# taz.de -- Dirigentin Karen Kamensek: "Nicht jede Frau will sich das antun" | |
> Die amerikanische Dirigentin Karen Kamensek wechselt von der | |
> Hamburgischen Staatsoper an die Staatsoper Hannover. Dort wird sie als | |
> Generalmusikdirektorin das Orchester weiterentwickeln. | |
Bild: Wird neue Generalmusikdirektorin an der Staatsoper Hannover: Karen Kamens… | |
taz: Frau Kamensek, wir kommen nicht um das Frauenthema herum. | |
Karen Kamensek: Warum nicht? | |
Weil das niedersächsische Kulturministerium in seiner Pressemitteilung als | |
zweiten Satz schreibt: Mit Karen Kamensek "wird in der 374-jährigen | |
Geschichte des Niedersächsischen Staatsorchesters Hannover erstmals eine | |
Frau an der Spitze von Niedersachsens größtem Klangkörper stehen". Nervt | |
Sie die große Aufmerksamkeit für Ihr Geschlecht? | |
Jein. Dass eine Frau auf diesem Posten außergewöhnlich ist, muss man zur | |
Kenntnis nehmen. Aber es ist nicht das Besondere an dem Job, dass ich eine | |
Frau bin. Es gibt nicht so viele offene Generalmusikdirektoren-Stellen in | |
Deutschland. Ob die von einem Mann oder einer Frau besetzt sind, ist egal. | |
Derjenige, der geeignet ist, sollte es machen. | |
Woran liegt es, dass es so wenige Frauen in diesem Beruf gibt? | |
Wie in jedem anderen Beruf entscheiden sich die Frauen selber dafür oder | |
dagegen. Grundsätzlich ist der Beruf von Frauen zu machen. Aber es ist kein | |
einfaches Leben und keine einfache Aufgabe. Nicht jede Frau will sich das | |
antun. | |
Warum? | |
Es kann sehr schwierig sein, im Musikbereich ein Familienleben zu haben, | |
wenn man zwei Drittel des Jahres unterwegs ist und noch schwerer ist es in | |
diesem Beruf. Simone Young und einige andere Kolleginnen haben es | |
geschafft. Aber ich bisher nicht. Das liegt wahrscheinlich an der | |
Generation. Ich bin eine Generation unter derjenigen, die den Durchbruch | |
für Frauen geschafft hat. Mein Gefühl ist, dass meine Generation zuerst auf | |
die Karriere schaut und die Überlegung, eine Familie aufzubauen später | |
kommt als noch vor 20 Jahren. | |
Was mögen Sie am Dirigieren? | |
Der Reiz ist, Musik zu machen, indem man die Musiker zusammenbringt und mit | |
den verschiedenen Instrumenten und Klangfarben arbeitet. Dabei muss man die | |
Musiker führen. Man muss es üben, eine Führungskraft zu sein. Nicht jeder | |
hat das von Natur aus. Aber jeder, der den Dirigenten-Beruf ausüben will, | |
braucht das. Ich bin da gelandet, weil ich diese Führungspersönlichkeit | |
habe. | |
Wann hatten Sie denn diesen Berufswunsch zum ersten Mal klar vor Augen? | |
Mit elf Jahren. | |
Wie haben Sie mit elf Führungsqualität bewiesen? | |
Ich habe zu Hause Puppenspiel-Vorstellungen organisiert, ohne dass meine | |
Mutter etwas davon gewusst hat. Und wir haben in der Musikschule immer | |
Streichquartett gemacht. Obwohl ich die zweite Geige gespielt habe, habe | |
ich allen anderen erklärt, wie es gehen soll. | |
Wann fingen Sie mit dem Dirigieren an? | |
Auf der Highschool hatten wir ein wunderbares Musikprogramm. Seit meinem | |
12. Lebensjahr hatte ich jeden Tag Orchesterproben auf der Highschool. | |
Außerdem habe ich einen Chor geleitet und Stimmproben gemacht. Das gibt es | |
nicht überall in Amerika. Die Lehrer haben mich gefördert. | |
Nach der Highschool mussten Sie überlegen, wie Sie ihren Berufswunsch | |
verwirklichen können in einem Land, in dem die Oper ein Nischendasein | |
fristet. Was haben Sie unternommen? | |
Ich war erst 17, als ich mit High School fertig war, weil ich ein Jahr | |
übersprungen und mit fünf begonnen hatte. Ich habe gesagt: Dann muss ich | |
jetzt wohl am College einen Klavier-Abschluss machen. Das war ganz | |
selbstverständlich. Es ging einfach weiter von der High School in eine | |
größere Schule, die etwas mit Musik zu tun hat. Ich habe schließlich auch | |
auf der High School nichts anderes als Musik gemacht. | |
Mit 17 an die Uni? | |
Ob das eine gute Entscheidung war, weiß ich nicht. Man merkt, dass man | |
emotional noch nicht so weit ist. Im Nachhinein wünsche ich mir, ich hätte | |
mir mehr Zeit genommen. Obwohl ich auf eine gewisse Art schon spät dran | |
bin, wenn man sieht, was gerade in der Dirigenten-Szene losgeht: Je jünger | |
man ist, desto besser ist man unter dem Gesichtspunkt des Marketing. Für | |
mich wäre das der Tod gewesen. | |
Sie haben nach dem Klavier-Studium einige Jahre bei Dennis Russell Davies | |
assistiert und haben dann an der Indiana University Ihren Masters in | |
Dirigieren gemacht. | |
Es hat lange gedauert, bis ich nach Europa gekommen bin. Mein Manager würde | |
sagen: Fünf Jahre zu spät. Aber ich bin erst mal in New York gelandet und | |
habe da gearbeitet. | |
Wie kam Ihr Engagement an der Wiener Volksoper zu Stande? | |
Ich habe Simone Young assistiert, dabei hat mich ihr Manager gesehen. Ich | |
habe ihm gesagt: Ich bin fast 30, ich komme nicht weiter, die Karriere | |
bewegt sich nicht. Egal, wie viele Bewerbungen oder Probedirigate ich | |
versuche. Ich dachte damals: Jetzt muss ich etwas anderes machen. Aber was? | |
Ich habe viele Interessen, aber die habe ich nie weiterverfolgt. Ich habe | |
dem Manager gesagt: "Ich werde nach der letzten Assistenz mit Frau Young | |
aufgeben, wenn Sie mir nicht helfen." Dann hat er gesagt: "Schaun wir mal." | |
Er hat mir ein Probedirigat arrangiert an der Volksoper in Wien. Der | |
Manager hat zu mir gesagt: "Wenn Du versagst, wird Dein Name sofort | |
vergessen. Und wenn nicht, dann machen wir weiter." Er und ich sind jetzt | |
seit zehn Jahren Business-Partner und mittlerweile lachen wir darüber. | |
Über Ihre erste Kontaktaufnahme zu Simone Young heißt es, Sie hätten Frau | |
Young nach einem Konzert angesprochen mit den Worten: "Wenn Sie eine | |
Assistentin brauchen, dann bin ich das." Stimmt die Geschichte? | |
Die Geschichte stimmt. Aber sie wird immer intensiver ausgemalt. Die | |
Hauptsache dabei ist: Ich war frech und habe auf sie nach einer Vorstellung | |
am Bühneneingang der Metropolitan Opera in New York gewartet. | |
Was sagte Frau Young darauf? | |
Ich glaube, sie war ein bisschen schockiert. Wir haben uns auf einen Kaffee | |
getroffen und sie hat eine Videokassette von mir gekriegt. Es hat dann drei | |
Jahre gedauert, bis sie geantwortet hat, das war dann im Sommer 1999. Noch | |
im selben Herbst habe ich ihr assistiert und im Juni 2000 bin ich nach Wien | |
umgezogen. | |
Was würden Sie jungen Kollegen raten, die Dirigenten werden wollen? | |
Es ist schwierig, reinzukommen. Man muss assistieren, das ist der beste | |
Weg. Wenn man aus der Hochschule kommt mit Anfang 20, dann ist man noch | |
nicht reif genug. | |
Woran misst sich die Qualität eines Dirigenten? | |
Er braucht sicher einen Rhythmus, den er körperlich zeigen kann. Er muss | |
alles zusammenhalten, braucht Führungskraft, wenn die disziplinarischen | |
Sachen losgehen. Jeder im Orchester ist ein Künstler und hat seine Idee, | |
wie das Stück klingen soll. Aber einer ist halt verantwortlich, dass alles | |
zu einem bestimmten Zeitpunkt zusammenkommt. Gute Ohren helfen dabei. | |
Handwerk hilft. Es soll am Ende etwas Besonderes entstehen und nicht nur | |
einfach ein Stück durchlaufen. | |
Wie gewichten Sie den Team-Gedanken? | |
Der ist sehr wichtig. Das kenne ich aus meiner Kindheit in Amerika: We can | |
do it together! Das ist das Grundprinzip von Amerika. Ich arbeite gerne in | |
einem Team und bemühe mich, dass sich jeder wichtig und anerkannt fühlt. | |
Auch wenn sicher manche sagen würden, das stimme so nicht. Manchmal ist es | |
hart, Entscheidungen zu treffen. Derjenige da vorne ist für mindestens 60 | |
Prozent der Motivation verantwortlich. | |
Wie hoch ist der Anteil des Dirigenten am Endergebnis? | |
Dirigenteneinfluss, das ist wie eine Ehe. 50-50 sollte es sein, aber | |
manchmal trägt eine Person die Ehe mehr, als die andere. Das ist immer im | |
Fluss. | |
Was ist charakteristisch für Ihre Interpretationen? | |
Es gibt nur bei mir nur Tendenzen: Ich bin ziemlich flott mit meinen Tempi | |
und ich mag Energie, ich mag rhythmische Entwicklung. | |
Schwerpunkte in Ihrem Repertoire … | |
… entwickeln sich langsam. Früher war es durch meine Arbeit mit Davies mehr | |
die Moderne. Jetzt mache ich gerade eine französische und eine Mozart-Phase | |
durch. Ich habe großes Interesse an Strauss und Wagner. Aber auf die Frage: | |
"Wer ist Dein Lieblingskomponist?", muss ich sagen: "Der, der gerade auf | |
dem Pult liegt." | |
7 Mar 2010 | |
## AUTOREN | |
Klaus Irler | |
Klaus Irler | |
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Hamburg | |
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