| # taz.de -- Dubstep-Künstler Burial und Pinch: Wo Untote zum Rave bitten | |
| > Im Dubstep ist unter den Bässen viel Raum. Burial aus London und Pinch | |
| > aus Bristol lassen dort Erinnerungen an Clubnächte, Soul und Geräusch | |
| > einfließen. | |
| Bild: In ihren Köpfen hallt noch das Echo der Nacht nach: Burial-Cover. | |
| Es hatte etwas Befreiendes, als vor etwa zwei Jahren die ersten Platten | |
| einer neuen Musik namens Dubstep aus London in den Plattenläden des | |
| Kontinents auftauchten. Aufregend autonom klang der Londoner | |
| Dance-Music-Hybrid, das die Dub-Methoden von Klangreduktion und | |
| -manipulation neu formuliert hat. Eine Musik, die nicht viel mehr als aus | |
| einem mächtigem Bass und viel Raum bestand. Dabei knüpfte sie an eine | |
| verschüttete Mythologie aus dem Underground an, die auch an den Rändern der | |
| Popkultur längst nostalgischen Sentimentalitäten und einer neoliberalen | |
| Ernüchterung gewichen zu sein schien. | |
| Seither verhält sich Dubstep in vielerlei Hinsicht antizyklisch zum | |
| allgemeinen Geschehen. So handelt es sich bei dem Phänomen nicht nur um das | |
| einzige Wachstumssegment auf dem eingebrochenen Vinylmarkt seit Einführung | |
| des iPods. Gerade belebt es auch das totgesagte Albumformat mit zwei | |
| außergewöhnlichen Entwürfen wieder. Der enigmatische Südlondoner Produzent | |
| Burial lässt auf sein viel beachtetes Debüt von 2006 nun das | |
| Geister-Rave-Album "Untrue" folgen. Und der Dubstep-Botschafter Pinch | |
| knüpft auf seinem Erstling "Underwater Dancehall" an das postkoloniale Erbe | |
| der Küstenstadt Bristol an. | |
| Mit seiner Entscheidung, anonym zu bleiben, tritt Burial als jüngstes | |
| Mitglied dem Club der Gesichtslosen des Pop bei, die sich der medialen | |
| Sichtbarkeit verweigern. Der gewünschte Effekt ist: Die Leerstelle | |
| ermöglicht eine Rezeption jenseits vom Authentizitätsgebahren des | |
| Künstlersubjekts. Doch Burial will seine Öffentlichkeitsscheu nicht als | |
| Anti-Image-Statement verstanden wissen. Über einen Promoter lässt er | |
| mitteilen, dass er einfach nur in Ruhe Tunes machen wolle. In den wenigen | |
| Interviews, die er doch gegeben hat, reiht sich der geheimnisvolle | |
| Produzent in eine Tradition ein, die angesichts des Marktgeschreis auf | |
| MySpace anachronistisch anmutet: "Ich mag die alten Platten, bei denen du | |
| nicht wusstest, wer sie gemacht hat. Und es war auch egal, denn so bist du | |
| tiefer in die Musik eingetaucht. Undergroundmusik sollte mit dem Rücken zum | |
| Publikum stehen, unauffindbar und unlesbar sein, ein Licht in der Ferne." | |
| Dagegen ist Robert Ellis, der unter dem Pseudonym Pinch firmiert, eine der | |
| sichtbarsten Gestalten des Dubstep. Er verkörpert den Allround-Multitasker | |
| der Clubkultur: DJ, Produzent, Labelbetreiber und Partypromoter in | |
| Personalunion. Geboren 1980 in Aberdeen, Schottland, zog er mit 18 Jahren | |
| in den Südwesten Englands, wo ihn der blühende Triphop und Drum & Bass des | |
| Bristol-Sounds ansteckte. Seit 2003 veranstaltet Pinch die Partyreihe | |
| Subloaded und betreibt das Label Tectonic, über das er einen | |
| vielversprechenden Kanal zwischen Dubstep und Techno eröffnet hat. | |
| Die Sounds der ungleichen Dubstep-Kollegen sind tief in ihren lokalen | |
| Kontexten verwurzelt. Auf seinem Debüt bewegte sich Burial durch das | |
| düstere, dystopische Brachland von Südlondon. Über die suburban zersiedelte | |
| Gegend ließ er Echos hallen, die Luft war von elektromagnetischen | |
| Störgeräuschen aus dem oberirdischen Gleisnetz durchsetzt, wie in "Blade | |
| Runner" regnete es ständig. Die gespenstische Qualität von Burials | |
| verrauschter und billig produzierter Musik entsprach der Flüchtigkeit | |
| seiner Identität. Auf dem aktuellen Album "Untrue" hat sich etwas | |
| verschoben. Nach der schweren Melancholie schimmert nun ein wenig mehr | |
| Licht im Dunkeln. Auf dem Cover sieht man eine gezeichnete Graffitifigur, | |
| die in sich gekehrt vor einer Tasse Tee verweilt. Bittersüße Frauenstimmen | |
| locken aus verlassenen Straßenschluchten in die Nähe von Clubs, wo Untote | |
| noch einmal zum Rave bitten. | |
| Der Isolation und orthodoxen Haltung aus London stehen die ozeanische Weite | |
| und hybride Tradition von Bristol gegenüber, in die sich Pinch einreiht. | |
| Von pulsierenden Subbässen angetrieben fließen auf seinem Album "Underwater | |
| Dancehall" hypnotische Technoklänge und chirurgisch editierte Percussions | |
| durch minimalistische Arrangements. Über das subaquatische Thema schreibt | |
| sich Pinch in die transatlantischen Verbindungslinien des Bristol-Sounds | |
| ein. Dessen Ursprünge reichen zurück bis ins 18. Jahrhundert, als die Stadt | |
| ein Umschlagplatz für den Sklavenhandel war. Nach dem Zweiten Weltkrieg | |
| fanden hier viele jamaikanische Migranten ein neues Zuhause und legten das | |
| Fundament für eine karibisch beeinflusste Soundsystem-Kultur, die in den | |
| Neunzigerjahren durch Massive Attack weltberühmt wurde. | |
| Mehr noch als auf das traumgleich zeitlupenhafte Klangideal bezieht sich | |
| Pinch auf das enge Netzwerk der Stadt: "Der Vorteil ist, dass Bristol sehr | |
| kompakt ist. Man kann von Club zu Club spazieren und lernt sich schnell | |
| kennen." Soundsystem-Veteran Rob Smith von Smith & Mighty nahm ihn unter | |
| seine Fittiche und hat den offenen Geist der lokalen Szene an ihn | |
| weitergereicht. Wie schon Massive Attack wendet sich Pinch organisch über | |
| Reggae und Soul dem Pop zu, ohne sich eines vordergründigen | |
| Crossover-Kalküls verdächtig zu machen. Zwar umfasst die Doppel-CD eine | |
| komplett instrumentale Version des Albums, die die meditative Qualität von | |
| Dubstep herausstellt. Doch die Aufmerksamkeit gilt der CD, auf der die | |
| Tracks durch Refrains und Hooks zu amtlichen Songs werden. Mit Soulsängerin | |
| Yolanda, dem Roots-Vokalisten Rudey Lee, Juakali aus New York und der | |
| indischbritischen Songschreiberin Indi Kaur nimmt Pinch wieder jene Spuren | |
| in seine Musik auf, deren Aussparung den klassischen Dub und Dubstep | |
| definiert hat. Davon verspricht er sich, über die Clubszene hinaus Gehör zu | |
| finden: "Die Vocals sollen das Album in einen Home-Listening-Kontext | |
| bringen. Dafür sind Alben ja in erster Linie da." | |
| Auch bei Burial fällt der vermehrte Einsatz von Gesangsspuren auf. Zwar | |
| rücken sie die Tracks ebenfalls in die Nähe von Songs, ohne jedoch | |
| handelsübliche Standards zu bedienen. Stimmen aus Anrufbeantwortern und | |
| verfremdete A-capella-Fragmente lassen in originaler Dubtradition eine | |
| virtuelle Form entstehen, die Song und Instrumental überschreitet. Dabei | |
| sind die synthetischen Engelsgesänge, die das Leitmotiv von "Untrue" | |
| bilden, bis zur Unverständlichkeit zerschnitten, gedehnt und beschleunigt. | |
| Losgelöst von ihren Signifikaten schweben sie als spektrale Intensitäten | |
| durch eine Architektur aus grollenden Bässen und klackernden | |
| Synkopierungen. | |
| Burial beschreibt die gedämpften Ecstasy-Flashbacks in seiner Musik als | |
| Nachglühen der Rave-Ära: "Stell dir vor, Leute sitzen nach dem Club | |
| zusammen herum. In ihren Köpfen hallt noch das Echo der Nacht nach. Oder du | |
| steigst die Treppen in einen Club hinab, und die Musik vermischt sich mit | |
| Gesprächen. Meine Musik ist wie die Erinnerung an ein Stück." Hochgepitchte | |
| Frauenstimmen und getupfte Pianoakkorde markieren den zeitlichen | |
| Bezugsrahmen der wiederbelebten Phase: von der Initialzündung des | |
| sogenannten Hardcore Continuums mit Jungle in den frühen Neunzigern bis zu | |
| seinem Ausverkauf und Untergang mit 2Step um die Jahrtausendwende. | |
| Dazwischen und danach ist der britische Dance-Underground eher die Domäne | |
| von technikfixierter Jungsmusik gewesen. Durch das Weiblichwerden des | |
| ekstatischen Ravekörpers gelingt es Burial, Dubstep vor der drohenden | |
| Erstarrung durch testosterongetriebene Monsterbässe und autistische | |
| Schleifen zu bewahren. | |
| Und indem er der Blütezeit der Samplekultur Tribut zollt, erhebt er sie in | |
| den Rang einer eigenständigen Musiktradition, die eine Wertschätzung wie | |
| der Blues oder Jazz verdient. Doch "Untrue" hört sich nicht nach einem | |
| verlorenen Meisterwerk aus den Archiven an. Während im Mainstream "die | |
| guten alten Zeiten" musealisiert oder kannibalisiert werden, erneuert | |
| Burial den Sound, für den sein Herz schlägt. Hierfür nutzt er Dubstep als | |
| eine Art Metagenre, in dessen weiten Hallräumen und offenen Zählzeiten die | |
| Potenziale vergangener und zukünftiger Musik gleichzeitig aktualisiert | |
| werden können. Dabei wendet Burial das hymnische Ravemotto "Unity" in ein | |
| gebrochenes "Untrue". | |
| Der humanistische Ruf nach Einheit trifft eher auf Pinch zu: Sein | |
| Produzentenalbum bietet durch die Nähe zu Popsongs eine einladende | |
| Identifikationsfläche, die der kommerziellen Vereinnahmung von Dubstep den | |
| Weg ebnen könnte - wäre sein Entwurf nicht so fest im Bristol-Sound | |
| verankert. In Burials posthumaner Zwischenwelt hingegen fühlen sich Haut | |
| und Haare nicht mehr wie die eigenen an. Artifizielle Sirenengesänge und | |
| das entfernte Donnern der Bässe führen geradewegs aus einem selbst heraus. | |
| Befreit vom lästigen Fleisch schwebt man auf einer gewaltigen Ebene hoch | |
| über der Stadt, während Begehren, Fantasien und Sehnsüchte in eine | |
| Landschaft aus Industriebrachen, Straßenzügen und Katakomben übergehen. | |
| 16 Nov 2007 | |
| ## AUTOREN | |
| Uh-Young Kim | |
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