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# taz.de -- Klage gegen Bayer: Wie gefährlich ist die Pille?
> Seit zehn Jahren liegt Felicitas Rohrer mit dem Pharmakonzern wegen
> dessen Verhütungspille im Rechtsstreit. Bisher erfolglos. Nun geht sie in
> Berufung.
Bild: Macht die Antibabypille „Yasminelle“ für schwere Schäden verantwort…
Berlin taz | Felicitas Rohrer war 25 Jahre alt, sportlich und gesund und
hatte gerade ihre Ausbildung als Tierärztin beendet, als sie mit einer
beidseitigen Lungenembolie und einem Herzstillstand in die Uniklinik
Freiburg eingeliefert wurde. 2009 war das, [1][Rohrer wäre fast gestorben].
Sie führt das auf Nebenwirkungen der Verhütungspille „Yasminelle“ mit dem
Wirkstoff Drospirenon zurück, die von dem Chemie- und Arzneimittelriesen
Bayer AG vertrieben wird. Im Jahr 2011 verklagte Rohrer den Konzern, der
bestreitet die Vorwürfe. Am Dienstag geht der Rechtsstreit weiter.
[2][Rohrers Fall] ist ein Präzedenzfall: Zum ersten Mal wurde in
Deutschland eine Klage gegen Bayer zugelassen, bei der es um die
Nebenwirkungen eines Medikaments geht. Ende 2018 hatte das Landgericht
Waldshut-Tiengen Rohrers Klage auf Schadenersatz und Schmerzensgeld von
mindestens 200.000 Euro abgewiesen.
Ihre gesundheitlichen Probleme seien nicht zweifelsfrei auf die Einnahme
der Pille zurückzuführen, so das Gericht damals. Am 4. Mai steht die
Berufung vor dem Oberlandesgericht Karlsruhe an. Wegen der Pandemie findet
die mündliche Verhandlung im Landgericht Freiburg statt.
## „Irreparable Schäden“
„Das wird ein verdammt wichtiger Tag für mich“, sagte die heute 36-Jährige
der taz, die gesundheitlich für immer beeinträchtigt sein wird. Medikamente
und Kompressionsstrümpfe sind Teil ihres Lebens, sie kann weder lange
stehen noch lange sitzen. Da sie nicht mehr schwer heben darf, kommt eine
Arbeit als Tierärztin nicht in Frage, Rohrer arbeitet heute als
freiberufliche Journalistin. „Ich habe irreparable Schäden und muss mein
Leben meinem Körper anpassen“, sagt sie.
Angehört werden soll bei der Berufungsverhandlung zunächst ein
Gefäßmediziner. Derselbe hat bereits vor dem Landgericht ausgesagt, dass
die Pille mindestens mitursächlich für Rohrers schwere Erkrankung war.
Bayer hingegen argumentiert, dass auch ein bereits Monate zuvor
unternommener Flug Rohrers nach Thailand ursächlich gewesen sein könnte.
Die Pille ist das am [3][weitesten verbreitete Verhütungsmittel] in
Deutschland und Europa. Gerade an Pillen der sogenannten dritten und
vierten Generation allerdings, die seit den 1990er Jahren auf den Markt
kamen und zu denen Yasminelle gehört, gibt es seit Langem Kritik. Bekannt
ist, dass speziell diese ein höheres Thromboserisiko haben als die der
vorherigen zweiten Generation, was Bayer mittlerweile auch auf dem
Beipackzettel erwähnen muss.
Der „Pillenreport“ der Techniker Krankenkasse (TK) und der Uni Bremen
problematisiert allerdings die Strategien der Pharmaindustrie, „diese
Risiken geringfügig erscheinen zu lassen“: Gerade für junge Mädchen werden
die häufig verordneten Pillen dieser Generation über Beautytipps für schöne
Haut oder Haare wie ein Lifestyleprodukt vermarktet.
## Frankreich weiter
Offizielle Zahlen zu Thrombosen und Lungenembolien im Zusammenhang mit der
Pille gibt es in Deutschland nicht. In Frankreich allerdings wurde den
Pillen der dritten und vierten Generation schon 2013 die
Erstattungsfähigkeit durch das öffentliche Gesundheitswesen entzogen, was
zu einem Verordnungsrückgang um 45 Prozent führte. „Parallel dazu“, heißt
es im Bericht der TK, sanken die Klinikaufnahmen aufgrund von
Lungenembolien bei 15- bis 19-jährigen Frauen um fast 30 Prozent.
In den USA wiederum zahlte die Bayer AG bereits mehr als 2 Milliarden
Dollar Entschädigung an rund 10.000 Klägerinnen, die durch Thrombosen und
Lungenembolien zum Teil schwer geschädigt worden waren. Die dortigen
Sammelverfahren spielen für deutsche Gerichte keine Rolle. Rohrers Anwalt
allerdings vertritt weitere Frauen in Deutschland, die wegen der Pille
gegen Bayer klagen. Deren Verfahren befinden sich noch in Vorstufen.
Zusammen mit einer weiteren Geschädigten hat Rohrer die Initiative „Risiko
Pille“ gegründet. Auf deren Website veröffentlicht sie Hunderte
Erfahrungsberichte von Frauen, die erlittene Thrombosen und Embolien mit
den risikoreicheren Pillen in Verbindung bringen. „Wir sind
Ansprechpartnerinnen für die Frauen, wollen aufklären und politisch Druck
machen“, sagt sie. Es sei ein Mythos, dass es nur Einzelfälle seien, in
denen Frauen von der Pille geschädigt wurden.
„Ich will, dass ein derart großer Konzern wie Bayer Verantwortung für die
Medikamente übernehmen muss, die er auf den Markt bringt“, sagt Rohrer. Was
ihre Erwartung an die Verhandlung vor dem Oberlandesgericht angehe, sei sie
dennoch zurückhaltend. Immerhin sei sie schon vor dem Landgericht der
Überzeugung gewesen, dass die Faktenlage „erdrückend“ gewesen sein müsse.
## Bayer: Mitgefühl ja, Schadensersatz nein
Eine Sprecherin des Konzerns Bayer, der 2020 einen weltweiten Jahresumsatz
von rund 41,4 Milliarden Euro erzielte, antwortet auf Anfrage, man habe
„großes Mitgefühl mit dem Schicksal von Frau Rohrer“. Die geltend gemacht…
Ansprüche halte das Unternehmen gleichwohl für unbegründet.
Ein Urteil wird am Dienstag nicht erwartet.
3 May 2021
## LINKS
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## AUTOREN
Patricia Hecht
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