| # taz.de -- Feministisches Poplexikon: Mehr Frauen für Spionage | |
| > „These Girls“, herausgegeben von Juliane Streich, ist die erste | |
| > deutschsprachige Anthologie nur über Popmusikerinnen. Die Auswahl | |
| > besticht. | |
| Bild: Macht den nächsten Bondsong: Billie Eilish | |
| Auf die jüngst wieder gestellte Frage, ob Bond, James Bond, Agent 007 im | |
| Dienst Ihrer Majestät, demnächst von einer Frau gespielt werden dürfe, kann | |
| man sehr wohl mit einem „ja, warum eigentlich nicht“ antworten. Schon die | |
| Soundtracks zu den legendären Filmfassungen sind nie eine reine | |
| Männerdomäne gewesen. | |
| Das James-Bond-Titelthema, mit dem 007 seit 1962 auf den Plan tritt, | |
| enthält jenes berühmte Surf-Gitarren-Riff, das auch Antiimperialisten im | |
| Schlaf mitpfeifen können. Es wurde zwar vom britischen Musiker Victor Flick | |
| eingespielt, an der Ausformung dieses elegant-nervösen Sounds sind jedoch | |
| zwei Frauen federführend beteiligt gewesen: Von der Gitarristin Kathy | |
| Marshall heißt es, ihr sei das Kunststück gelungen, [1][Dick Dale], dem | |
| King des Surfsounds, die Show derart zu stehlen, dass der sie zur „Queen of | |
| the Surf Guitar“ kürte. | |
| Marshalls Geschichte und die ebenso spannende ihrer Kollegin Chiyo Ishi | |
| erzählt die Forscherin Vera Kropf in der Anthologie „These Girls. Ein | |
| Streifzug durch die feministische Musikgeschichte“, herausgegeben von der | |
| Leipziger Journalistin und (taz-)Autorin Juliane Streich. Sie hat damit ein | |
| essenzielles 300-Seiten-Buch kompiliert. Darin enthalten sind Texte über | |
| große Stars, aber auch über vergessene Musikerinnen. Nicht alle der darin | |
| enthaltenen 140 Künstlerinnen- und Bandporträts sind so sonnendurchflutet | |
| wie die Marshalls und Ishis. | |
| ## Charakterkopf Nina Simone | |
| Einer der schönsten James-Bond-Titelsongs wiederum ist [2][Nina Simones] | |
| Interpretation des Musicalklassikers „Feeling Good“ in „Goldfinger“. | |
| Natürlich darf ein Eintrag über die US-Sängerin bei „These Girls“ nicht | |
| fehlen. In seinem Text über Simone, stellt Sven Kabelitz gleich zu Anfang | |
| klar: Die Sängerin und Pianistin, Komponistin und Bürgerrechtsaktivistin | |
| mochte das ihr angeheftete Etikett Jazz überhaupt nicht. Lieber sprach sie | |
| von „Black Classical Music“. Simone, die Frau, vor der – das ist | |
| überliefert – Nick Cave als Veranstalter Angst hatte, hätte als | |
| „Charakterkopf“ gegolten, wäre sie ein Mann gewesen. „Getrieben, hoch | |
| verschuldet, alkoholabhängig und depressiv“, beschreibt Kabelitz Simone, | |
| eine Gewalterfahrene, die selbst austeilte und dabei nicht immer die | |
| Richtigen traf. Ihrer Musik tut das keinen Abbruch. | |
| „These Girls“ hat Ähnlichkeiten mit einem Personenlexikon. Es ist nach | |
| Jahrzehnten gegliedert, von den 1940er und 50er Jahren bis in die 2010er | |
| Jahre. Diese Chronologie macht Sinn und verdeutlicht: Wir haben es hier | |
| mittlerweile mit acht Jahrzehnten Pop zu tun, eine Epoche, der zum | |
| Jahrhundert nicht mehr viel fehlt. Höchste Zeit also für eine feministische | |
| Durchleuchtung dieser Geschichte. Der nicht nur grammatikalisch männliche | |
| Kulturbetrieb ließe sich wahlweise als Schlangengrube oder Haifischbecken | |
| charakterisieren, nur müssten dabei wieder mal Tiere für den Kapitalismus | |
| herhalten, gegen den im Übrigen auch spricht, dass er als Entschuldigung | |
| für linke Ellbogenmentalität taugt. | |
| Es muss anders gehen, wenn es anders werden soll. „These Girls“ erzählt | |
| davon mit einer erfrischenden Geringschätzung gegenüber stilistischen | |
| Grenzen. Dass im Achtziger-Jahre-Kapitel Kim Gordon, Cyndi Lauper und | |
| Madonna, mit ihr eine weitere Bond-Beiträgerin, exakt in dieser Reihenfolge | |
| auftreten, mag Zufall sein, illustriert aber die Anlage des von Streich als | |
| bewusst unvollständig annoncierten Bandes. | |
| ## Punkzerlegerin neben Chartsstürmerinnen | |
| Auf seinen Seiten reichen sich Bilder- und Chartsstürmerinnen die Hand, | |
| begegnen sich Pauline Oliveros auf Augenhöhe mit Tic Tac Toe. Sie tun das | |
| in der Nachbarschaft einer Chansonnière wie Édith Piaf und einer | |
| Punkzerlegerin wie Wendy O. Williams von den Plasmatics. Und noch einmal, | |
| warum eigentlich nicht? Um Diversität geht es hier, um ein „Wir, das nicht | |
| eins ist“, wie Atlanta Ina Beyer in ihrem Text über Bernadette La Hengst | |
| programmatisch formuliert. | |
| Last but not least: Den Titelsong des nächsten Bond-Films wird mit Billie | |
| Eilish eine junge US-Künstlerin beisteuern, an deren Antihelden-Ästhetik | |
| Macker aller Klassen zu knabbern haben dürften. Und Bonds eigentliche | |
| Majestät ist und bleibt Miss Moneypenny. | |
| 24 Jan 2020 | |
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| ## AUTOREN | |
| Robert Mießner | |
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