| # taz.de -- Auftakt des Festivals „Pop-Kultur“ Berlin: Was auf der Psyche v… | |
| > Das Festival „Pop-Kultur“ startet. Über 50 Prozent Künstlerinnen treten | |
| > auf. Überschattet wird es vom Boykott der Anti-Israel-Lobby BDS. | |
| Bild: Empowernde Songs, fragile Seele: Lady Leshurr | |
| Popmusik ist prädestiniert, das Gefühlsspektrum menschlicher Abgründe | |
| auszudrücken. Sprechen über Depressionen und psychische Beschwerden gehört | |
| eher nicht zu ihrem Kanon. Anders beim heute startenden dreitägigen | |
| Festival „Pop-Kultur“, das verschiedene Räume der Kulturbrauerei im | |
| Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg bespielt. Da wird die Grime-Künstlerin | |
| Lady Leshurr das Thema Depression offen ansprechen. Morgen berichtet die | |
| 28-Jährige über alltägliche Erfahrungen mit Sexismus und Rassismus, aber | |
| auch über ihre psychische Verfassung. | |
| Auf der Psyche des zum dritten Mal stattfindenden Festivals lastet ein | |
| Skandal. Weil die israelische Botschaft unter den Partnern des Festivals | |
| aufgeführt wird, rief die antiisraelische BDS-Kampagne zum Boykott auf, | |
| woraufhin fünf KünstlerInnen ihre Teilnahme an am Festival „Pop-Kultur“ | |
| absagten. Begründung: Das Festival sei „co-organisiert“ von Israel und | |
| somit „sponsored by apartheid“. | |
| So hanebüchen dieser Vorwurf – es handelt sich bei der Unterstützung der | |
| Botschaft um einen Reisekostenzuschuss an die Künstlerin Riff Cohen in Höhe | |
| von 500 Euro –, hat die BDS-Kampagne das unselige Thema eines kulturellen | |
| Israel-Boykotts erstmals bei einem Festival in Deutschland untergebracht. | |
| Dem Boykott schloss sich nun auch die Britin Annie Goh an – sie hätte auf | |
| einem Panel des Netzwerks „female:pressure“ sitzen sollen und sich für mehr | |
| Künstlerinnen auf internationalen Bühnen einsetzen sollen. | |
| ## Brainless Wankers | |
| Ihre Co-Panelistinnen, die Journalistin Christine Kakaire, die Produzentin | |
| Sky Deep sowie die Kuratorin Marlene Engel, diskutieren nun ohne sie. Die | |
| jüngste Absage am Mittwochabend kommt nun von einem der Headliner des | |
| Festivals, wodurch der Boykott eine neue, bis dato nicht gekannte Dimension | |
| bekommt: Auch die britische Band Young Fathers hat sich gestern dem Boykott | |
| angeschlossen. Außerdem hat die finnische Band Oranssi Pazuzu ihre | |
| Teilnahme gecancelt. | |
| BDS, was für „Boycott, Divestment and Sanctions“ steht, fällt vor allem im | |
| angloamerikanischen Raum durch prominente Fürsprecher wie Roger Waters | |
| (Pink Floyd) auf und bedient sich höchst zweifelhafter Rhetorik. So wird | |
| etwa das Vorgehen Israels mit dem von Nazi-Deutschland verglichen. Dass | |
| sich BDS in den Ablauf eines hiesigen Festivals einmischt, ist allerdings | |
| neu. Und brachte die OrganisatorInnen der „Pop-Kultur“, die Berliner | |
| Förderinstitution „Musicboard“, vertreten durch Katja Lucker sowie die | |
| beiden Kuratoren Martin Hossbach und Christian Morin, in | |
| Rechtfertigungszwang. | |
| Am Montag machte Lucker im Deutschlandfunk Kultur den Standpunkt klar, an | |
| den Booking- und Kooperationsentscheidungen festzuhalten und bezeichnete | |
| BDS mit einem Zitat des britischen Punkduos Sleaford Mods als „brainless | |
| wanker“. Nachdem Rufe laut geworden waren, den Skandal aktuell ins | |
| Festivalprogramm zu hieven, ist nun klar: Der Dialog mit oder über BDS wird | |
| nicht auf seiner offiziellen Agenda stattfinden. Dabei geht es doch vor | |
| allem darum, die KünstlerInnenauswahl nicht durch das BDS-Agenda-Setting | |
| diktieren zu lassen. Dass die Auswahl spannend ist, zeigt das Festival | |
| „Pop-Kultur“ in jeglicher anderer Hinsicht, weil es denjenigen Themen, die | |
| dieses Jahr in Musik und Kultur relevant sind, Raum gibt. | |
| ## Divers und ausgewogen | |
| Denn es gibt kein anderes deutsches Festival, dessen Programm so divers und | |
| ausgewogen gestaltet ist. Nicht zuletzt ist es das Musicboard selbst, das | |
| allen geförderten Projekten eine „Frauenquote“ von mindestens 50 Prozent | |
| auferlegt hat. Diese gilt auch für die Eigenproduktion „Pop-Kultur“, die | |
| mit über 1,1 Millionen Euro vom Bund, Berliner Senat und dem europäischen | |
| Entwicklungsfonds EFRE finanziert wird. So wird sich auch Lady Leshurr | |
| nicht nur diskursiv beteiligen, sondern auch im Konzert ihre empowernden | |
| Songs auf das Publikum loslassen. Die britische Künstlerin wird eine | |
| Lehrstunde in Sachen diskriminierungsfreien Rap geben, aber auch die Kunde | |
| des Grime verbreiten, einer Musikrichtung, die als uneheliches Kind von | |
| Soundsystem- und UK-Rave-Kultur seit 15 Jahren eine wichtige Subkultur | |
| darstellt. | |
| Mit ihrer Freestyle-Reihe „Queen’s Speech“ hat Lady Leshurr (sprich: | |
| Lee-shah) auf den Videoportalen bald die Millionenmarke geknackt. In einem | |
| Video lässt sie Kinder die Rolle der ermunternden Crowd übernehmen, die | |
| hinter männlichen HipHop-Künstlern oft steht. | |
| Nicht nur, wenn es um Sprechgesang geht, bringt das Festival „Pop-Kultur“ | |
| Künstlerinnen auf die Bühne, die die Dominanz weißer männlicher | |
| Protagonisten anzählen, zum Beispiel das Duo Smerz. Dahinter stecken die | |
| beiden Norwegerinnen Catharina Stoltenberg und Henriette Motzfeldt, die in | |
| Kopenhagen leben und gerade vom britischen Label XL unter Vertrag genommen | |
| wurden. | |
| ## Magischer Vibe | |
| Ihre Gesangslinien untermalen sie mit Beats mit nahezu magischem Vibe, der | |
| eine gewisse Düsternis ausstrahlt. Die Londoner Produzentin, DJ und | |
| Radiomoderatorin Throwing Shade bezieht in ihre flächigen Stücke zwischen | |
| Synthpop und House Fragen nach der Glaubhaftigkeit von Clubkultur mit ein. | |
| Durch ihren Song „#IRL“ ziehen sich die Schlagworte, mit denen Fans | |
| Musikshows als Erlebnisse auf sozialen Medien teilen, statt das soziale | |
| Erlebnis „in real life“ zu feiern. | |
| Das Programm bringt nicht nur aktuell wegweisende Bands und KünstlerInnen | |
| auf die Bühne, sondern schafft auch Raum für neue ästhetische | |
| Zusammenhänge. 15 sogenannte „Comissioned Works“ zeigen Performances, die | |
| extra für diesen Anlass – als Auftragsarbeiten – geschrieben wurden: Dabei | |
| ist etwa die selbst ernannte „Darkwave-Duchess“ Abra, die in einer | |
| Avatar-Show mit dem VJ-Duo Fractal Fantasy auftreten wird. | |
| Ihre Future-R&B-Songs aus Synthies, Konservenbeats und mehrdeutigen Texten | |
| werden dazu live durch den Remixer der österreichischen Produzentin Zora | |
| Jones gedreht. Die französische Künstlerin Fishbach, die 2016 beim Festival | |
| ihr Debüt auf einer deutschen Bühne gefeiert hat, wird von der Designerin | |
| Annelie Augustin mit eigens entworfenen Kostümen begleitet. | |
| In der Reihe „Typewriter-Klangwelten“ wird „an der offenen Schnittstelle | |
| von Literatur und Musik nach neuen hybriden Formen“ geforscht. (Roman-)Text | |
| und Musik konstituieren sich sprachlich und haben einen eigenen Klang. | |
| KünstlerInnen schaffen aus Musikwelten Text und vice versa. Etwa der | |
| Kurator dieser Reihe, Hendrik Otremba, dessen düsterer Roman „Über uns der | |
| Schaum“ mit der Musik seiner Postpunk-Band Messer korrespondiert. | |
| MusikerInnen der Gruppen Ja, Panik und Candelilla transponieren den | |
| feministischen Klassiker „I Love Dick“ der US-Autorin Chris Kraus, der 20 | |
| Jahre nach seiner Veröffentlichung kürzlich ins Deutsche übersetzt wurde, | |
| in ein Konzert. Nach der Übersetzung des Selbst in Sprache überhaupt, | |
| fragen die Dichterin und Übersetzerin Julia Lans Nowak und der unter | |
| anderem als Croatian Amor operierende Musiker Loke Rahbek aus Kopenhagen. | |
| Ob Performance und Kostüm, digitale Identität von Künstler*innen oder die | |
| Schnittstellen zwischen Musik und Literatur, es sind diese offenen Grenzen | |
| zwischen Medien und Disziplinen, die Popkultur im Jahre 2017 definieren. | |
| Das Berliner Festival „Pop-Kultur“ zeigt, welche Entwürfe von Musik, Kunst | |
| und Kultur zukünftig von Bedeutung sein werden. | |
| 23 Aug 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Diviam Hoffmann | |
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