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# taz.de -- Patente auf Corona-Impfstoffe: Beraten durch Biontech
> Impfstoff-Patente aufheben? Im Wahlkampf war Robert Habeck dafür, als
> Vizekanzler ist er dagegen. Überzeugt hat ihn Patentinhaber Biontech.
Bild: Bringt es der Patentschutz? Mit unabhängigen Expert*innen sprach Habeck …
Berlin taz | Sieben Wochen in der Regierung reichten Robert Habeck aus, um
beim Thema Impfstoffpatente eine 180-Grad-Wende hinzulegen. Als Grünen-Chef
hatte er gefordert, die Patente auf Coronavakzine auszusetzen. So könnten
weltweit Impfstoffe hergestellt und die Impfquoten armer Länder gesteigert
werden. Als Vizekanzler [1][verkündete Habeck Ende Januar aber], dass eine
Patentfreigabe doch nicht helfen würde. Zu dem Schluss sei er gekommen,
nachdem er mit „Wirtschaftsministerkollegen“ und „Unternehmen noch mal
intensiv gesprochen“ habe.
Genaugenommen ließ sich Habeck allerdings nur von einem Unternehmen
beraten: Der Positionsänderung gingen mehrere Gespräche mit
Vertreter*innen von Biontech voraus – der Mainzer Aktiengesellschaft
also, die einen der wichtigsten Corona-Impfstoffe entwickelt hat und deren
Profit ohne Patentschutz schrumpfen könnte. Das geht aus der Antwort des
Wirtschaftsministeriums auf eine Anfrage der Linken-Abgeordneten Kathrin
Vogler hervor.
Ein weiteres Gespräch führte Habeck demnach mit Katherine Tai, der
Handelsbeauftragten der US-Regierung. Die USA und über 100 weitere Staaten
werben für die Patentfreigabe; bei Habeck hatte Tai aber keinen Erfolg. Von
unabhängigen Expert*innen oder Vertreter*innen von UNO und
Entwicklungsländern ließ sich der Wirtschaftsminister nicht beraten.
„Für seine Meinungsbildung hat das Gespräch mit den Profiteuren der
Pandemie ausgereicht, die Opfer interessieren ihn offenbar nicht“, sagt die
Linken-Abgeordnete Vogler. Habecks „Engagement für die Interessen der
Biontech-Aktionäre“ sei auch wirtschaftspolitisch kurzsichtig: „Wir können
das Virus nur besiegen und künftige Lockdowns verhindern, wenn nicht nur
die Reichen, sondern alle Menschen Zugang zu Impfstoff, Tests und
Medikamenten erhalten“, so Vogler.
Enttäuscht hatte Habeck mit seiner Meinungsänderung auch Entwicklungs- und
Menschenrechtsorganisationen, die sich eigentlich an der Seite der Grünen
wähnten. 20 deutsche [2][NGOs hatten Habeck Anfang Februar in einem offenen
Brief] gebeten, auch mit ihnen ins Gespräch zu gehen. Aus seinem
Ministerium habe es darauf „gar keine Reaktion gegeben“, sagt Mareike
Haase, Referentin für Gesundheitspolitik bei Brot für die Welt. Auch bei
einer Kundgebung vor der Grünen-Zentrale habe sich niemand aus der Partei
einer Diskussion gestellt.
## Vizekanzler „nicht zuständig“
Ein Gespräch mit Habeck wird es wohl auch nicht mehr geben: Ein Sprecher
des Vizekanzlers sagte der taz auf Anfrage, dass der Wirtschaftsminister
nicht zuständig sei. Patente fielen in den Bereich von Justizminister Marco
Buschmann (FDP).
Inhaltlich hatte Habeck seine Meinungsänderung im Januar damit begründet,
dass die Produktion moderner mRNA-Impfstoffe zu komplex sei, um sie in
Entwicklungsländern schnell umzusetzen. Zielführender seien Vereinbarungen
mit den Konzernen: Diese sollten Impfstoffe zum Selbstkostenpreis an arme
Länder abgeben. Biontech selbst hatte vergangene Woche angekündigt, eigens
konstruierte Produktionscontainer in afrikanische Staaten zu liefern und
dort in eigener Regie Impfstoffe herzustellen. Das ist ganz im Sinne des
Koalitionsvertrags, der „freiwillige Produktionspartnerschaften“ statt
Patentfreigaben vorsieht.
Der Nutzen ist aber zweifelhaft. „Die Produktion in den Containern wird
wohl erst irgendwann in zwei Jahren starten und auch dann nur in sehr
kleinen Mengen“, sagt Haase von Brot für die Welt. Faktisch werde die
Impflücke zwischen armen und reichen Ländern so kaum geschlossen. Sie
verweist auf eine Studie von Ärzte ohne Grenzen, derzufolge mehr als 120
Impfstoffproduzenten in Lateinamerika, Afrika und Asien dazu in der Lage
wären, bei einer Patentfreigabe mRNA-Impfstoffe herzustellen – und das
schneller als Biontech in seinen Containern.
Immerhin: In der Bundestagsfraktion der Grünen ist die Offenheit für solche
Argumente größer als im Wirtschaftsministerium. [3][Bei einer Anhörung im
Gesundheitsausschuss] war Haase letzte Woche als Sachverständige zum Thema
zu Gast. Eingeladen hatte sie der Grünen-Abgeordnete Johannes Wagner.
Debbie Düring, entwicklungspolitische Sprecherin der Fraktionen, twitterte
am Tag nach der Anhörung, dass die Bundesregierung freiwillige
Technologietransfers unterstütze, weil die Patentfreigabe „für unsere
Koalitionspartner ein no go war“. Diese freiwilligen Vereinbarungen seien
auch wichtig, so Düring weiter. „Reicht aber nicht.“
20 Feb 2022
## LINKS
[1] https://youtu.be/QWoAx_kluUQ?t=3456
[2] /Offener-Brief-von-Entwicklungs-NGOs/!5829791
[3] /Patentfreigabe-von-Corona-Impfstoffen/!5831436
## AUTOREN
Tobias Schulze
## TAGS
Schwerpunkt Coronavirus
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