Die Kunststiftung Baden-Württemberg etwa, deren
Altersgrenze für Förderungen bei 35 liegt, unterstützt in Ausnahmefällen
auch 40-Jährige, sofern diese in Elternzeit oder länger krank waren.
Wirklich progressiv wäre es jedoch, die Ausnahme zur Regel zu machen und
Altersgrenzen ganz aufzulösen.
Neben Elternschaft und einer (diagnostizierten) Krankheit kann es tausend
andere Gründe geben, weshalb ein Mensch erst spät zum Schreiben oder
Publizieren kommt: finanzielle Not, Flucht, das Kümmern um andere
Angehörige oder einfach nur, weil sich jemand erst mit 60 traut, eine
Geschichte zu schreiben. Und wenn es etwas gibt, das tatsächlich eine Art
Zauberkraft beim Schreiben entfaltet, dann ist das dieser Bruch im CV:
Lebenserfahrung.
9 May 2022
## LINKS
[1] /Diversitaet-im-deutschen-Literaturbetrieb/!5791311
[2] /Das-Konzept-der-Privilegien/!5706891
## AUTOREN
Fatma Aydemir
## TAGS
Diversity
Buchpreis
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Förderung
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Kolumne Red Flag
BDS-Movement
Literatur
Jürgen Habermas
Schwerpunkt Frankfurter Buchmesse
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