| # taz.de -- Neues Album von Aldous Harding: Rätselhafte Inszenierungen | |
| > Die neuseeländische Künstlerin ist eine Meisterin der Maskerade. Das | |
| > Versteckspiel zelebriert sie auch auf ihrem neuen Album „Warm Chris“. | |
| Bild: Aktenzeichen NZ: Die Künstlerin Aldous Harding gibt Rätsel auf | |
| Immer wenn man glaubt, sie jetzt endlich verstanden zu haben, lässt Aldous | |
| Harding einen gegen die Wand rennen. Immer wenn man glaubt, man käme ihr | |
| jetzt vielleicht doch nah, führt Aldous Harding vor, dass all ihr Spiel | |
| ganz genau eben das ist: ein Spiel. | |
| In ihren Musikvideos, die sie in aller Regel selbst inszeniert und dreht, | |
| trägt sie Perücken und Masken, comichafte Strohhüte oder wird schon mal zur | |
| Eidechse, die nackt einen Baum hochklettert. Diese Maskerade übt die | |
| [1][neuseeländische] Musikerin, die seit einiger Zeit in Wales lebt, auch | |
| auf ihrem vierten Album „Warm Chris“ perfekt aus. | |
| 2014 erschien ihr Debüt. Das zweite Album folgte drei Jahre später, eine | |
| tieftraurige Abhandlung mit dem überraschenden Titel „Party“. Während der | |
| Musik der ersten beiden Werke viel Schwermut und große Düsternis anhaftete, | |
| weshalb Hardings Musik als „Gothic Folk“ bezeichnet wurde, schimmerte 2019 | |
| bei Album Nummer drei, [2][“Designer“], an einigen Stellen eine gewisse | |
| Leichtigkeit durch. | |
| ## Stille Balladen | |
| Diese bricht auch auf „Warm Chris“ immer weiter durch: Die stillen | |
| Klavierballaden machen Platz für groovige Drums, Tempo- und Melodienwechsel | |
| innerhalb der Songs und insgesamt eine liebevoll ausgetüftelte | |
| Instrumentierung. Daran hat Produzent John Parish wieder seinen Anteil. | |
| Parishs Fender-Rhodes-Piano und die Wurlitzer-Orgel hauchen den gemeinsamen | |
| Kompositionen noch mehr Wärme ein und er lässt seine Tochter Hopey | |
| mitsingen. „Ennui“ endet mit einem vibrierenden Saxofon, irgendwo ist auch | |
| ein Flügelhorn versteckt. | |
| All diese Elemente allein wären vielleicht noch nicht herausragend, wäre da | |
| nicht der Gesang von Harding, der in jedem Stück ganz anders klingt. Das | |
| Spiel mit den Stimmen ist fast schon eins ihrer Markenzeichen, ebenso wie | |
| der oft als angenehmer Kontrast eingesetzte tiefere Hintergrundgesang. | |
| So intoniert die 32-Jährige mal auf fast einlullende Weise sanft und | |
| träumerisch („Tick Tock“), mal fast clownhaft überzeichnet („Passion | |
| Babe“). Im Finale übernimmt gar Jason Williamson, Frontmann des | |
| Nottinghamer Duos [3][Sleaford Mods], den Part des begleitenden Mitsängers | |
| und zeigt, dass selbst er nicht immer bellen muss. Der gemeinsame Track | |
| „Leathery Whip“ beginnt mit Orgel und Schellenkranz, eine Kombination, die | |
| an The Velvet Underground & Nico denken lässt, wesentlich mehr noch als | |
| Hardings Gesang selbst, der oft mit dem der deutschen Chanteuse in New York | |
| verglichen wird. | |
| ## Liebenswerte Seltsamkeit | |
| Harding in (nur) eine Schublade zu stecken, wird ihr allerdings ebenso | |
| wenig gerecht, wie ihre Leichtigkeit mit Eindeutigkeit zu verwechseln. Denn | |
| rätselhaft bleibt an ihrer Künstlerpersona weiterhin so ziemlich alles. Die | |
| Themen, die sie in den Texten anspricht, sind groß, sie sind ernst und doch | |
| muten die Worte zur Musik an, als sei Harding in der fantastischen Kulisse | |
| eines Paralleluniversums zufällig auf sie gestoßen: „You can have the | |
| pelican / Swim him til the river’s running clear“, singt etwa die | |
| nasalierende Harding im großartigen „Passion Babe“. Möglicherweise äuße… | |
| sie sich aber auch lediglich in einer Sprache, die niemand sonst | |
| beherrscht. | |
| Aldous Hardings liebenswerte Seltsamkeit in einem Text zu beschreiben, ist | |
| eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit. Ihre Musik kann wunderbar als solche | |
| gehört werden, wenn man möchte, sogar nebenbei, wenn man etwa ein Regal | |
| aufbaut oder zur U-Bahn läuft. Aber der Klang dieser Songs ist nur ein Teil | |
| dieses Kunstwerks. Ein völlig anderes Leben haucht die Neuseeländerin ihren | |
| Stücken auf der Bühne ein, wenn sie minutenlang stockstarr hinter dem | |
| Mikrofonständer steht. | |
| Nur in ihrem Gesicht spielt sich dann eine Palette menschlicher | |
| Empfindungsextreme ab, von maßlosem Entsetzen bis zu einer leicht | |
| weggetretenen Übersinnlichkeit, als brächen sich groteske Masken bahn. So | |
| faszinierend das ist, erzeugt ihr Spiel doch auch große Distanz. | |
| Das ist besonders bemerkenswert, sind Nähe und Glaubwürdigkeit doch heute | |
| zwei der wichtigsten Währungen, zumal für eine Singer/Songwriterin, die | |
| sich grob in das Feld Folk einordnen lässt. Aber auch wenn einen die | |
| Künstlerin permanent an der Nase herumführt, schafft Aldous Harding es | |
| trotzdem, Musik zu kreieren, in die man sich einfach nur hineinlegen | |
| möchte. Und wie sie das genau hinkriegt, wird hoffentlich für immer ein | |
| Rätsel bleiben. | |
| 5 Apr 2022 | |
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| ## AUTOREN | |
| Diviam Hoffmann | |
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