Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Gynäkologische Erkankung Endometriose: Unerforschter Schmerz
> Endometriose hat zuletzt viel Aufmerksamkeit bekommen. Doch in
> medizinischem Fortschritt schlägt sich das bislang nicht nieder.
Bild: Chronische Unterbauchschmerzen sind nur eines der Symptome von Endometrio…
Ohne Tampon und Binde habe ich lange Zeit gar nicht mehr das Haus
verlassen“, erzählt Jasmin Linder der taz. „Meine Periode war so stark,
dass ich zeitweise stündlich den Tampon wechseln musste. Und selbst wenn
ich nicht meine Periode hatte, konnte ich jederzeit Zwischenblutungen
bekommen.“ Die 37-jährige Lehrerin, die ihre Krankheitsgeschichte mit der
taz unter der Bedingung der Anonymität teilt, hat seit dem 11. Lebensjahr
ihre Periode. Stark war sie schon immer, doch im Laufe der Jahre wurde sie
immer stärker und die Schmerzen schlimmer. „Ich war nur noch schlecht
gelaunt, hatte Bauchkrämpfe, Rückenschmerzen und Durchfall. Irgendwann habe
ich mich in meinem Körper einfach nicht mehr wohl gefühlt. Es gab Tage, da
waren die Schmerzen so extrem, dass ich nicht mehr aufstehen konnte“, sagt
Linder.
Sie fehlt immer mal wieder in der Schule, später auch bei der Arbeit.
„Manchmal lag ich einfach drei Tage am Stück im Bett, konnte mich nicht
einmal mehr waschen, weil ich so k. o. von den Schmerzen war“, sagt Linder.
Das kann doch nicht normal sein, denkt sie sich. Doch verschiedene
Frauenärzt:innen erzählen ihr, so sei das eben mit Periodenschmerzen,
sie solle einfach Schmerzmittel nehmen. „Das hab ich gemacht, irgendwann
Ibuprofen 600, fast täglich.“ Aus der Frustration heraus, von ihren
Ärzt:innen nicht ernst genommen zu werden, beginnt sie selbst zu
recherchieren und besucht ein Kinderwunsch- und Endometriosezentrum in
Berlin. „Vor Ort bin ich in Tränen ausgebrochen, weil ich endlich das
Gefühl hatte, hier ist jemand, der mich ernst nimmt und meine Schmerzen
einordnen kann.“, sagt Linder.
Wenig später dann die endgültige Diagnose. Bei einer Operation an der
Gebärmutter werden bei Linder Endometrioseherde entdeckt – und gleich
entfernt. „Dann hatte ich die endgültige Bestätigung: Meine Regelschmerzen
sind nicht normal, ich habe Endometriose.“ Doch geheilt ist Linder trotz
allem nicht.
Endometriose ist eine chronische Krankheit, bei der Gewebe ähnlich der
Gebärmutterschleimhaut außerhalb der Gebärmutter vorkommt. Solche
Endometrioseherde siedeln sich an Eierstöcken, Darm oder Bauchfell an und
können während des Zyklus wachsen und bluten. Betroffene berichten unter
anderem von starken Unterbauchschmerzen, Schmerzen beim Stuhlgang oder beim
Sex und ungewollter Kinderlosigkeit. Laut dem aktuellen
[1][Frauengesundheitsbericht des Robert-Koch-Instituts] ist jede zehnte
Frau an Endometriose erkrankt. Obwohl die Krankheit schon seit über hundert
Jahren bekannt ist und so viele davon betroffen sind, ist das Wissen über
die Krankheit vergleichsweise gering.
## Dokus, Selbsthilfegruppen und Prominente, die aufklären
Doch in den vergangenen Jahren hat die gynäkologische Krankheit viel
Aufmerksamkeit bekommen. Die Zahl der Selbsthilfevereine ist gestiegen, in
sozialen Medien tauschen sich Betroffene über ihre Beschwerden und mögliche
Therapien aus. Kürzlich haben in Deutschland und Österreich mit „nicht die
regel“ und „Endo gut, alles gut“ zwei Dokumentarfilme von Betroffenen
Premiere gefeiert. Und auch in der klassischen Berichterstattung wird
vermehrt über das Krankheitsbild aufgeklärt.
Dass die Krankheit in den letzten Jahren bekannter geworden ist, liegt auch
an Prominenten wie Lena Dunham, die ihre Erfahrungen mit der Öffentlichkeit
teilen. [2][Im Februar 2018 schrieb sie einen Text für die Vogue ] über
ihre Hysterektomie – also das Entfernen von Gebärmutter und Eileiter. Eine
schwierige Entscheidung für Dunham, aber ihr Schmerz der letzten 11 Jahre
sei größer gewesen als der Wunsch, Mutter zu werden. Am Sonntag
veröffentlichte die US-Komikerin und Schauspielerin Amy Schumer ein Video
aus dem Krankenhausbett heraus bei Instagram. Darin erzählt sie, dass sie
sich gerade wegen ihrer Endometriose die Gebärmutter und einen Teil des
Blinddarms entfernen lassen hat.
„Eine Hysterektomie kann bei vielen Betroffenen die Schmerzen stark
lindern. Doch für viele Frauen kommt dieser Weg nicht in Frage.“ Auch im
deutschsprachigen Raum äußern sich vermehrt Prominente zu dem Thema. Eine
von ihnen ist die ehemalige GNTM-Teilnehmerin Anna Wilken, die in ihrem
Buch und bei Instagram von ihrer Krankheit erzählt – und dort auch ihren
Kinderwunsch behandelt.
## Keine neuen Diagnose- oder Therapieformen
Die Frage, ob sich die größere Bekanntheit der Krankheit in der
Gesellschaft auch positiv auf die medizinische Entwicklung bezüglich
Diagnose und Therapieformen auswirkt, beantwortet Sylvia Mechsner mit einem
klaren „Nein“. Mechsner ist Gynäkologin und Leiterin des
Endometriose-Zentrums an der Charité Berlin. „Die Diagnose findet immer
noch Jahre verzögert statt, es gibt keine neuen Medikamente, und viele
Gynäkologen sind noch immer nicht gut genug geschult“, führt Mechsner
weiter aus.
Auch die Endometriose-Vereinigung, eine bundesweite Selbsthilfeorganisation
mit knapp 3.000 Mitgliedern, sieht wenig Fortschritt in der Forschung und
bemängelt vor allem die mangelnde Bereitschaft des Bundes, daran etwas zu
ändern. [3][Laut einer Anfrage von „Frag den Staat“] an das
Bundesministerium für Bildung und Forschung gab es in den letzten 20 Jahren
nur 500.000 Euro Forschungsgelder. „Es ist offensichtlich, dass dieser
Betrag bei Weitem nicht ausreicht“, schreibt die Vereinigung in einem
15-stufigen Forderungskatalog, den sie im Juni im Zuge der anstehenden
Bundestagswahl an die Politik gestellt hat.
Je nach Studie liegen im Schnitt immer noch 7 bis 10 Jahre zwischen dem
Aufkommen der Erkrankung und der Diagnose. Dabei ist es gerade bei
Endometriose wichtig, diese frühzeitig zu erkennen und zu behandeln, um
Folgebeschwerden aufzuhalten. Laut Mechsner ist es für viele
Frauenärzt:innen immer noch ein großes Problem, zwischen normalen
Periodenschmerzen und Endometriose zu unterscheiden. „Früher wurde sich oft
darauf ausgeruht, dass man eine Bauchspiegelung machen müsse, um die
Krankheit zu diagnostizieren. Doch das ist eine Ausrede.“, sagt Mechsner.
Durch ausführliche Gespräche und klinische Untersuchungen wie Abtasten und
einen vaginalen Ultraschall könne in den meisten Fällen eine
Verdachtsdiagnose gestellt und mit der Behandlung begonnen werden. Doch was
durch einen Ultraschall alles sichtbar gemacht werden kann, muss gelernt
werden. Laut Mechsner müssen Gynäkologen in dieser Hinsicht deutlich besser
geschult werden. Ein weiteres Problem sei die Zeit beziehungsweise das
Geld. „Ein Erstgespräch mit einer Endometriose-Patientin dauert eine
Stunde. Diese Zeit haben niedergelassene Frauenärzte aber nicht. Sie haben
10 Minuten Zeit für eine Patientin, danach arbeiten sie nicht mehr
wirtschaftlich. Das ist die harte Realität“, sagt Mechsner. Damit sich die
Versorgungslage für die Patient:innen verbessert, plädiert Mechsner für
ein neues Abrechnungssystem bei den Kassen.
## Das Problem der ungewollten Kinderlosigkeit
Vielen Betroffenen geht es wie Linder – die Diagnose ist für sie eine große
Erleichterung. Doch da die Ursachen der Erkrankung bis heute noch nicht
vollkommen klar sind, können Therapien bislang nur die Symptome behandeln.
Und sie wirken in vielen Fällen nur temporär. Linder hat schon einige
hinter sich: Schmerztabletten, eine operative Entfernung der
Endometrioseherde und die langjährige Einnahme der Pille. „Am Anfang haben
die Therapien bei mir meistens gewirkt, doch nach einiger Zeit gingen die
Blutungen und Schmerzen bei mir trotz der Einnahme der Hormonpräparate
wieder los“, sagt Linder. Erst nachdem sie Kinder bekommen habe, hat sich
die Situation etwas gebessert. Nach ihrer ersten Geburt waren die Schmerzen
fast komplett weg; seitdem sie vor zehn Monaten ihr zweites Kind bekommen
hat, sind die Schmerzen wieder da – aber bislang nur während der Periode.
Dass Linder trotz ihrer Erkrankung auf natürlichem Wege zweimal schwanger
werden konnte, ist keine Selbstverständlichkeit. Kurz nach ihrer Diagnose
wollte sie eine Weltreise mit ihrem Freund machen. Eine Ärztin riet ihr
davon ab, sie solle sich lieber auf ihren Kinderwunsch konzentrieren. „Ich
habe die Reise dann trotzdem gemacht, ich war noch gar nicht bereit für ein
Kind, doch der Rat meiner Ärztin blieb natürlich immer im Hinterkopf, was
eine ziemliche psychische Belastung war“, sagt Linder. Das Risiko der
Unfruchtbarkeit ist bei Endometriose-Erkankten deutlich höher, ebenso von
Komplikationen der Schwangerschaft. Wie viel höher die Risiken sind, hängt
von der Schwere der Krankheit ab. Doch für viele ist das Thema eine
zusätzliche psychische Belastung, die sie neben ihren Schmerzen haben.
Viele Expert:innen fordern daher, Endometriose-Patient:innen
ganzheitlich zu behandeln: Also neben Therapien, die die Symptome lindern
sollen, auch Psycho- und Physiotherapien anzuwenden. Mechsner sagt: „Auch
eine Ernährungsumstellung oder Yoga können den Betroffenen helfen, weil es
ihnen auch ein bisschen Macht gibt, selbst etwas zu tun.“
Auch wenn noch immer viel Forschung, neue Diagnose- und Therapieformen
fehlen, gibt es schon eine ganze Menge Wissen zur Krankheit. Doch dieses
Wissen muss eben auch bei neuen Patientinnen ankommen, und Diagnosen müssen
schnell gestellt werden. Das ist eine Sache, für die Mechsner gerade mit
Kolleg:innen kämpft. Sie möchten eine App für junge Frauen entwickeln,
die Informationen über den Zyklus und den Regelschmerz sowie Strategien wie
Ernährung, Entspannungs- und Sportübungen, die gegen Regelschmerz helfen
können, liefert. Erkennen die User:innen der App, dass ihr Schmerz
pathologisch ist, sollen sie in ein Früherkennungsprogramm eingeladen
werden. Das Programm würde dann ein einstündiges Gespräch mit einer Ärztin
und Jugendpsycholog:in sowie anschließend Ernährungsberatung und
Physiotherapie beinhalten.
20 Sep 2021
## LINKS
[1] https://www.rki.de/DE/Content/Gesundheitsmonitoring/Gesundheitsberichtersta…
[2] https://www.vogue.com/article/lena-dunham-hysterectomy-vogue-march-2018-iss…
[3] https://fragdenstaat.de/anfrage/aufstellung-der-fordergelder-fur-erforschun…
## AUTOREN
Carolina Schwarz
## TAGS
Gynäkologie
Krankheit
Feminismus
Medizin
GNS
IG
Podcast „Vorgelesen“
Gynäkologie
Forschungsförderung
IG
Schwerpunkt Bayer AG
Kolumne Krank und Schein
Studiengang Medizin
## ARTIKEL ZUM THEMA
Diagnose von Endometriose: Übertreibe ich? Nein!
Immer häufiger wird bei Menschen mit Uterus Endometriose festgestellt. Das
ist ein Beweis für das längst überfällige Umdenken in Sachen Schmerz.
Forschung zu Endometriose: Ist ein Bakterium die Ursache?
Endometriose ist eine der häufigsten gynäkologischen Erkrankungen, aber ein
Rätsel. Forschende haben einen möglichen Auslöser gefunden.
Unterleibskrankheit bei Frauen: Endlich Endometriose ernst nehmen
Die Ampel will zwar Gendermedizin stärken, gegen eine der häufigsten
Frauenkrankheiten tat sich bisher jedoch nichts. Eine Petition macht nun
Druck.
Klage gegen Bayer: Wie gefährlich ist die Pille?
Seit zehn Jahren liegt Felicitas Rohrer mit dem Pharmakonzern wegen dessen
Verhütungspille im Rechtsstreit. Bisher erfolglos. Nun geht sie in
Berufung.
Geschlechtersensible Medizin: Eine Frau ist kein Mann plus Hormone
Der Maßstab der meisten medizinischen Studien ist immer noch der
75-Kilo-Mann. Dabei könnte eine geschlechtersensiblere Medizin Leben
retten.
Schwangerschaftsabbrüche und Medizin: Bloß nicht drüber reden!
Abtreibungen fristen in der Medizin ein Schattendasein. Weder im Studium
noch in der Weiterbildung werden sie ausreichend behandelt.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.