# taz.de -- Suhrkamp-Verlag verlässt Frankfurt: Macht und Geld, darum geht es … | |
> Mit dem Umzug, heisst es, befreie sich das Haus von der Last Siegfried | |
> Unselds. Die Wut in Frankfurt richtet sich aber gegen die Lethargie und | |
> die Selbstzufriedenheit der lokalen Kulturpolitik. | |
Bild: Man ist aufgewühlt und aufgebracht in Frankfurt: Suhrkamp-Verlagshaus. | |
Ein Abend, wie es ihn schon häufiger gegeben hat: Ein Lektor oder eine | |
Lektorin des Suhrkamp Verlages lädt in die Privatwohnung ein, um einen | |
neuen Autor vorzustellen. Es gibt Bier, Wein und Erbsensuppe; anwesend sind | |
Freunde des Hauses, Journalisten, Autoren. So war es auch dieses Wochenende | |
und doch, einen Tag nach der Umzugsverkündung, ganz anders. Man wolle | |
heute, so sagte die Gastgeberin in ihrer Begrüßung, bitte nicht über Berlin | |
reden, sondern über die Autorin und ihr neues Buch, und tatsächlich liest | |
die Autorin dann eine knappe halbe Stund aus ihrem Roman, aber danach geht | |
es in den Gesprächen natürlich wieder um Berlin. | |
Man ist aufgewühlt und aufgebracht in Frankfurt. Ein Mitarbeiter, der an | |
Abenden wie diesen sonst teilzunehmen pflegt, hat sich kurzfristig | |
entschuldigt - er müsse zu Hause seine Familie trösten und besänftigen, | |
heißt es. Es wird gerätselt über die Motive. Dass es bei der Entscheidung | |
von Verlegerin Ulla Unseld-Berkéwicz nicht darum geht, worüber sie in ihrem | |
ob seiner Wirrheit in Frankfurt schon legendär gewordenen 3sat-Interview am | |
Vortag gesprochen hat - darüber ist man sich einig. Berlin sei das Labor | |
und da müsse Suhrkamp hin. Kaum vorstellbar, dass in der Szenestadt Berlin | |
der Suhrkamp Verlag plötzlich zu einem Szeneverlag wird. Und man wolle an | |
das Berlin vor 1945 anknüpfen. Vor 1945, wie bitte? Da war doch noch was. | |
Macht und Geld, darum geht es immer. Jemand hat sich erkundigt und weiß es | |
genau: Durch den Verkauf des Frankfurter Verlagshauses werde die Verlegerin | |
an Geld kommen, mit dem sie ihre Einlage in der Kommanditgesellschaft | |
erhöhen könnte. Dann müssten die anderen Anteilseigner mitziehen. Dafür | |
allerdings würden, so wird weiter spekuliert, dem ungeliebten Stiefsohn die | |
Mittel fehlen, wodurch er gezwungen wäre, billig zu verkaufen. Wie genau | |
sich das mit der Kommanditgesellschaft verhält, weiß aber niemand. So ist | |
das mit Suhrkamp - man redet gerne mit. Einen Neuanfang ohne Ballast, so | |
eine andere Stimme, wolle der Verlag unternehmen, befreit von der Last | |
Siegfried Unselds. | |
Die Stimmungslage in der Stadt reicht von Fassungslosigkeit bis Zorn. Zorn | |
allerdings nicht auf den Suhrkamp Verlag und seine Geschäftsführung - dass | |
ein Wirtschaftsunternehmen seinen Bestand sichert und wirtschaftliche | |
Vorteile nutzen darf und muss, ist auch in diesen emotional besetzten Tagen | |
mittlerweile Konsens geworden. Die Frankfurter Wut richtet sich gegen die | |
Politik - gegen die eigene wie auch gegen die Berlins. Dass der Frankfurter | |
Kulturdezernent nun plötzlich abgetaucht sei, wird moniert. Dass die | |
Frankfurter Politik (wie auch schon beim gerade noch abgewendeten Umzug der | |
Buchmesse nach München vor einigen Jahren) in einer Mischung aus Lethargie | |
und Selbstzufriedenheit zu spät den tatsächlichen Ernst der Lage erkannt | |
habe. | |
Dass überhaupt diese Zäsur im Frankfurter Verlagsleben Anlass sein müsse, | |
prinzipiell über die Ausrichtung der Kulturpolitik und Kulturförderung | |
nachzudenken. Die alten, gewachsenen Strukturen der Bonner Republik sind | |
zersprengt - diese Erkenntnis ist nun auch in Frankfurt angekommen, wo, wie | |
kritisiert wird, Literaturpolitik sich auf die Organisation von Festivals | |
konzentriere. Wer mit der Sogkraft Berlins mithalten wolle, müsse sich | |
etwas einfallen lassen. | |
Und nochmal die Politik: Ein anderer Gast des Abends fordert ein Eingreifen | |
des Hessischen Ministerpräsidenten - schließlich würden die hessischen | |
Gelder des Länderfinanzausgleiches geradewegs in die Finanzierung des | |
Suhrkamp-Umzuges nach Berlin gesteckt. Dass die Stadt Frankfurt ernsthaft | |
erwäge, die Unseld-Villa in der Klettenbergstraße zu kaufen, zu renovieren | |
und dann in Erbpacht an Suhrkamp zurückzugeben, sei ein Skandal. Sollen sie | |
doch gehen, heißt es trotzig, dann aber auch richtig. Pragmatisch, wie es | |
ihre Art ist, gehen die Frankfurter mit der Situation dann aber doch um: | |
Eine Stunde nach der Verkündung des Umzuges, so erzählt eine | |
Suhrkamp-Mitarbeiterin, habe ihr Telefon geklingelt: Da werde doch nun eine | |
Wohnung frei im kommenden Jahr, ob man da nicht schon einen | |
Besichtigungstermin...? So weit sind wir noch nicht. | |
9 Feb 2009 | |
## AUTOREN | |
Christoph Schröder | |
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