| # taz.de -- Lebenszeichen von Londoner Burial: Gegen die Dämmerung | |
| > Der mysteriöse Londoner Dubstep-Produzent Burial ist wieder aufgetaucht | |
| > und veröffentlicht mit „Antidawn“ eine fantastische neue EP. | |
| Bild: Schönes Wetter heute: Burial | |
| Jenseits von allem und frei. „Free, beyond everything“, sagt eine brüchige | |
| Stimme über einem Knistern. Die Worte klingen traurig, sehnend, | |
| schicksalsergeben. Dann setzen warme Klänge ein, sachte pulsiert ein | |
| Drumbeat ganz weit im Hintergrund, es wehen leise Geräusche wie von einer | |
| peitschenden Snare vorbei, ein fernes Echo der Clubmusik. | |
| Darüber legen sich fließende Synthesizer-Vorhänge. „New Love“ von Burial | |
| trifft den süßen Punkt der Melancholie zwischen Traurigkeit und friedlicher | |
| Ruhe in der Anerkennung der eigenen Gefühlswelt, die bezeichnend ist für | |
| die Musik des Londoner Produzenten. Und doch zeigt „Antidawn“, die neue EP | |
| von Burial, auf der „New Love“ einer von fünf Tracks ist, eine neue | |
| Richtung an, in die sich sein Schaffen bewegt. | |
| Fast 45 Minuten misst „Antidawn“ und ist damit die umfassendste | |
| Veröffentlichung des britischen Künstlers seit seinen Alben „Burial“ (200… | |
| und „Untrue“ (2007). Sie machten William Bevan zu einem omnipräsenten | |
| Geist, obwohl lange unklar blieb, welcher Mensch hinter dem Alias Burial | |
| steht. | |
| ## Knisterndes Grundrauschen | |
| Seine Tracks tauchten während der [1][Hochphase von Dubstep] auf und | |
| knüpften mit dem Einsatz von Dub-Elementen wie Hall und Echo an andere | |
| Spielarten des variantenreichen Genres an. Die Wahl der Vocal-Samples, die | |
| durch die Tracks mäandern und oft aus kitschigen R&B-Songs geschnitten | |
| sind, das Grundrauschen und -knistern, wie es beim Abspielen von altem | |
| Vinyl zu hören ist, war Burial eigen. | |
| Mit schnellen Shuffle-Breakbeats knüpfte er deutlich an UK-Garage an, ein | |
| an House angelehntes Subgenre, zog den Stil, der um die Jahrtausendwende | |
| nach kurzem Mainstreamerfolg wieder in der Bedeutungslosgkeit verschwand, | |
| in die Dunkelheit. Wo andere Dubstep-Produzent*innen als Reaktion auf | |
| UK-Garage Drumelemente einsparten und dadurch das Gefühl von | |
| [2][Verlangsamung] erzeugten, beschleunigte Burial die Beats und | |
| intensivierte mit diesem Kontrast zu schwermütigen Synthesizer-Flächen die | |
| Melancholie. | |
| Mit dieser Stimmung, so schrieb der Kulturwissenschaftler Mark Fisher 2006 | |
| auf seinem Blog k-punk, setze sich Burials Musik von der Kargheit ab, die | |
| Fisher in Dubstep-Tracks jener Zeit feststellte, die Menschlichkeit in Hall | |
| komplett auflösen würden. Burial dagegen rücke sie in Form von Vocalsamples | |
| ins Zentrum, verhülle sie. | |
| Durch diese Verhüllung entstehe ein faszinierendes Netz aus Spuren, | |
| erklärte [3][Fisher] in einem Text über Burial, der 2007 für das Magazin | |
| The Wire entstand. (Beide Texte finden sich im Buch „Ghosts of My Life. | |
| Writings on Depression, Hauntology and Lost Futures“). Es sind Spuren, die | |
| in Auflösung begriffen sind und umso mehr darauf drängen, ihnen zu folgen. | |
| ## Verrauschte Erinnerungen | |
| Burial hat nicht nur Stimmen verhüllt. Seine druckvollen Beats wirken wie | |
| verrauschte Erinnerungen an Rave-Musik, die es nie gab. Auf „Antidawn“ sind | |
| die Beats nur noch zu erahnen, als sanftes Pochen. Im Gegensatz zu Singles | |
| und EPs, wie zuletzt beim Track „Chemz“ aus dem Jahr 2021, der eine | |
| pumpende Rave-Collage mit Bezügen zu Techno, UK Garage und Jungle war, | |
| haben die [4][Beats] ihre Körperlichkeit verloren und schweben als | |
| heimgesuchte Geister früherer Tracks durch die Musik. | |
| Nicht nur einmal entsteht das Gefühl, dass sich doch gleich eine Bassdrum | |
| unter die Fläche schieben und sie anheben wird. Es bleibt aus. Die Beats | |
| sind als Treppengeländer, das in den leer stehenden ehemaligen Keller-Club | |
| führte, verschwunden. Stattdessen tauchen immer wieder Orgeln auf, die mal | |
| beklemmend wie das Titelstück, mal beinahe optimistisch wie „New Love“ | |
| klingen. Die vernebelten Orgel-Melodien sind eingängig, eher erinnern sie | |
| verschwommen an nostalgische Popsongs denn an die Euphorie von Raves. | |
| Noch mehr als in der Vergangenheit sind in den Hörstücken, die immer wieder | |
| musikalische Abzweigungen nehmen, geisterhafte Stimmen wegweisend. Die | |
| meisterhaft bearbeiteten und arrangierten Vocal-Samples erzählen von | |
| Gefühlen, die in ihrer gepitchten Geschlechtslosigkeit und hallenden | |
| Entgrenzung wie so oft bei Burial in ihrer fragmenthaften, universellen | |
| Schlagwortartigkeit in die eigene Lebenswelt sprechen. | |
| Sagt eine Stimme „I’m in a bad place“, „come oh my love, take me into t… | |
| dark“, antwortet eine andere „let me hold you“. Auch wenn „Antidawn“ … | |
| vollständiges Album ist und mit der Abwesenheit von Beats und den brüchigen | |
| Umschwüngen beim Hören Geduld erfordert, fühlt sich die Musik wie Burial | |
| an. Jenseits von allem, frei, aber nie allein. | |
| 28 Jan 2022 | |
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| ## AUTOREN | |
| Philipp Weichenrieder | |
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