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# taz.de -- Saxophonistin über Frauen im Jazz: „Das Optische wird mit beurte…
> Die süddeutsche Saxophonistin Stephanie Lottermoser macht ihren nächsten
> Karriereschritt von Hamburg aus. Ein Gespräch über Machos und Qualität.
Bild: Mag die Weite im Norden: Die Saxophonistin, Sängerin und Komponistin Ste…
taz: Frau Lottermoser, „Deutsche Mädels erobern die Jazzmusik“ wurde vor
ein paar Jahren über Sie in der Presse geschrieben. Ist der Sexismus im
Jazz noch krasser als im Pop?
Stephanie Lottermoser: Das weiß ich nicht. Ein einschneidendes Erlebnis in
meinem Studium war der Tag, an dem ich im Unterricht einmal eine Frage
gestellt habe und die Antwort mit einem Zusatz bekam: Später, wenn ich mal
verheiratet sei und Kinder hätte, sei das nicht so wichtig für mich. Das
habe ich nie vergessen. Viele der Lehrer dieser Generation sind jetzt schon
im Ruhestand. Aber das ist natürlich unmöglich – als Lehrer muss man mit
der Zeit gehen und die Situation der Studierenden im Realitätsbezug sehen.
Sie unterrichten heute selbst beim Bayerischen Landesjugendjazzorchester.
Ja, und ich werde oft von Frauen angeschrieben. Das sind keine Fragen, die
gezielt mit Weiblichkeit und Beruf zu tun haben, aber die würden das gerne
von einer Frau beantwortet haben. Sie wissen, dass es eine andere
Berufsrealität ist. Was auch passiert: Wenn in einem Jazzclub drei Mal
hintereinander Bands mit Frauen auftreten, ist es sofort eine Reihe mit
„Frauen im Jazz“. Das braucht kein Mensch. Man darf die
Geschlechterdiskussion aber nicht so weit führen, dass es die Unterschiede
nivelliert. Es ist auch in Ordnung, dass es eher Männer- und eher
Frauen-Berufe gibt. Wichtig ist, dass man Jugendlichen klarmacht, dass
jeder grundsätzlich alle Möglichkeiten haben sollte.
Könnte eine Frauenquote helfen?
Ich bin kein Freund von Quotenregelungen. Das Kriterium sollte die Qualität
sein. Es gibt auch bei den Veranstaltern solche Typen wie den Lehrer, für
die das so ungewohnt ist, dass man sie darauf stoßen muss. Aber eine
50:50-Quote würde an der Realität vorbeigehen.
Aber sie wäre ein Anfang?
Es gibt auch Workshops gezielt für Frauen. Aber ich denke da immer: Nun bin
ich in einem Raum mit lauter Frauen, aber danach ja doch wieder in der
anderen Welt. Männer auszuschließen wäre für mich absurd – das ist das
gleiche Theater, nur umgekehrt. Ich wähle meine Band nach ihrer Spielweise
und ihren menschlichen Qualitäten aus. Und wenn ich soliere, habe ich
sowieso die Augen zu. Da sehe ich gar nicht, wer um mich herum steht.
Sie verdanken dem Thema aber auch Aufmerksamkeit, weil Instrumentalistinnen
noch immer eher rar sind.
Das stimmt. Aber der Jazzbereich ist qualitätsorientiert. Wenn ich nicht
gut genug wäre, würde ich das erfahren. Ich habe oft das Gefühl, dass ich
mir als Frau weniger Fehler erlauben kann, weil ich kritischer betrachtet
werde.
Es gibt auch nicht viele bekannte Saxophonistinnen. Die meisten kennen wohl
nur Candy Dulfer, die in den Achtzigern angefangen hat. Hatten Frauen
damals das Gefühl, sich sexy anziehen zu müssen, um Erfolg zu haben?
Candy Dulfer hat auch in Prince' Band gespielt, alle waren dort sexy
angezogen. Und trotzdem hätte der nie eine genommen, die nur hübsch ist.
Das Optische wird bei Frauen immer mit beurteilt werden.
Haben Sie diese Erfahrung auch gemacht?
Es gab selten Berichte über mich, in denen das nicht besprochen wurde. Wie
oft habe ich schon gehört: „Die spielt nur so viel, weil sie so aussieht.“
Was soll ich dazu sagen? Ich hätte bei meinen ersten Auftritten nie ein
Kleid oder einen Rock angezogen! Ich hatte sowieso schon das Gefühl,
aufzufallen, ich wollte das nicht noch unterstützen. Selbst in der
Schul-Bigband! Aber irgendwann war mir das egal. Denn es gibt absolut
keinen Grund, sich für irgendetwas zu entschuldigen.
Sind Sie deshalb auch in den sozialen Netzwerken so präsent?
Ich interessiere mich einfach für Mode. Ich muss mich wohlfühlen mit mir,
wenn ich auf die Bühne gehe. Ich muss in dem Moment total bei mir sein.
Dazu zählt für mich auch, wie ich mich anziehe. Es ist schlimm, Frauen das
Gefühl zu geben, dass es eine Taktik sei, wenn sie sich auf eine bestimmte
Art und Weise kleiden.
Aber Instagram und Co. ändern den Diskurs, oder?
Durch die sozialen Medien hat man heute mehr Möglichkeiten, aufzufallen.
Ich sehe natürlich auch, dass ein reiner Text weniger Likes bekommt als ein
Foto. Ich finde das ein bisschen affig. Die Leute wissen doch, wie ich
aussehe. Warum muss ich dauernd Bilder von mir posten? All das macht die
Leute so ich-bezogen und das ist eine sehr ungesunde Einstellung.
Stephanie Lottermoser ist aber auch eine Marke.
Ich poste wenig Privates. Ich glaube schon, dass man dem Publikum damit ein
Stückchen zugänglicher wird, hoffe aber, dass die Musik ausreichend ist.
Ich muss da vielleicht einen Zwischenweg finden.
Sie sehen, wie die meisten anderen auch, auf den Fotos immer glücklich aus.
Das ist natürlich nicht die Realität. Ich bin komplett überzeugt von dem,
was ich mache. Aber ich kämpfe mit vielen Dingen. Es ist herausfordernd,
auf der einen Seite die Bühnen-Künstlerin und gleichzeitig die Managerin
und Konzert-Bookerin zu sein. Die Sachen, die nicht funktionieren, postet
man ja nicht. Dazu brauche ich keine Kommentare, das muss ich für mich
klären. Es ist ein Balanceakt: Woran möchte ich die Leute teilhaben lassen?
Ich denke, wenn ich zu viel von mir preisgebe, bringt mich das weiter von
mir weg.
Wie sind Sie eigentlich zu Ihrem Instrument gekommen?
Ich habe eine Bigband gesehen und mit 14 Jahren zu spielen angefangen. Das
ist kein Alter, in dem man sich zu Hause einschließt und Saxophon spielt.
Aber mich hat es so begeistert! Ich habe mich damals sogar aus meiner
Clique gelöst. Am Wochenende weggehen, das hat mich schnell nicht mehr
interessiert.
Nach dem Abitur haben Sie aber zunächst nicht Musik, sondern
Kulturwissenschaften studiert.
Ich hatte Respekt davor, Musikerin zu werden. In meiner Familie war noch
niemand in einem künstlerischen Beruf tätig gewesen. Ich kannte Jazzer, die
mit ihrem Studium fertig waren und keinen Zugang zu irgendeiner Szene
gefunden haben. Die haben dann an der Musikschule unterrichtet, um sich
finanziell über Wasser zu halten. Manche haben ganz aufgehört, Musik zu
machen! Ich brauchte eine gewisse Sicherheit. Das Gefühl, dass es wirklich
das ist, was ich machen will. Kulturwissenschaften ist ein breit
gefächertes Studium, das ich keine Sekunde bereut habe.
Sie wollten sogar promovieren.
Ich habe mich auf die Kernthemen Migration und Stadtforschung konzentriert
und wollte die Promotion in Istanbul machen. Die Schnittstelle zwischen
Europa und Asien! Aber auf einmal, zwei Wochen nach dem Ende des Studiums,
wusste ich: Ich will jetzt Musik studieren. Mein Professor, ein großer
Miles-Davis-Fan, hat nur gelacht. Der hatte das schon kommen sehen, weil
ich manchmal wegen Konzerten bei Exkursionen gefehlt hatte. Ich habe dann
ein Musik-Diplom gemacht.
Und dann gingen Sie ins Ausland?
Ich bekam den bayerischen Kunst-Förderpreis in Form eines Stipendiums. Nach
wie vor das Tollste, was ich je geschenkt bekommen habe: sechs Monate
Paris! Es war sehr herausfordernd.
Warum?
Ich konnte kein Französisch und dann so viel Freiheit auf einmal, mitten in
Paris. An der Cité Internationale des Arts sind ungefähr 300 Künstler aus
50 Ländern untergebracht, in allen Kunstrichtungen. Ich glaube, ich konnte
die ersten zwei Wochen fast gar nicht schlafen. Ich hatte totale Panik,
dass ich keine Auftritte mehr haben würde, wenn ich nach sechs Monaten
zurück nach München kommen würde. Was natürlich nicht passierte.
Wie war Paris für Sie?
Ein Großteil des Stipendium-Geldes habe ich für Konzertkarten ausgegeben.
Und ich bin oft auf Jamsessions gegangen. In einer neuen Umgebung muss man
sich erst einmal überwinden. Mittlerweile bin ich es schon gewohnt, als
Frau in einem Bereich zu sein, in dem hauptsächlich Männer unterwegs sind.
Als Frau bekommt man da eine andere Aufmerksamkeit. 20 Musiker auf einer
Session, und nur eine davon eine Frau. Ich möchte den Franzosen nichts
unterstellen. Die sind wahnsinnig charmant. Aber eine gewisse
Macho-Attitüde ist in der Musikszene dort schon vorhanden.
Wie hat sich das gezeigt?
Anfangs haben sie mit mir gesprochen, als wäre ich ein kleines Mädchen. Die
fanden die Blonde mit dem Saxophon süß. Den Satz „Du kannst ja wirklich
spielen“ habe ich aber nicht nur dort gehört.
Sie haben in München und Paris gelebt, wohnen jetzt in Hamburg. Aber Sie
kommen aus einer bayerischen Kleinstadt.
Heute könnte ich mir ein Leben dort nicht mehr vorstellen. Mir kann die
Stadt gar nicht groß genug sein. Das ist kreativer Input. Ich bin
mittlerweile ein totaler Stadtmensch, auch München war mir irgendwann
einfach zu klein. Aber während meiner Jugend war das genau richtig.
Suchen nicht gerade KünstlerInnen oft Ruhe als Inspiration?
An Hamburg schätze ich die Vielfalt, es ist eine lebendige Stadt. Aber es
ist als Wohnort auch interessant, weil ich schnell am Meer bin. Ich
empfinde den Norden und die Landschaft als freier und offener im Vergleich
zu Süddeutschland. Die nahen Berge empfinde ich als bedrückend. Dann muss
ich schon auch auf den Berg rauf, um herabzuschauen.
Was bedeutet Ihr Instrument Ihnen?
Das Saxophon funktioniert nicht über Text. Man hat andere Möglichkeiten. Es
ist eine Mischung aus allen Emotionen, die ich ausdrücken kann, fast wie
eine Therapie. Ich habe Tage auf der Bühne, wo ich entweder zu Stimme oder
Saxophon einen weniger intensiven Zugang empfinde. Aber auch ein
anstrengender Tag kann Eingang in die Musik finden. Und dann klingt das
vielleicht anders als sonst. Und das ist okay. Ich muss ein Stück nicht
jeden Abend auf die exakt gleiche Art und Weise auf die Bühne bringen. Das
ist die Freiheit, die man im Jazz hat.
Und wenn es gut läuft?
Dann ist es genauso wie sonst im Leben. Es gibt die Momente, in denen man
glaubt, alles zu wissen. Die Kunst ist, das alles in die Musik zu
übertragen.
Konzert: 16. März, Jenfeld-Haus
27 Feb 2020
## AUTOREN
Jan Paersch
## TAGS
Jazz
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Juliane Streich
Jazz
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