# taz.de -- Nachruf auf Mark Fisher: Die Geister seines Lebens | |
> Der britische Theoretiker Mark Fisher analysierte die Nostalgie der | |
> gegenwärtigen Popkultur als Zeichen einer verlorengegangenen Zukunft. | |
Bild: Ein präziser Analytiker: Mark Fisher | |
Wie viele andere habe ich Mark Fisher zuerst vor dem Laptop kennengelernt. | |
In den Nullerjahren landete ich auf seinem Blog „K-Punk“ und hatte das | |
Gefühl, dass die Zeit aus den Fugen geraten war. „K-Punk“ war ein Blog üb… | |
Pop, aber ihm fehlte die geschwätzige Ironie des Popjournalismus, in der | |
letztlich nur Verachtung für seinen Gegenstand liegt. Für Mark hatte sich | |
über Pop die Welt erschlossen, und so betrachtete er die nostalgische | |
Popkultur der nuller Jahre von den Rändern her. Sein Mittel war die | |
akademische Kulturtheorie, in den falschen Händen selbst ein Ort der | |
Geschwätzigkeit. Auf „K-Punk“ wurde sie zur Waffe gegen die endlose | |
Wiederholung des Immergleichen. | |
Mark hatte damals bereits eine Geschichte hinter sich. Als Teil der | |
Cybernetic Culture Research Unit schrieb er in den 90er Jahren Prosa, die | |
mit der Intensität von Breakbeats die Prophetie von New Labour und der New | |
Economy zugleich überholen wollte. Bis zuletzt war er von den Möglichkeiten | |
von Technologie fasziniert – nicht von ihrer realkapitalistischen | |
Umsetzung. | |
Als Ende der nuller Jahre das Bloggen durch die risikokapitalfinanzierten | |
sozialen Netzwerke verdrängt wurde, zog er sich mehr und mehr aus dem | |
Internet zurück und gründete mit zwei Mitstreitern den Verlag Zero Books. | |
Der Verlag wurde für die frühen zehner Jahre das, was Merve für die 80er | |
gewesen ist. Bei Zero Books erschienen die ersten Manifeste des | |
„Spekulativen Realismus“, Architekturtheorie und immer wieder Texte, die | |
mit Popmusik die Gegenwart ergründet haben. | |
Marks Buch „Capitalist Realism“ von 2009 („Kapitalistischer Realismus ohne | |
Alternative?“, VSA) war einer der ersten Titel. Präzise seziert er dort die | |
Widersprüche des britischen Neoliberalismus. Dieser gibt sich freiheitlich, | |
aber produziert eine ermüdende Bürokratie. Er feiert die Kreativität, | |
bringt aber eine Retrokultur hervor, die auf Nostalgie basiert. | |
## Gespensterforscher | |
In „Ghosts of my life“ von 2014 („Gespenster meines Lebens: Depression, | |
Hauntology und die verlorene Zukunft“, Edition Tiamat) durchstreift er die | |
Popkultur der Gegenwart auf der Suche nach den Überresten eines besseren | |
Morgen. Im Dubstep von Burial hallt ihm die Euphorie seiner Erfahrungen auf | |
Jungle-Raves nach, die englischen Riots von 2011 erkundet er mittels der | |
Militanz der Filme des Black Audio Film Collective aus den mittleren 80ern. | |
In einem großartigen Essay über Joy Division begreift er deren stilisierte | |
Negativität als Vorhersehung eines depressiven Jetzt. | |
Wie Ian Curtis, der Sänger von Joy Division, war auch Mark ein Kind der | |
britischen Arbeiterklasse, der dank des britischen Sozialstaats viel Zeit | |
zum wilden Lesen hatte. Diese Herkunft konnte und wollte er niemals | |
ablegen. Seinen ostenglischen Akzent hatte er sich an der Uni abtrainiert, | |
seitdem konnte er die Privilegien des von der Mittelklasse geprägten | |
Kulturbetriebs parodieren. Denn selbst als Mark längst Professor am | |
Londoner Goldsmiths College war, hatte er das Gefühl, dort nicht wirklich | |
hinzugehören. | |
Genau wie seine Klassenherkunft war auch die Depression eines der | |
Gespenster, die ihn immer wieder heimgesucht haben. Sein letztes Buch „The | |
Weird and the Eerie“ (2017) konnte er noch fertigstellen, für „Acid | |
Communism“, sein Buch über die verlorenen Potenziale der Gegenkultur der | |
1960er, hat die Depression ihm die Kraft geraubt. Politisch ist er bis | |
zuletzt Optimist geblieben. | |
## Reden über Depressionen | |
Im Mai 2015 war Mark Fisher in Köln zu Gast. Die Labour Party, in der er | |
Mitglied war, hatte kurz zuvor die Parlamentswahlen deutlich gegen David | |
Camerons Tories verloren. Aber Mark war voller Energie. Für ihn war es der | |
Beginn einer neuen Form von Organisation – ihm war klar, dass der | |
neoliberale Flügel der Partei abgewirtschaftet hatte. Die Wahl Jeremy | |
Corbyns zum Labour-Vorsitzenden durch eine neue Basisbewegung ein paar | |
Monate später hat ihm recht gegeben. | |
Am Abend hat Mark in einer Bar einen Vortrag über Depressionen gegeben. Der | |
Raum war voll, das Publikum saß ihm buchstäblich zu Füßen. Mark hat eine | |
Stunde über Depressionen geredet und, wie immer, hat er dabei Theorie, | |
Politik und seine eigenen Therapieerfahrungen so gemischt, dass sich ein | |
Moment der Gegenwart eröffnete. | |
„Wann wird das Sprechen über Gefühle ein politischer Akt?“, fragt er in | |
seinem mittlerweile veröffentlichten Vortragstext und antwortet: „Wenn es | |
Teil einer Praxis der Bewusstseinsbildung ist, durch die die unpersönlichen | |
und intersubjektiven Strukturen sichtbar gemacht werden, welche in der | |
Regel von der Ideologie vernebelt sind.“ | |
Am Freitag hat sich Mark Fisher das Leben genommen. Er wurde 48 Jahre alt. | |
15 Jan 2017 | |
## AUTOREN | |
Christian Werthschulte | |
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