Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Debütalbum von UK-Grime-Artist Stormzy: Über sich selbst hinauswa…
> Er hat Grime in seiner Heimat in die Charts gebracht. Mit seinem
> Debütalbum „Gang Signs & Prayer“ zeigt er sein Talent der ganzen Welt.
Bild: Nie um Worte verlegen: Stormzy
Eine Szene vor wenigen Tagen in einem Park im Südlondoner Stadtteil
Brixton: An einem Getränkestand wartet ein kleines afrobritisches Mädchen
auf seinen Kakao und spielt mit seinem Hund. Sein Name: Stormzy – genau wie
der Grime-MC aus dem benachbarten Stadtteil Streatham.
Früher waren Grime-MCs Sündenböcke für Kriminalität und Bandenkriege, heute
können die Rapper Namensgeber für Familienhunde sein. Das hat viel mit dem
23-jährigen Stormzy zu tun, bürgerlich Michael Ofari. 2015 filmte er sich
in einem Londoner Park, flankiert von seiner Crew. Über einem
Grime-Instrumental aus den nuller Jahren improvisierte er Reime. „Shut Up“
– so der Name des Tracks, ist der erste Grime-Freestyle, der es in die
britischen Top 40 schaffte, auf YouTube wurde er 48 Millionen Mal geklickt.
Der Zwei-Meter-Hüne hat schon als Pubertierender gelernt, sich mit Wortwitz
gegen MC-Konkurrenten durchzusetzen. Sein Markenzeichen: Selbst beim
fiesesten Diss grinst er immer freundlich. „Kaum jemand kennt Grime, aber
alle lieben Stormzy“, heißt es in einem Zwischenspiel auf seinem frisch
erschienenen Debütalbum „Gang Signs & Prayer“.
Sein Auftritt bei den Brit Awards war umjubelt, seine Großbritannien-Tour
binnen Stunden ausverkauft. Das Albumcover ziert seit Wochen Bauzäune und
Busse in London, es zeigt den MC in einer Abendmahlszene inmitten
maskierter afrobritischer Männer. Das ergibt Sinn: „Gang Signs & Prayer“
ist das erste Grime-Album, auf dem rapcharakteristischer Braggadocio mit
Bibelstellen ausgeschmückt wird.
## Missionar des Grime
Stormzy will missionieren. Grime galt bis jetzt als Genre, dessen
Protagonisten nicht zu den eigenen Bedingungen Erfolg hatten; Beifall gab
es nur, wenn sie ihren Sound mit House-Beats und Partytexten mischten.
Seitdem Grime-MC Skepta 2016 mit einem kompromisslosen Album den Mercury
Prize gewann, haben sich die Vorzeichen geändert.
Stormzy möchte noch mehr. Als Grime-MC will er wachsen, ohne dabei die
puristischen Vorstellungen einer Londoner Lokalszene bedienen zu müssen.
Gleich zu Beginn seines Albums rechnet er deshalb ab: mit Radio-Talkshows,
die seine Szene für Messerstechereien verantwortlich machen, mit Grime-MCs,
die an ihm gezweifelt haben, als er vergangenes Jahr eine Tour absagen
musste. Schließlich spricht er von „Depression“ und einem „dunklen Ort�…
von Abgründen oder Selbstzweifeln hört man sonst selten in der Jungsdomäne
Grime.
Dabei verzichtet Stormzy nicht auf die alten Codes. Er beherrscht den
Grime-Dreischlag aus hektischen Beats, überzogenen Orchestersamples und
Videospielsounds perfekt. Seine Texte sind durchsetzt von Anspielungen auf
den urbanen Alltag, MC-Battles und Szenestreitigkeiten. Mit Straßenrapper
Ghetts hat er sich Verstärkung geholt. Ghetts gilt als der große Erzähler
des britischen Ghettos, nur wenige Veranstalter trauen sich, ihn für
Auftritte zu buchen.
## Jugendliebe R&B
Gleichzeitig versucht Stormzy, seiner Jugendliebe R&B gerecht zu werden. Im
Song „Blinded by your Grace“ schleicht er sich mit seiner variantenarmen
Stimme über gedämpfte E-Piano-Akkorde an Balladenatmosphäre ran. Später
säuselt er im Duett mit der Sängerin Kehlani, beide treffen die Spannung
eines klassischen R&B-Paares gut, aber der Schlüssel zu ihrem Liebesglück
ist nicht körperliche Attraktivität, sondern gemeinsames Kiffen. Auch das
ist Stormzy: Droht zu viel Pathos, landet er einen Witz.
Im Finale, „Lay me bare“, rappt Stormzy über die Armut in der zugigen
Wohnung in Südlondon, über das schwierige Verhältnis zu seinem Vater und
über Depressionen, die daraus resultieren. In Stormzys Reimen werden seine
autobiografischen Erlebnisse zur Geschichte einer ganzen Generation junger
Afrobriten, die ihre psychischen Defekte mit Gewalt und hypermaskulinem
Macho-Verhalten verdrängen.
„Gang Signs & Prayer“ ist ein Entwicklungsroman in Grime-Form. Er zeigt der
Szene, aber auch der ganzen Welt, wie man über sich selbst hinauswachsen
kann.
6 Mar 2017
## AUTOREN
Christian Werthschulte
## TAGS
London
Grime
Rap
Mark Fisher
Kollaboration
## ARTIKEL ZUM THEMA
Album „Culture“ von Migos: Skurr skurr, brra!
Mit ihrem neuen Album erheben die drei Rapper von Migos aus Atlanta
Anspruch auf den HipHop-Thron. Fest steht: Sie beherrschen ihren Trap.
Nachruf auf Mark Fisher: Die Geister seines Lebens
Der britische Theoretiker Mark Fisher analysierte die Nostalgie der
gegenwärtigen Popkultur als Zeichen einer verlorengegangenen Zukunft.
Konono No.1 & Batida: Was den Garagensound verzerrt
Konono No.1 aus Kinshasa hat sich mit dem Angolaner Batida für ein neues
Album zusammengetan. Nun kommen sie auf Deutschlandtour.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.