# taz.de -- Festival Pop-Kultur in Berlin: Kleine Geister, großes Tennis | |
> Das Festival Pop-Kultur in der Kulturbrauerei brachte neue Impulse, | |
> Diskurs – und auch einfach den Spaß, den Pop eben bringen soll. | |
Bild: Schafften es, ADHS und Trance zusammenzubringen: Liars | |
Mittwochabend am Eingang zur Kulturbrauerei, gerade hat das Festival | |
Pop-Kultur begonnen. Am Info-Container, der zugleich als Merchande-Stand | |
fungiert, fragt ein Mann, ob es ein T-Shirt von den Young Fathers gibt. Der | |
Mitarbeiter: „Du weißt, dass die abgesagt haben?“ Darauf der Gast: „Was | |
genau war da eigentlich los?“ | |
Jetzt guckt der Mann hinterm Counter leicht misstrauisch. Hat er es | |
vielleicht mit einem BDS-Aktivisten zu tun, der abcheckt, wie man jenseits | |
offizieller Verlautbarungen den Boykottaufruf durch die antiisraelische | |
BDS-Bewegung erklärt? Als der Mitarbeiter zu einer Erklärung ansetzt, ist | |
der potenzielle T-Shirt-Käufer schon weitergezogen. | |
Die Szene scheint symptomatisch für die Wirkung, die der Aufruf des BDS | |
(„Boycott, Divestment and Sanctions“) letztendlich hatte. Die Aufregung im | |
Vorfeld war groß, zu Recht. Doch auf dem Festival wollte sich niemand für | |
die Kampagne interessieren. Auch den Young Fathers und den anderen | |
Künstlern, die abgesagt haben, scheint keiner nachzutrauern. | |
## Ist der Ort der richtige? | |
Wäre die Kampagne nicht so unterirdisch gewesen (die Behauptung, das | |
Festival sei „kofinanziert“ vom israelischen Staat, wurde daraus | |
abgeleitet, dass die israelische Botschaft der Singer-Songwriterin Riff | |
Cohen einen Reisekostenzuschuss von 500 Euro gewährt hatte) wie auch in der | |
Form (so wurden Künstler und Podiumsgäste mit einer Mailflut, teils an | |
private Accounts, unter Druck gesetzt) – man könnte sie fast schon | |
vergessen haben an diesen lauen Abenden im Hof der Kulturbrauerei. | |
Nach einer zerfaserten 2016er-Auflage in Neukölln ist das Pop-Kultur | |
Festival in seinem dritten Jahr wieder gebündelt an einem Ort, was sich als | |
gute Idee erweist. Obwohl die Autorin mit dem Ort doch stark fremdelt | |
(warum darf ein Türsteher ein T-Shirt mit rechtsradikaler Botschaft | |
tragen?) – schön ist, dass die Wege kurz sind. | |
Ganz großes Tennis boten am Donnerstag Anna Meredith und ihre so | |
unprätentiöse wie druckvolle Band samt Tuba-Spieler und Cellistin. Dass die | |
klassisch ausgebildete Komponistin fast bettelt, dass bitte niemand den | |
Saal verlässt, liegt wohl daran, dass man als schottisch sozialisierter | |
Mensch sein Licht gerne unter den Scheffel stellt. Als wollte irgendwer | |
diesen tollen Maximalismus nicht bis zum letzten Ton auskosten! | |
Understatement gibt es am nächsten Abend auch von Arab Strap. Der Auftritt | |
ist der erste in Deutschland, seit sie sich nach zehn Jahren Trennung | |
wieder zusammengetan haben. Und doch geht man es so beiläufig wie möglich | |
an. Toll ist es trotzdem. Flirrende Flächen, trockene Beats und darüber | |
Aidan Moffats eindrückliche Stimme, die im Spoken-Word-Modus allerdings | |
besser klingt als bei den Gesangseinlagen. Ein schönes Wiedersehen mit | |
alten Bekannten. | |
## Gesellschaftserzählung | |
Doch eigentlich ist man hier, um Neues zu entdecken. Noveller alias Sarah | |
Lipstate, eine Gitarristin und Filmemacherin aus Brooklyn, spielt ein | |
starkes, wenn auch lautstärketechnisch etwas verhaltenes | |
Shoegaze-Ambient-Set. Die Happy Meals dagegen haben viel Spaß am | |
Experimentieren mit alten Synthesizern und zudem ein Herz für Italo-Disco | |
und französische Texte. | |
Wie unterschiedlich die Musik ist, die man hier in enger Taktung erleben | |
kann, illustriert einmal mehr, wie fragmentiert und manchmal auch beliebig | |
die Popkultur der Gegenwart ist. Als Gesellschaftserzählung taugt sie nur | |
noch bedingt – obwohl man die Sleaford Mods, von denen die ebenfalls hier | |
zu sehende Doku „Bunch of Kunst“ erzählt, als Chronisten der englischen | |
Gegenwart verstehen kann und Pop natürlich Identifikation anbietet. | |
Umso skandalöser, wie unterrepräsentiert Künstlerinnen nach wie vor sind | |
(für Pop-Kultur gilt das allerdings nicht: Hier stehen zur Hälfte Frauen | |
auf der Bühne). Seit das Netzwerk female:pressure 2013 erstmals eine Studie | |
über das Booking von Künstlerinnen auf Elektronikfestivals veröffentlichte, | |
ist etwas Bewegung in die Szene gekommen. Doch die Gegenwart ist immer noch | |
deprimierend, im vergangenen Jahr waren etwa 77 Prozent aller Festival-Acts | |
männlich (Genaueres unter: femalepressure.wordpress.com). | |
## Die Fotos der Fans | |
Doch zurück zum Spaß, den man am Pop haben soll: Im Innenhof bleiben immer | |
wieder Menschen bei der Ausstellung von Roland Owsnitzki hängen. Sie ist | |
auch toll, diese Auswahl von 80 Konzertbildern, die der Fotograf in den | |
1980ern aufgenommen hat, samt Nick Cave und Falco. Am eindrucksvollsten | |
sind jedoch die Fotos der Fans. Ein bisschen wehmütig kann man da schon | |
werden, wirkt es doch, als habe Popkultur seinerzeit zwar weniger | |
versprochen, aber mehr eingelöst. | |
Dafür haben wir heutzutage ambitionierte, interdisziplinäre Festivals. Und | |
beim tollen Konzert der Liars, bei dem sich der Sänger Angus Andrew, in ein | |
trashiges Hochzeitskleid gewandet, in eine ADHS-Trance zappelt, sieht das | |
Publikum dann doch fast so entrückt aus wie die Menschen auf Owsnitzkis | |
Fotos. Da bleiben sogar die Telefone mal für eine Stunde in den Taschen. | |
27 Aug 2017 | |
## AUTOREN | |
Stephanie Grimm | |
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