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# taz.de -- Diskussion über Suhrkamp-Umzug: Seelenarbeit am Main
> Zwischen diskursiver Verbitterung und Liebesbekundung: Eine
> Diskussionsveranstaltung mit Autoren zum Suhrkamp-Umzug zeigte deutlich,
> wie sehr die Emotionen hochkochen.
Bild: Die Verlegerin zieht um, viele Autoren meutern: Ulla Unseld-Berkewicz.
So voll hat man den großen Saal des Frankfurter Literaturhauses selten
gesehen. 300 Zuhörer? Oder gar noch mehr? "Ich komme mir vor wie auf einem
Buchmessenempfang", sagt eine Frau, "da träfe man die gleichen Leute." Der
Anlass an diesem Abend war schließlich auch nicht eine ganz normale
Autorenlesung, sondern eine kurzfristig einberaumte Podiumsdiskussion aus
gegebenem Anlass: "Frankfurt ohne Suhrkamp - na und?" Schon darin schwingt
etwas mit - Trotz, Wut oder was auch immer; in jedem Fall ein hoher
Emotionalisierungsgrad. "Suhrkamp Berlin" steht auf den gelben Zetteln und
Schildern, die überall hängen, sogar auf der Toilette; das Ganze mit einem
dicken roten Balken durchgestrichen. Das charakterisierte die Stimmungslage
trefflich.
"Was schieflaufen konnte, ist schiefgelaufen", sagte Moderator Martin Lüdke
in seiner Einführung, stellte aber auch die Frage nach der "Legitimität
öffentlicher Ansprüche an eine privatrechtliche Gesellschaft". Ob er diese
Frage im Fall der Firma Nokia auch gestellt hätte? Unklar jedenfalls, so
Lüdke, seien die rechtlichen und wirtschaftlichen Voraussetzungen für den
Umzug: Ist die Zustimmung aller Gesellschafter erforderlich? Wie sollen die
Frankfurter Immobilien Geld einbringen, nachdem die Stadt Frankfurt
angekündigt hat, Suhrkamp bei deren Verkauf alle verfügbaren verwaltungs-
und baurechtlichen Steine in den Weg legen zu wollen? Welche Zusagen hat
Berlin gemacht, und welche wird es halten? Kurz: Mehr als eine
Absichtserklärung von Seiten des Verlags läge bislang nicht vor; mit einem
möglicherweise Jahre andauernden Schwebezustand sei zu rechnen.
Vor Beginn der eigentlichen Veranstaltung war Suhrkamp-Betriebsrat Wolfgang
Schneider ans Mikrofon getreten. Schneider sprach von der Wut der
Belegschaft, den existenziellen Nöten, die sich durch die Entscheidung
ergeben hätten, und stellte klar: "Wir wollen nicht nach Berlin." Langer
Beifall. Und das Podium? Arno Widmann, Feuilletonchef der Frankfurter
Rundschau, erklärte, er habe dem Verlagsleiter Thomas Sparr eine Mail
geschrieben und zur Entscheidung gratuliert. Suhrkamp spiele in Frankfurt
keine öffentliche Rolle, und da offenbar ein Schnitt erforderlich sei, sei
der Schritt des Umzugs der geschickteste. FAZ-Redakteur Hubert Spiegel
betonte, dass der Verlag, was die Autoren und das Programm beträfe, nicht
schlecht dastünde, dass jedoch offenbar strukturelle Änderungen nötig
seien. Um 30 Prozent, so heißt es, soll bereits das Herbstprogramm in
diesem Jahr zusammengestrichen werden.
Suhrkamp-Autorin Eva Demski konstatierte, dass die Wechselwirkung zwischen
Stadt und Verlag, wie sie sich in dessen Blütezeit in den Sechzigern und
Siebzigern ergeben hätte, ohnehin längst verschwunden sei. "Bestandteil der
diskursiven Verbitterung", so Demski, "ist der Verlust der eigenen Jugend."
Büchnerpreisträger Wilhelm Genazino sprach von einem symbolischen Wert, der
nicht in eine Totenstarre übergehen dürfe, während Andreas Maier,
Suhrkamp-Autor der jüngeren Generation, die Nähe des Verlags zum eigenen
Wohnort als ambivalenten Zustand beschrieb.
Schließlich der Kulturdezernent Felix Semmelroth. Ob die Stadt ihre
seelsorgerischen Pflichten vernachlässigt habe, wurde er gefragt - eine
angesichts der kruden Begründung der Verlegerin ("Man wollte uns hier die
Zöpfe abschneiden") für den Wegzug eine durchaus angebrachte Bemerkung.
Semmelroth beschrieb die vergeblichen Bemühungen, mit der Verlagsleitung
überhaupt in Kontakt zu kommen. Letztendlich scheint es so zu sein, dass
Frankfurt von Anfang an mit keinem seiner Angebote eine Chance hatte. Die
Entscheidung, so Semmelroth, sei "von großer Tragweite für das kulturelle
Selbstverständnis der Stadt".
Der Kulturdezernent jedenfalls sprach von Plänen, an zentraler Stelle ein
Haus der jungen Verlage bereitzustellen und mit städtischen Mitteln zu
fördern. Doch noch ist Suhrkamp in Frankfurt. Der Abend im Literaturhaus
war Seelenarbeit, Trauerarbeit vielleicht schon. Fast wirkte es, als
wollten alle auf ihre spezielle Weise dem Suhrkamp Verlag noch einmal
zeigen, wie sehr sie ihn lieben. Auch wenn es dafür zu spät ist. CHRISTOPH
SCHRÖDER
15 Feb 2009
## AUTOREN
Christoph Schröder
## TAGS
Wilhelm Genazino
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Mit dem Umzug, heisst es, befreie sich das Haus von der Last Siegfried
Unselds. Die Wut in Frankfurt richtet sich aber gegen die Lethargie und die
Selbstzufriedenheit der lokalen Kulturpolitik.
Suhrkamp-Verlag zieht nach Berlin: Mal Bürger, mal Revoluzzer sein
In der Hauptstadt pflegt man die Verknüpfung von Internetboheme und
besseren preußischen Traditionen. Diese Kombination ist für die
Neuerfindung des Verlags attraktiv.
Suhrkamp-Umzug vor der Entscheidung: Hey Berlin! Ach Frankfurt!
Suhrkamp ist ein mittleres Unternehmen mit hohem symbolischen Kapital.
Diese Woche soll eine Entscheidung fallen, ob der renommierte Varlag von
Frankfurt nach Berlin umzieht. Ein Pro und Contra.
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