# taz.de -- Unterleibskrankheit bei Frauen: Endlich Endometriose ernst nehmen | |
> Die Ampel will zwar Gendermedizin stärken, gegen eine der häufigsten | |
> Frauenkrankheiten tat sich bisher jedoch nichts. Eine Petition macht nun | |
> Druck. | |
Bild: Die genauen Ursachen für Endometriose sind bisher nicht bekannt | |
BERLIN taz | Im Koalitionsvertrag der neuen Regierung steht zwar, dass | |
Gendermedizin Teil der medizinischen Ausbildungen und im Studium werden | |
soll. Zu Endometriose ist bei den drei Ampelfraktionen jedoch nach dem | |
Regierungswechsel nichts zu finden. Das war der politische Stand, als | |
Theresia Crone Ende Januar [1][eine Petition ins Internet stellte]: | |
#EndEndosilence – für eine nationale Endometriosestrategie. | |
Nach 48 Stunden war die Schwelle von 50.000 Unterschriften bereits | |
geknackt. Jetzt, zwei Wochen später, haben mehr als 90.000 Menschen | |
unterzeichnet. Damit habe sie nicht gerechnet, sagt die 19-Jährige der taz. | |
„Wir waren komplett überrascht und überwältigt.“ | |
Die grüne Bundestagsabgeordnete Kappert-Gonther hatte schon im Oktober 2021 | |
von der alten Bundesregierung schriftlich abgefragt, was diese gegen | |
Endometriose unternommen habe. Die Antwort war relativ kurz. Man verwies | |
darauf, dass man Informationen gesammelt und bereitgestellt habe, beim RKI | |
und auf drei weiteren staatlichen Webseiten. Das Gesundheitsministerium | |
habe außerdem 2019 ein entsprechendes Symposium gefördert. Darüber hinaus | |
seien bei dieser Krankheit Selbsthilfeinitiativen besonders wichtig. | |
Endometriose, eine der häufigsten Unterleibserkrankungen bei Frauen (und | |
trans, inter und nicht-binären Personen mit Uterus), ist recht unbekannt. | |
Zum Beispiel fehlt es an Aufklärung, damit Ärzt*innen die Krankheit, | |
welche meist starke Schmerzen während der Regelblutung verursacht, | |
erkennen. Oder an Geld: für bessere Therapiemöglichkeiten, zum Beispiel, | |
und für Grundlagenforschung. Endometriose ist mit 40.000 neuen Diagnosen | |
pro Jahr die zweithäufigste gynäkologische Erkrankung in Deutschland. Zwei | |
Millionen Menschen leiden unter der Krankheit. Die Ursache? Immer noch | |
unbekannt. | |
Theresia Crone ist selbst betroffen. Gemeinsam mit der | |
Endometriose-Vereinigung e. V. fordert sie von der Bundesregierung und | |
Gesundheitsminister Lauterbach eine Aufklärungskampagne, bundesweite | |
Fördergelder für Forschung und einen „nationalen Aktionsplan“ zu | |
geschlechtergerechter Medizin. | |
## Bisher unklar, was die Krankheit auslöst | |
Bei Endometriose handelt es sich um eine chronische Erkrankung. Gewebe, das | |
der Gebärmutterschleimhaut ähnelt, wuchert außerhalb der Gebärmutter im | |
Körper, zum Beispiel an den Eierstöcken, im Becken und im Bauchraum. | |
Die gutartigen Wucherungen, auch Endometrioseherde genannt, können überall | |
im Körper wachsen. Sie äußern sich über schwere Menstruationsschmerzen, | |
treten aber auch unabhängig vom Zyklus in Bauch, Rücken, Beinen und | |
Unterleib auf. Toilettengang kann schmerzhaft sein, genau wie | |
Geschlechtsverkehr; die Endometrioseherde bilden Zysten, die stark bluten | |
können. Folgen von Endometriose können Organschäden und ungewollte | |
Kinderlosigkeit sein, verbunden mit psychischen Erkrankungen. | |
Weil nicht bekannt ist, was die Krankheit auslöst, [2][können therapeutisch | |
nur Symptome gelindert werden], oft mit starken Schmerzmitteln; auch werden | |
die Endometrioseherde häufig operativ entfernt. Betroffene erzählen nicht | |
nur von den teilweise unerträglichen Schmerzen, die sie als sehr belastend | |
empfinden. Eine zweite Belastung kommt noch dazu. Denn bis zu einer | |
Diagnose vergehen in Deutschland laut RKI durchschnittlich zwischen sechs | |
und zehn Jahren. | |
Viele berichten davon, dass sie in dieser Zeit der Unklarheit von | |
Ärzt*innen nicht ernst genommen wurden. „Ich konnte nur noch mit Opiaten | |
schlafen“, erinnert sich auch Theresia Crone, „und trotzdem habe ich von | |
medizinischem Fachpersonal so Sachen gehört wie: ‚Das sind normale | |
Schmerzen für eine Frau‘ oder ‚Du übertreibst‘.“ | |
## Die Politik sucht das Gespräch | |
In der medizinischen Versorgung gibt es eine geschlechtsspezifische | |
Verzerrung: den Gender Bias. Medizinische Forschungsergebnisse gelten | |
häufig nur für cis-Männer, genauso wie es zu 90 Prozent Männer sind, die in | |
Deutschland über Inhalte und Lehrpläne im Medizinstudium entscheiden. | |
„Ich bin dankbar, dass Betroffene wie Theresia Crone Druck machen und auf | |
diese Schieflage hinweisen“, sagt die Gesundheitspolitikerin Saskia | |
Weidenhaupt (Grüne). Auch aus dem Gesundheitsministerium heißt es, es sei | |
ein Anliegen, die von Endometriose Betroffenen zu unterstützen: „Mit den | |
Forderungen wird sich das BMG auseinandersetzen und auch den Fortgang des | |
geplanten nationalen Plans zur Endometriose in Frankreich verfolgen.“ Was | |
man konkret tun will, bleibt unklar. | |
In Frankreich hatte Emmanuel Macron im Januar in einer eigens produzierten | |
Video-Ansprache verkündet, Endometriose sei ein gesamtgesellschaftliches | |
Problem. Der französische Aktionsplan sieht Schulungen für medizinisches | |
Personal vor, Fachzentren und ein im Gesundheitsministerium angesiedeltes | |
Forschungsteam. | |
Etwas Vergleichbares in Deutschland wünscht sich Theresia Crone. „Es muss | |
ja nicht gleich vom Bundeskanzler kommen“, sagt sie, „aber von der | |
Regierung erwarte ich ganz klar, Endometriose als gesellschaftliches | |
Problem anzuerkennen.“ Das Feedback aus der Politik sei ausschließlich | |
positiv, man suche das Gespräch. | |
Auch zahlreiche Betroffene hätten sich gemeldet, sagt Crone. „Es ist | |
richtig cool zu sehen, dass so viele Menschen, die in ihrem Leiden bisher | |
nicht gehört wurden, jetzt zum ersten Mal in ihrem Leben die Hoffnung | |
haben, dass sich etwas ändern könnte. Und die Hoffnung habe ich natürlich | |
auch.“ | |
9 Feb 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Petition-der-Woche/!5830462 | |
[2] /Gynaekologische-Erkankung-Endometriose/!5797757 | |
## AUTOREN | |
Benjamin Weber | |
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