| # taz.de -- Essays aus dem Nachlass von Mark Fisher: Dem Störenden folgen | |
| > In seinen letzten Essays sucht der britische Kulturtheoretiker Mark | |
| > Fisher einen politischen Zugang zum Unzugänglichen. | |
| Bild: „Modi“? „Formen“? „Affekte“? „Genres“? „Ästhetische Ka… | |
| Es ist das große Verdienst von Mark Fisher als Autor und Blogger über Jahre | |
| darauf insistiert zu haben, dass die große Traurigkeit seiner Generation | |
| und die damit verbundenen musikalischen und literarischen Melancholien | |
| politische Ursachen haben, ja mehr als das: so etwas wie eine verwandelte | |
| Politik sind. Dass seine eigene Depression so unerträglich wurde, dass er | |
| sich das Leben nahm, macht es schwer, über seine Ideen zu schreiben, ohne | |
| an deren existenzielle Dringlichkeit zu denken, ihre Funktion als | |
| mobilisierte Notwehr gegen die tödliche Zersetzung durch das „ursprüngliche | |
| Gefühl der Wertlosigkeit“, das die Klassengesellschaft bei ihren Opfern | |
| hinterlasse – und so als Rezensent jeden Abstand zu verlieren. | |
| Doch das Persönliche steht bei seinem jetzt auf Deutsch posthum erschienen | |
| Buch, „Das Seltsame und das Gespenstische“ zunächst nicht so im | |
| Vordergrund. Es handelt sich um eine Sammlung von Essays zu Büchern, Filmen | |
| und Musik, die mit den beiden Kategorien in Zusammenhang steht, die im | |
| Original „Weird“ und „Eerie“ heißen. | |
| Diese Originalbegriffe sind denn auch bei Weitem trennschärfer als die | |
| deutschen Übersetzungen. Das deutsche Seltsame umfasst ja auch kleinere | |
| Irritationen als das „Weirde“, etwa das Ungewöhnliche, Fremde und das | |
| deutsche Gespenstische wäre doch eher „spectral“ oder zum „ghost“ geh�… | |
| „Eerie“ wäre als erstes „unheimlich“, aber das wiederum geht nicht, de… | |
| das ist ja vergeben an Doktor Freud und heißt auf Englisch „uncanny“ – u… | |
| für Fisher, der Freud nicht folgt, bildet es dennoch eher das Gemeinsame | |
| beider Begriffe, die er eher von ihrer Differenz her denken will: Das | |
| „Seltsame“ basiert auf Dingen, die nicht zusammengehören, das | |
| „Gespenstische“ auf dem, das nicht dazugehört – das könnte sehr leicht … | |
| einander übergehen. Aber gut, Kategorien aus der Alltagssprache sind immer | |
| verunreinigt, man muss sie halt definieren. Doch das geschieht eher | |
| halbherzig – das Nachwort von Christian Werthschulte ist da konziser. | |
| ## In jeder Hinsicht ansteckend | |
| Zunächst bleibt ein wenig unklar, was überhaupt von diesen Kategorien | |
| beschrieben und unterschieden werden soll: Mal sind sie „Modi“, aber auch | |
| „Formen“, dann „Affekte“, dann „Genres“ und auch schon mal „ästh… | |
| Kategorien“, mal lassen sie sich in der Struktur eines Plots lokalisieren, | |
| eher selten in der Rezeption, also dort, wo man nach Affekten suchen würde. | |
| Sie werden auf Filme und Bücher angewandt, aber fast ausschließlich anhand | |
| von Plots und Narration identifiziert, ein Vergleich zwischen „The Shining“ | |
| von Stanley Kubrick und „The Shining“ von Stephen King schaut dann nur, | |
| welche Narrationselemente fehlen oder hinzugefügt wurden – filmischer Stil, | |
| Schreibweisen etc. interessieren nicht. Was etwa nervt, wenn Fassbinders | |
| „Welt am Draht“ nur als Plot referiert wird. Dafür allerdings ist Fisher | |
| immer sehr aufmerksam für alles Musikalische, gerade auch bei Filmen. | |
| Doch gegen das Gefühl, dass hier jemand von Verlag oder Doktorvater | |
| gedrängt wurde, für eine Anthologie oder eine kumulative Dissertation | |
| schnell zwei Kategorien zu entwickeln, mit der sich ein lockeres Bündel von | |
| bereits Veröffentlichtem plausibel zur großen These hochjazzen lässt, liest | |
| man am besten einfach die Texte für sich. Das mühselige | |
| Auseinanderklamüsern von vermeintlichen Kennzeichen der einen Kategorie, | |
| die bei der anderen landen und vice versa hindert einen nur die | |
| inspirierten, dichten Schilderungen von Leserlebnissen zu genießen. Dass | |
| Fisher überwiegend deskriptiv vorgeht, stört dann kein bisschen: Wie er | |
| sich mit ansteckenden Enthusiasmus und Fan-Begeisterung detailreich durch | |
| die Werke von H. G. Wells bis Stanley Kubrick bohrt, ist in jeder Hinsicht | |
| ansteckend. | |
| Überraschendes entsteht dann nämlich doch auch durch das Beharren auf die | |
| einmal ausgerufenen Kategorien: Dass und wie Mark E. Smith und vor allem | |
| ein Album von The Fall („Grotesque [After the Gramme]“), den man doch eher | |
| als diesseitigen Exzentriker und Sozialskeptiker auf der Rechnung hat, in | |
| dieses britische Dämmerpandämonium gehört, wird z. T. auch durch seine | |
| Zuordnung und Nachbarschaften in diesem Band plausibel. | |
| ## Götter oder keine | |
| Man merkt immer wieder, dass Fisher den sogenannten Spekulativen Realisten | |
| nahestand, wenn er sich für das interessiert, was ganz außen ist, jenseits | |
| des menschlichen Bewusstseins. Statt, das nicht Dazugehörige und | |
| Nichtzusammengehörige von innen anzuschauen, will er aus der Perspektive | |
| des Außen auf das Innen schauen: also vom Alien aus auf den irritierten | |
| Rezipienten. Wie schon für einen der Chefdenker der Bewegung, Graham | |
| Harman, aber auch für Michel Houellebecq ist der Gewährsmann für diese | |
| Verbindung und Rundum-Lieblingskünstler der in der Tat zwar seltsame, aber | |
| nicht unbedingt gespenstische amerikanische Sonderling H. P. Lovecraft. | |
| Fisher rechnet ihm hoch an, dass es keine Auflösung, dass er seine „Alten | |
| Wesen“ nicht in Götter verwandelt, sondern auf ihre totale Externalität | |
| besteht. Fragt sich allerdings, ob sie nicht ganz einfach negative, böse | |
| Götter sind – eben Aliens, ganz andere, die widerlich („blasphemisch“) | |
| stinken und reichlich übermenschliche, mithin göttliche Kräfte haben. Gegen | |
| Borges, den Fisher im Vorbeigehen „postmodern“ schmäht – die Postmodernen | |
| mögen die Spek-Realisten gar nicht – argumentiert er, dass Lovecrafts | |
| Fiktionen stets real wirken, während niemand glauben könne, die von Borges | |
| entwickelten Personen hätten je existiert. | |
| Au contraire, würde ich da ja sagen. Tatsächlich haben ja einige von | |
| Borges’ Figuren sogar wirklich existiert, was von Cthulhu und Yog Sothoth | |
| wohl nicht einmal die glauben, die als Fishers Kronzeugen aus der British | |
| Library das „Necronomicon“ ausleihen wollen – welches bei Lovecraft immer | |
| vorkommt. | |
| Trotzdem ist diese Spannweite an Fisher wahnsinnig anziehend, dass er vom | |
| Entferntesten aus zum Politischen zu kommen versucht, ohne banalisierende, | |
| vordergründige Ableitungen: Der empirische Lovecraft mit seiner | |
| nordamerikanisch-weißen Xenophobie interessiert ihn kaum. Fishers Projekt | |
| ist nicht einfach die Rationalität des Irrationalen, sondern dessen | |
| Angemessenheit, Wahrheit. Das eigentümliche Insistieren der spekulativen | |
| Realisten auf philosophische Weise Zugang zum Unzugänglichen zu erreichen, | |
| interessiert Fisher als einen grundlegend politischen Impuls, einen | |
| unerträglichen Ort zu verlassen und zugleich zu erfassen. Es ist ein | |
| Jammer, dass er dieses Vorhaben abgebrochen hat. | |
| 17 Dec 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Diedrich Diederichsen | |
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