# taz.de -- Nachruf auf Wilhelm Genazino: Psychologe der Angestellten | |
> Am Mittwoch ist der Schriftsteller im Alter von 75 Jahren gestorben. Er | |
> wurde mit Romanen wie „Abschaffel“ und „Mittelmäßiges Heimweh“ beka… | |
Bild: Wilhelm Genazino im Jahr 2017 | |
Berlin taz | „Ich war lange Zeit Redakteur, aber auch als Redakteur ist man | |
ja Angestellter“, hat Wilhelm Genazino einmal dem Bayerischen Rundfunk | |
gesagt. „Man isst in einer Kantine, man lernt kennen, was eine Buchhaltung | |
ist, man hat Kollegen.“ | |
So kam Genazino, der schon mit 22 Jahren seinen ersten Roman „Laslinstraße“ | |
veröffentlicht hatte, dann aber nicht wusste, über was er schreiben sollte, | |
zu seinem Thema: Wilhelm Genazino war der Autor des deutschen | |
Angestelltenromans. | |
Seine „Helden“ haben sich in ihrem Unglück eingerichtet. Oder ihrem | |
Mittelmaß, was vielleicht dasselbe ist. „Schon meine Eltern waren | |
mittelmäßig, meine Kindheit war mittelmäßig, außerdem meine Schulzeit, mein | |
Abitur und mein Studium, aber seit dem letzten Anruf steuere ich auf das | |
Mittelmäßigste zu, was es überhaupt gibt: auf eine Scheidung“, sagt sein | |
Protagonist Dieter Rotmund in seinem Roman „Mittelmäßiges Heimweh“. Seine | |
Frau Edith, die fernab von ihm im Schwarzwald wohnt, sucht das Glück in | |
ihrer SPD-Ortsgruppe und einer außerehelichen Beziehung: „Zuerst wurde die | |
Eifersucht mittelmäßig, jetzt auch das Heimweh.“ | |
Genazino selbst wurde 1943 in Mannheim geboren. Seine Eltern waren arm, das | |
habe seinen Blick geformt, sagte Genazino. Er habe „ein waches Bewusstsein | |
bekommen, für alle, die etwas von sich hermachen wollen“. In den fünfziger | |
Jahren seien das diejenigen gewesen, die sich „plötzlich einen VW leisten | |
konnten und hinten dran einen Campinganhänger“. | |
Genazino war zwar früh Redakteur, etwa in den siebziger Jahren beim | |
Satiremagazin pardon, aber eigentlich erst ein Spätstarter. Das Abitur | |
holte er mit Ende 30 nach, danach studierte er. Was er „eine großartige | |
Sache“ fand. „Wenn man sich in Germanistik mit Goethes Wahlverwandtschaften | |
beschäftigt, dann sollte man mindestens 40 Jahre alt sein, um dieses Buch | |
überhaupt verstehen zu können.“ Man müsse in der Liebe „mindestens einmal | |
furchtbar gescheitert sein“, um Goethe zu verstehen. | |
Auch die üblichen Branchenehrungen kamen erst später: Den | |
Georg-Büchner-Preis erhielt er 2004, siebzehn Jahre, nachdem er mit der | |
„Abschaffel“-Trilogie seine Angestelltenromane begonnen hatte. Sein letzter | |
Roman „Kein Geld, keine Uhr, keine Mütze“ erschien im Frühjahr 2018. | |
Genazino schreibt „Romane, die schmal sind, meist ziemlich genau 150 Seiten | |
haben“ und „zuverlässig alle zwei, drei Jahre erscheinen“, schrieb die Z… | |
2014. Diese Zuverlässigkeit wird nun fehlen. Am Mittwoch ist Wilhelm | |
Genazino nach kurzer Krankheit im Alter von 75 Jahren gestorben, wie der | |
Hanser Verlag mitteilte. | |
14 Dec 2018 | |
## AUTOREN | |
Martin Reeh | |
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