| # taz.de -- Neuübersetzung von „Die Farbe Lila“: Schreiben als Selbstermä… | |
| > Klassiker über Segregation in den USA: Alice Walkers Roman „Die Farbe | |
| > Lila“ wird in seiner neuen Übersetzung dem lakonischen Ton der Vorlage | |
| > gerecht. | |
| Bild: Ein Barbecue, rassistisch getrennt entlang der Colorline im US-Südstaat … | |
| Die uns lieben, lassen uns mit unserem Schmerz nie allein. Sie zeigen uns | |
| unsere Wunde, und zugleich eröffnen sie uns, dass sie das Heilmittel | |
| haben“, hat die afroamerikanische Schriftstellerin Alice Walker 2018 [1][im | |
| Vorwort zu „Barracoon“ postuliert], der Feldforschung von Zora Neale | |
| Hurston über den letzten als Sklaven auf einem Schiff in die USA | |
| verschleppten Afrikaner, der in den späten 1920ern noch im Süden des | |
| Landes, im Bundesstaat Alabama, lebte. | |
| Alice Walker stammt ebenfalls aus dem Süden, sie wuchs in Eatonton, | |
| Georgia, auf. Und sie ist diejenige, die das Werk der afroamerikanischen | |
| Schriftstellerin und Wissenschaftlerin Zora Neale Hurston wiederentdeckt | |
| hat. 1973, als junge, noch unbekannte Autorin und Redakteurin des | |
| feministischen, von [2][Gloria Steinem] herausgegebenen Magazins MS in New | |
| York, publizierte sie ein Essay, das Hurston, die 1960 verstorben und dann | |
| in Vergessenheit geraten war, mit einem Schlag wieder bekannt gemacht hat. | |
| Walker half, sie als gleichberechtigte weibliche Stimme der männlichen | |
| Künstler-Gemeinschaft [3][Harlem Renaissance] und als selbstbestimmte | |
| schwarze Autorin ins Gedächtnis zu rufen. Und sie sammelte Spenden, damit | |
| Hurston, die zuletzt als Krankenschwester arbeitete und in einem Armengrab | |
| beigesetzt worden war, einen Grabstein erhielt. | |
| ## Pulitzerpreisträgerin 1983 | |
| Für „Die Farbe Lila“, 1982 im [4][US-Original] als ihr zweiter Roman | |
| veröffentlicht, wurde Alice Walker im Jahr darauf als eine der ersten | |
| afroamerikanische Autorinnen mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet. In | |
| Deutschland wurde das Werk erst im Zuge seiner Verfilmung durch Steven | |
| Spielberg (mit Whoopi Goldberg in der Hauptrolle) 1986 übersetzt. Nun hat | |
| es Cornelia Holfelder-von der Tann als einen Arbeitsauftrag im Rahmen des | |
| Projekts „Neustart Kultur“ erneut ins Deutsche übertragen. Und sie hat das | |
| sehr sorgfältig getan. Den lakonischen Ton, den das Original vorgibt, hat | |
| sie in einer kunstvollen, aber nie zu aufdringlichen Umgangssprache gut | |
| getroffen. | |
| „Die Farbe Lila“ ist im Süden der USA angesiedelt. Seine Handlung zieht | |
| sich von 1900 bis 1940, durch eine Zeit also, in der | |
| Afroamerikaner:Innen in der US-Gesellschaft durch die Segregation auf | |
| perfideste Weise in allen Belangen des öffentlichen Lebens diskriminiert | |
| wurden und gleichzeitig in die forcierte Industrialisierung als | |
| Arbeitskräfte geworfen und im Ersten Weltkrieg an vorderster Front als | |
| Soldaten in Europa zum Einsatz kamen. Zu Hause wurde vor allem in den | |
| Städten der Ruf nach Teilhabe lauter, während die Segregation dort genau | |
| wie auf dem Land strikt gehandhabt wurde. | |
| In der Folge kam es zu zahlreichen Krawallen, auch Lynchmorde waren bis | |
| weit in die 1930er Jahre an der Tagesordnung. Ehen zwischen Menschen | |
| unterschiedlicher Hautfarbe waren in den USA damals untersagt. Durch die | |
| höchstrichterliche Entscheidung „Plessy vs. Ferguson“ wurde 1896 der 14. | |
| Verfassungszusatz „Alle Bürger sind gleich“ der US-Konstitution de facto | |
| ausgehebelt und durch „separate but equal“ ersetzt. [5][„Rassentrennung�… | |
| galt etwa auf Parkbänken, in Schwimmbädern und Kinos. | |
| ## Separater Eingang | |
| Auch Alice Walker, geboren 1944, musste in ihrer Kindheit noch in Kinos den | |
| „N* Heaven“ genannten separaten Balkon aufsuchen, dort lagen die den | |
| Schwarzen zugewiesenen Oberränge. Die Praxis der Segregation ist auch in | |
| „Die Farbe Lila“ in einer grotesken Situation präsent: Schwarze dürfen | |
| nicht neben Weißen auf dem Beifahrersitz im Auto fahren, sondern müssen | |
| hinten einsteigen. Celie, die Protagonistin, die eine Weile als | |
| Kindermädchen bei einer weißen Frau arbeitet, kann ihrer ahnungslosen | |
| „Herrin“ daher nicht verständlich machen, wie diese den Rückwärtsgang der | |
| Gangschaltung einlegt. | |
| Weiße tauchen in „Die Farbe Lila“ nur in Nebenrollen auf. Bestimmend für | |
| die Handlung sind die dysfunktionalen Familienverhältnisse Celies, die in | |
| einer Kleinstadt im Süden der USA lebt. Nach dem Tod ihrer Mutter wird sie | |
| von ihrem Stiefvater im Teenageralter missbraucht und zweimal geschwängert, | |
| ehe sie von zu Hause rausgeworfen und mit einem anderen Mann verheiratet | |
| wird. | |
| Panisch stellt sich Celie vor ihre jüngere Schwester Nettie, damit dieser | |
| ihr Schicksal erspart bleibt. Und sie versucht, Kontakt zu ihren Kindern zu | |
| halten, die ihr von der Fürsorge weggenommen werden. Aus Verzweiflung über | |
| ihre Machtlosigkeit beginnt sie zu schreiben. | |
| ## Zusammenhänge erschreibend verstehen | |
| Es ist dieser simple Griff, der der Handlung den Kick gibt und Celie als | |
| Figur im Verlauf der Story an sich selbst wachsen lässt: Sie gewinnt die | |
| Herrschaft über ihren Körper zurück. Sie schreibt, wie ihr der Schnabel | |
| gewachsen ist, und sie beginnt – schreibend – Zusammenhänge zu verstehen | |
| und sich selbst in der Gesellschaft zu verorten. Zunächst formuliert sie an | |
| Gott gerichtete kurze Briefe, später an Nettie, die es mithilfe ihrer | |
| Schwester schafft, aus dem wirtschaftlich prekären Leben auszubrechen, die | |
| Schule abzuschließen und mit einer Missionarsfamilie nach Afrika zu gehen. | |
| Celie kann sich der häuslichen Gewaltspirale entziehen: Durch Shug, einer | |
| Bluessängerin und Geliebten ihres späteren Ehemanns Albert, wird sie in | |
| ihrem Selbstbewusstsein gestärkt. Aus Liebe zu dieser schillernden | |
| Künstlerin entwirft sie schließlich Klamotten für die Community. Eine | |
| Entwicklung gesteht Walker sogar Albert, dem Ehemann zu, der sich vom | |
| einfältigen Macho zu einem Menschen wandelt, der Frauen zuhören und ihre | |
| Meinung ernst nehmen kann. | |
| „Die Farbe Lila“ ist ein feministischer Entwicklungsroman, der in den | |
| 1980er Jahren durch seine Darstellung von lesbischer Liebe und häuslicher | |
| Gewalt Kontroversen aufgeworfen hat. Seine Verfilmung durch Steven | |
| Spielberg hat die Rezeption der Romanvorlage in den Schatten gestellt, | |
| damals wurde oftmals auf die afroamerikanischen „Täter-Männer“ Bezug | |
| genommen. | |
| Nur ist „Die Farbe Lila“ ein Buch über weiblichen Selbstschutz, die | |
| Erzählperspektive ist weiblich, die Hauptfiguren sind es auch. Als Walkers | |
| Roman erstveröffentlicht wurde, galt die Zielgruppe für Belletristik in den | |
| USA immer noch in der Hauptsache als weiß. Umso bedeutsamer war der | |
| Mainstream-Erfolg ihres Romans. | |
| Der Literaturwissenschaftler James Snead hat Rassismus einmal als | |
| „normatives Herrschaftsrezept“ bezeichnet, „geschaffen von Sprechern, die | |
| sich rhetorischen Taktiken bedienen“. Alice Walker bringt andere Stimmen | |
| zum Sprechen. Ohne ihr Engagement wäre auch „Barracoon“ von Zora Neale | |
| Hurston nie veröffentlicht worden. | |
| 11 Feb 2022 | |
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| ## AUTOREN | |
| Julian Weber | |
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