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# taz.de -- Electric Indigo über Frauen bei Festivals: „Ein Zeichen der Zeit…
> Bei Musikfestivals spielen wenige Frauen. Um das zu ändern, hat die
> Produzentin Electric Indigo das Netzwerk Female Pressure gegründet. Ein
> Gespräch.
Bild: Lichtgestalt: Electric Indigo alias Susanne Kirchmayr
Zum Internationalen Frauentag am Sonntag wird [1][Female Pressure],
Netzwerk für weibliche, transgender und nichtbinäre Künstler*innen in der
elektronischen Musikszene, die Umfrage „Facts Survey 2020“ veröffentlichen.
Darin sind Festivals nach ihrer Geschlechterverteilung im Programm
auswertet. Im Gespräch erläutert Female-Pressure-Gründerin Electric Indigo
die Ergebnisse.
taz: Electric Indigo, im Jahr 2019 ist Ihrer Facts-Umfrage zufolge der
Anteil von Künstlerinnen bei Festivals auf durchschnittlich 25 Prozent
gestiegen. Grund zum Feiern?
Electric Indigo: Jein. 2012, im ersten Jahr, als wir gezählt haben, lag der
Frauenanteil bei gerade mal 9,2 Prozent. 2019 haben wir allerdings
wesentlich mehr Festivals gezählt, insofern ist 24,6 Prozent auch
aussagekräftiger. Wären wir eine politische Partei, wäre die Steigerung
sensationell.
Es gibt ein Aber?
Man darf nicht nur den Anteil von Künstlerinnen betrachten, sondern auch,
wie hoch der Anteil von Künstlern ist. Der liegt bei immer noch 65 Prozent.
Das ist ein starkes Übergewicht. Die Steigerung ist in jedem Fall gut. Ich
habe aber manchmal die Sorge, dass es nur ein kurzfristiger Hype ist.
Wie erklären Sie die Steigerung?
Ich glaube, unsere erste Umfrage hat wesentlich dazu beigetragen, dass es
so ein großes Thema geworden ist. Diversität ist ein Zeichen der Zeit: Die
eher progressive, liberale Gesellschaftsschicht reagiert auf Ungleichheit
und Diskriminierung allgemein sensibler.
Erstmals wurde das Geschlechterverhältnis in den jeweiligen
Kurator*innenteams, die Größe des Festivals und der Förderstatus ebenfalls
aufgeschlüsselt. Was haben Sie herausgefunden?
Arbeiten ausschließlich Frauen im Booking-Team, steigt der
Künstlerinnenanteil im Line-up signifikant: Ein weibliches Team bucht
durchschnittlich 44,4 Prozent Künstlerinnen, ein gemischtgeschlechtliches
Team nur 27,7 Prozent, ein männliches Team 20,4 Prozent. Der Frauenanteil
steigt auch, wenn ein Festival gefördert wird. Die Größe des Festivals
spielt keine besondere Rolle, Festivals mit mehr als 4.000 Besucher*innen
haben einen etwas niedrigeren Frauenanteil. Wir waren darauf angewiesen,
dass Festivals, die wir mehrmals angeschrieben haben, Informationen zur
Verfügung stellten. Von circa 160 Festivals haben vier Fünftel nicht
geantwortet.
Wie haben Festivals bislang auf Ihre Umfragen reagiert?
Das Feedback war positiv. Wir glauben, dass Festivals mit der Problematik
von nun an bewusster umgehen. Am konkretesten reagierte das [2][Berliner
CTM-Festiva]l. Es bezeichnete unsere Statistik als Augenöffner. CTM ist
eines der Festivals mit dem höchsten Frauenanteil, 2019 beispielsweise mit
40,5 Prozent Künstlerinnen. Typisch war auch, dass Festivals sich erst mal
ungerecht behandelt fühlen, weil sie so viel Mühe auf die inhaltliche
Gestaltung ihres Programms legen. In einem zweiten Schritt setzt dann oft
Selbstreflexion ein. Da hat sich extrem viel getan über die Jahre.
Das betrifft leider nicht jedes Festival
Bei großen, eher kommerziell ausgerichteten Festivals hat sich gar nichts
getan. Denen ist vollkommen egal, was wir jetzt für Zahlen veröffentlichen,
weil sie andere Kriterien anlegen, nach denen sie ihre Line-ups gestalten.
Da müssen die berühmtesten und hipsten Stars her.
Kritiker meinen, Geschlechterungleichheit in Line-ups liege daran, dass
weniger Frauen auflegen und live spielen würden. Stimmt das überhaupt?
Dieses Argument ist schwer zu verifizieren, weil kein Mensch jemals alle
aktiven DJs und Livekünstler*innen gezählt und nach Geschlecht analysiert
hat. Ich vermute selbst, dass der Pool an Künstlerinnen weniger groß ist,
aber ich kann es nicht mit Sicherheit sagen. Generell denke ich, dass es
die Aufgaben von Festivals gar nicht ist, die möglichst faktengetreue
Dokumentation eines vermeintlichen Status quo zu präsentieren, sondern eine
gesellschaftliche, künstlerische Utopie zu entwerfen. Das zählt zumindest
für Festivals, die mich interessieren.
Problematisch ist, dass Festivals oft Künstler*innen von großen
Booking-Agenturen für Auftritte verpflichten. Bei denen sind Frauen
ebenfalls unterrepräsentiert. Auch bei Labels, die von Männern betrieben
werden, sind Frauen vergleichsweise schlechter vertreten. Sind einseitige
Festivalprogramme bloß Ausdruck einer strukturellen
Geschlechterungleichheit?
Ganz sicher, ja. Line-ups werden allerdings meist auch vehement beworben.
Es geht also unter anderem um die Sichtbarkeit von Frauen und nichtbinären
Personen, die aktiver Teil der Szene sind. Insofern macht es Sinn, sich auf
Programme zu konzentrieren. Ich würde es begrüßen, wenn andere Umfragen
Booking-Agenturen und Labels untersuchen würden und wir noch mehr
Mosaiksteine der Struktur hätten. Das haben wir nur aus Kapazitätsgründen
nicht gemacht. Wir machen die Umfrage ehrenamtlich.
Der feministische Wandel in der Szene kommt nur langsam voran. Was ist zu
tun?
Wir wissen nicht, wie man Stein zu Gold verwandelt, aber wir haben als Teil
der Umfrage neue Vorschläge gemacht. Einen möchte ich hervorheben:
Fördergelder für Veranstaltungen sollten an Diversität geknüpft werden. Das
ist ein wirksames Mittel. Und da hat das [3][Musicboard Berlin] eine
Vorreiterrolle: Die von ihm geförderten Festivals haben einen wesentlich
höheren Frauenanteil als andere Festivals. Der Wandel muss auf vielen
Ebenen einsetzen: gemischtgeschlechtliche Orgateams und öffentliche
Aufrufe, dass Künstlerinnen sich für Festivals bewerben können, wären
hilfreich. Es passiert nicht von selbst, sondern muss mühsam verfolgt
werden.
6 Mar 2020
## LINKS
[1] https://femalepressure.wordpress.com/
[2] /Abschluss-der-CTM-2020-in-Berlin/!5657958
[3] /Musik-Kuratoren-ueber-die-Festivalsaison/!5201359
## AUTOREN
Nicholas Potter
## TAGS
Diversität
Frauenkampftag
Festival
Soziale Bewegungen
Juliane Streich
Musikfestival
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