Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- EU-Afrika-Gipfel in Brüssel: Long Covid in der Beziehung
> Bei dem zweitägigen Treffen in Brüssel möchte die EU ihre
> wirtschaftlichen Beziehungen stärken. Die Afrikaner pochen auf freie
> Impfstofflizenzen.
Bild: Patientinnen registrieren sich in Johannesburg für eine Corona-Impfung i…
Berlin taz | Als EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am Montag
die „Afrika-Europa-Woche“ eröffnete, erinnerte sie an den
Friedensnobelpreisträger Desmond Tutu. Menschen könnten „nur heilen, wenn
wir einander die Hand reichen“, habe der gesagt. Das sei der richtige Geist
für den am Donnerstag in Brüssel beginnenden Gipfel von EU und
Afrikanischer Union (AU), fand von der Leyen. Denn es seien „Zeiten der
Heilung für unsere beiden Kontinente“. Angesichts des Umgangs mit Afrika in
der Coronapandemie ein Statement von herausragender Chuzpe.
Der [1][letzte EU-AU-Gipfel, 2017 in Abidjan], war ohne Schlussakte
geendet: Zu groß waren die Differenzen, etwa bei der Migration. Dann kam
Covid, und das Verhältnis beider Kontinente wurde so schwierig, dass manche
sagen, es sei schon ein Erfolg, dass das Treffen nun überhaupt stattfindet.
Zu Beginn ihrer Ansprache verwies von der Leyen auf Europas Coronahilfen
für Afrika: bislang rund 440 Millionen Impfdosen plus 1 Milliarde Euro
Zuschuss für neue Impfstoffwerke. „Sharing is Caring“, „Teilen ist
Fürsorge“, sagte von der Leyen dazu. Doch die AU drängt auf die Aussetzung
der Patente. Sie will die Produktion und Preise der Impfstoffe – auch mit
Blick auf künftige Pandemien – kontrollieren können. In Afrika sind rund 11
Prozent der Bevölkerung gegen Covid geimpft, in der EU sind es etwa 72
Prozent. „Impfstoff-Apartheid“, sagt Südafrika Präsident Cyril Ramaphosa
dazu.
Sein Land hat 2020 bei der Welthandelsorganisation beantragt, den
Patentschutz für die Covid-Impfstoffe auszusetzen. Über 120 Staaten,
darunter die USA, unterstützen dies. Die EU werde „nachdrücklich
aufgefordert“, einer solchen Ausnahmeregelung zuzustimmen – das steht im
Entwurf der AU für die Abschlusserklärung des zweitägigen Gipfels. Doch die
EU will nicht. Die von ihr für das Abschlussdokument vorgesehene
Formulierung, eine „Afrika-Europa-Allianz“ zu schaffen, strich die AU aus
ihrer Abschlusserklärung heraus und ersetzte sie durch eine – semantisch
deutlich kühlere – „erneuerte AU-EU-Partnerschaft bis 2030“.
„Noch in einem kolonialen Modell“
Das zweite große Thema des Gipfels ist die Verknüpfung von
Entwicklungshilfe und der Erschließung der enorm aussichtsreichen
afrikanischen Märkte für Europa. „Wir leben immer noch in einem kolonialen
Modell“, in dem Afrika nur Rohstoffe exportiere, sagt der
Verhandlungsführer der AU, der Ökonom Carlos Lopes. Es gebe deshalb „viel
Frustration“, Afrika suche nach „neuen Partnerschaften, die zur
Industrialisierung des Kontinents beitragen“, so Lopes.
Doch die „neuen Geber“ – China, die Türkei, Indien, Russland – bemühe…
zwar mit eigenen Gipfeln um gute Beziehungen und Zugang zum afrikanischen
Markt und zu den Ressourcen, investieren aber kaum in den Aufbau einer
afrikanischen Industrie oder kontinentweiter Projekte, sagt Theodore Murphy
vom European Council on Foreign Relations. Und die AU fürchtet kaum etwas
mehr, als erneut Stellvertreterschauplatz eines Kalten Kriegs – diesmal
zwischen den USA und China – zu werden.
So hofft die EU, sich als Partner andienen zu können. Ihr Instrument dazu
ist ein mirakulöses Geldvermehrungswunder namens [2][„Global Gateway“.] Das
schon im November vorgestellte Infrastruktur-Förderprojekt sei „eine
Alternative“ zu Chinas „Neuer Seidenstraße“, sagte von der Leyen.
Sagenhafte 150 Milliarden Euro will die EU bis 2027 damit für den Ausbau
„grüner“ und digitaler Infrastruktur und Industrie nach Afrika leiten. Das
ist mehr, als sie hat. „Hilfe wird durch das Versprechen auf Investitionen
ersetzt“, sagt Lopes.
Mit Kreditgarantien sollen Unternehmen zu Investitionen in Afrika angeregt
werden. Der Gedanke ist nicht falsch: Mit Entwicklungshilfe allein ist der
enorme Investitionsbedarf auf dem Kontinent nicht zu decken. Der Clou beim
„Gateway“: Für jeden eingesetzten Euro soll die mehr als fünffache Summe
aus privaten Taschen fließen – zugunsten von Klimaschutz, Digitalisierung
und Arbeitsplätzen. 2016 hat die EU ein Vorgängerprogramm aufgelegt, das
mit 4 Milliarden Euro bis 2020 weitere 40 Milliarden an Investitionen für
Afrika „triggern“ sollte.
Die Kommission vermag auf taz-Anfrage nicht zu sagen, wie viel privates
Kapital bisher tatsächlich geflossen ist. Das sei auch erst nach etwa 15
bis 20 Jahren feststellbar, sagt dazu Benedikt Erforth vom Deutschen
Institut für Entwicklungspolitik. „Einen Faktor von 1:10 nachzuweisen ist
nicht möglich.“ Grundsätzlich funktioniere solche Investitionsförderung vor
allem in Ländern mit mittleren Einkommen, beispielsweise für Investitionen
in digitale Infrastruktur in Tunesien. „In fragilen, sehr armen Staaten
funktioniert das nicht,“ sagt Erforth. Laut dem Londoner Overseas Institute
liegt die Hebelwirkung solcher Finanzinstrumente in sehr armen Staaten
bei gerade mal 1:0,37.
Etwas stiller wird das Thema Migration verhandelt. Am Montag sagte
Österreichs Wirtschaftsministern Margarete Schramböck, Afrika sei „nicht
nur ein Land, aus dem Flüchtlinge kommen“, auch wenn dies das Bild sei,
dass „oft in Europa verbreitet“ werde. Schramböck entschuldigte sich für
die Formulierung, an der Verbreitung dieses Bilds wirkt die EU indes
kräftig weiter mit: Vergangenen Freitag reiste Innenkommissarin Ylva
Johansson zur Vorbereitung des Gipfels nach Senegal. Dort schlug sie vor,
die „bewaffneten Truppen“ der EU-Grenzschutzagentur Frontex nach Senegal
zu entsenden. Es wäre die erste Zusammenarbeit dieser Art in Afrika, laut
Johansson.
Tatsächlich ist Frontex mit der spanisch dominierten „Operation Hera“ schon
seit 2006 in Senegal präsent, um den Weg zu den Kanaren abzuschneiden. Seit
2020 hat Frontex in Albanien, Serbien und Montenegro eine neue Form von
Drittstaateneinsätzen etabliert, die weitgehend autonom von lokalen
Behörden agieren. So soll es künftig wohl auch in Afrika laufen und Senegal
als AU-Führungsnation offenbar ein Brückenkopf sein. Denn die AU sieht die
Externalisierung der Migrationskontrolle kritisch. Dänemark verhandelt
seit 2021 mit vier afrikanischen Staaten über exterritoriale Asylverfahren.
Die AU hat sich dagegen äußerst scharf positioniert.
Vor diesem Hintergrund wird nun weiter über Elemente des „schwebenden“
EU-Migrationspakts verhandelt, der vorsieht, dass Afrika in Sachen
Migrationskontrolle und Rücknahme Abzuschiebender stärker zu Kooperation
bewegt wird. Die Haltung der AU-Staaten dazu ist sehr uneinheitlich.
Genug Geld ist da
Deutschlands Rolle ist dabei interessant, weil sich die Ampel nicht länger
nur auf die EU verlassen, sondern einen eigenen Sonderbeauftragen ernennen
will. Geld, um Afrika Zugeständnisse beim Grenzschutz und Abschiebungen
schmackhaft zu machen, ist jedenfalls da: Nachdem der EU-„Nothilfefonds für
Afrika“ (EUTF) 2021 ausgelaufen ist, stehen fast 8 Milliarden Euro im neuen
„außenpolitischen Instrument“ NDICI für Migrationskontrolle bereit.
Viele offene Fragen gibt es auch zu den europäischen Militäreinsätzen.
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hatte für Mittwochabend europäische
und afrikanische Regierungschefs eingeladen, um über den Militäreinsatz in
der Sahel-Zone zu sprechen. Frankreich will seine etwa 2.500 Soldaten aus
Mali abziehen und die Militäreinsätze in der Region neu organisieren.
Bislang laufen die europäischen Einsätze im Sahel meist unter formal
afrikanischer Ägide. 2021 aber hat die EU das entsprechende
Finanzierungsinstrument, die „Afrikanische Friedensfazilität“ abgewickelt
und durch die „Europäische Friedensfazilität“ ersetzt. Darin stecken nun
5,6 Milliarden für künftige Militäreinsätze, die die EU leichter selbst
leiten kann. Die AU sieht darin vor allem ein Instrument, das Frankreich
mehr Spielraum für eigene Operationen gibt.
16 Feb 2022
## LINKS
[1] /EU-Afrika-Gipfel/!5462724
[2] /300-Milliarden-Plan-der-EU/!5815913
## AUTOREN
Christian Jakob
## TAGS
Afrika
Impfstoff
Pandemie
GNS
Sierra Leone
Schwerpunkt Coronavirus
Schwerpunkt Coronavirus
EU-Afrika-Gipfel
Schwerpunkt Emmanuel Macron
Schwerpunkt Coronavirus
IG
Lesestück Recherche und Reportage
## ARTIKEL ZUM THEMA
China investiert in Sierra Leone: Vom Ökoparadies zum Fischerhafen
Für einen chinesischen Hafen sollen in Sierra Leone viele Naturschätze
weichen. Anwohner*innen wehren sich – und werden verhaftet.
Einigung zu Corona-Impfstoffen: Den Kürzeren gezogen
Der Kompromiss der WTO zur Aussetzung von Patenten hat den Namen nicht
verdient. Einen gerechten Zugang zu Covid-Arzneien wird es weiter nicht
geben.
Patente auf Corona-Impfstoffe: Beraten durch Biontech
Impfstoff-Patente aufheben? Im Wahlkampf war Robert Habeck dafür, als
Vizekanzler ist er dagegen. Überzeugt hat ihn Patentinhaber Biontech.
EU-Afrika-Treffen in Brüssel: Afrika etwas zurückgeben
Die Zukunft hier hängt auch von Frieden und Wachstum in Afrika ab. Die EU
sollte ihre zahlreichen Versprechen an den Kontinent einlösen.
EU-Afrika-Gipfel: Beziehungsstatus: Es ist kompliziert
Das Treffen wird vom Streit um Impfstofffreigabe und vom geplanten
Truppenabzug aus Mali überschattet. Soldaten sollen wohl nach Niger verlegt
werden.
Durchbruch bei mRNA-Forschung: Corona-Impfstoff bald aus Afrika
Die patentunabhängige Entwicklung eines Impfstoffs in Südafrika läuft gut.
Erste Tests könnten im Herbst beginnen.
Ungerechtigkeit bei Corona-Impfungen: Die globale Impflücke
Der Zugang zu Corona-Impfungen ist global extrem ungleich verteilt. Ob sich
das ändert, könnte über die Pandemie entscheiden. Eine Datenanalyse.
Fluchtroute von Afrika auf Kanaren: Verloren im Atlantik
Rund 400 Menschen kommen derzeit auf der Insel Gran Canaria an. Pro Tag.
Doch viele Flüchtlingsboote verschwinden schon vorher im Ozean.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.