# taz.de -- Hohe Energiepreise: Teuer geht nur fair | |
> Die Ampelkoalition muss mehr zur Abfederung der hohen Energiepreise | |
> unternehmen. Sonst wird soziale Klimapolitik zur Phrase. | |
Bild: Der Strompreis ist deutlich gestiegen | |
Die steigenden Preise für Energie erscheinen vielen wie ein Menetekel | |
künftiger Klimapolitik. Viele fürchten, dass diese so aussehen wird: Sie | |
haben kaum Einfluss auf ihren Verbrauch, aber müssen das Zig-fache für | |
Energie bezahlen. Das ist für viele Millionen Menschen am unteren Ende der | |
Einkommensskala ein enormes Problem – und untergräbt die Akzeptanz für eine | |
konsequente Klimapolitik, die nicht weiter aufgeschoben werden darf. Wenn | |
es mehr als eine Phrase ist, dass Grüne und Sozialdemokrat:innen von | |
einer sozialen Klimapolitik sprechen, müssen sie schleunigst einen | |
glaubwürdigen Plan vorlegen, wie diese im Hier und Jetzt aussehen soll. Sie | |
müssen konkrete Schritte einleiten, mit denen sie gleichzeitig | |
klimapolitisch steuern und soziale Härten vermeiden. | |
Nur wenn sich die Ampelregierung einen sozialpolitischen | |
Vertrauensvorschuss erarbeitet, wird sie überhaupt die Chance haben, eine | |
konsequente Klimapolitik zu betreiben. Sonst wird sie an drohenden sozialen | |
Verwerfungen scheitern. Nicht in erster Linie, weil so vielen in | |
Deutschland die Armen am Herzen liegen. Eher weil die Gegner:innen einer | |
konsequenten Klimapolitik das als Vorwand nutzen, um die Energie- und | |
Verkehrswende zu verhindern. Dass soziale Folgen instrumentalisiert werden, | |
heißt aber nicht, dass sie kein Problem sind. Im Gegenteil. | |
Die Bundesregierung will Klimapolitik vor allem über den Preis betreiben. | |
Höhere Kosten für Sprit, Strom, fürs Warmwasser oder Heizen treffen Arme, | |
mehr oder weniger Gutsituierte und Reiche aber nicht gleichermaßen – und | |
das ist ein grundsätzliches Problem. Wer Geld hat, mag sich über teureren | |
Sprit oder höhere Stromtarife ärgern – einschränken muss er oder sie sich | |
nicht. Wer kein Geld hat, muss sich womöglich zwischen Essen und | |
[1][Heizen] entscheiden. Oder das für den Urlaub gesparte Geld in die | |
Stromnachzahlung stecken. Kommt es ganz schlimm, wird dem Haushalt die | |
Energiezufuhr abgestellt. | |
Höhere Preise sollen dazu führen, dass weniger Energie verbraucht wird. In | |
der Industrie mag das funktionieren. Für Unternehmen lohnen sich Maßnahmen | |
zur Senkung. Damit Firmen mit extrem hohem Verbrauch nicht in | |
Schwierigkeiten gerieten, hat der Staat bei der Einführung der | |
Erneuerbaren-Energie-Umlage für sie großzügige Ausnahmen erlassen. Die | |
haben auch Privatleute mit wenig Geld mitfinanziert. Für sie gab und gibt | |
es aber keine Entlastung. Dabei haben Menschen ohne finanzielles Polster | |
wenig Möglichkeiten, ihren Energieverbrauch zu senken, etwa neue | |
Haushaltsgeräte anzuschaffen. Wer den Cent zweimal umdreht, wird bereits | |
notgedrungen energiesparend leben – und gerät bei steigenden Preisen in | |
Not. | |
Die Bundesregierung versucht die steigenden Energiepreise mit einem | |
[2][Heizkostenzuschuss], unter anderem für Wohngeldempfangende, abzufedern. | |
Das ist gut, reicht aber bei Weitem nicht. Diejenigen, die gerade so ohne | |
staatliche Hilfe über die Runden kommen, bekommen kein Geld. Ob die | |
möglicherweise vorgezogene Abschaffung der [3][EEG-Umlage] | |
Verbraucher:innen hilft, ist unklar; möglicherweise geben die | |
Lieferanten das nicht weiter. Selbst wenn sie es tun: Alle Einmalmaßnahmen, | |
wie es auch die vielfach geforderte Senkung der Steuern auf Sprit, Strom | |
und Gas wäre, lösen das Grundproblem nicht. Bei der nächsten Steigerung – | |
und die kommt bestimmt – stehen diese Instrumente nicht mehr zur Verfügung. | |
Und: Preissenkungen allein haben keinerlei steuernde Wirkung, sondern | |
konterkarieren die Klimapolitik möglicherweise. | |
Deshalb muss die Bundesregierung jetzt schnell wirkende Maßnahmen | |
einleiten, die zu einer echten sozialen Entlastung führen und gleichzeitig | |
Steuerungseffekte haben. Dabei geht es um ein Bündel von erforderlichen | |
Schritten. Es beginnt mit einem Austauschprogramm von Elektrogeräten: Wer | |
wenig Geld hat, kann schlecht den uralten Wasserboiler auf eigene Kosten | |
austauschen, wenn der Vermieter es nicht will. Oder den 30 Jahre alten | |
Kühlschrank. Wichtig wäre die Einführung von Sozialtarifen bei | |
Energieversorgern, etwa für Leute mit wenig Einkommen ein spezieller | |
Grundpreis. Auch die Pflicht für Stromversorger, bei einem | |
überdurchschnittlichen Verbrauch eine persönliche Energieberatung | |
anzubieten, wäre ein wichtiger Schritt. Tarifsenkungen im ÖPNV und bei der | |
Bahn würden spritpreisgeplagten Pendler:innen den Umstieg vom Auto auf | |
den öffentlichen Verkehr erleichtern. Ebenso eine Mobilitätsprämie für alle | |
statt Pendler:innenpauschale und Dienstwagensubvention. | |
Aktivist:innen, Umwelt- und Sozialverbände oder Wissenschaftler:innen | |
produzieren immer neue gute Vorschläge für eine soziale Klimapolitik. An | |
Konzepten mangelt es nicht. | |
Auch das im Koalitionsvertrag von der Ampelregierung grob umrissene | |
Klimageld für Bürger:innen als „sozialer Kompensationsmechanismus“ ist | |
eine gute Idee. Es könnte mit den Einnahmen aus der CO2-Bepreisung | |
finanziert werden. Aber das ist ein Projekt frühestens auf mittlere Sicht. | |
Wenn die Bundesregierung überhaupt in die Lage kommen will, das umzusetzen, | |
muss sie dafür sorgen, dass bis dahin die Akzeptanz für Klimapolitik wächst | |
und nicht sinkt. Jetzt gibt es ein Zeitfenster, um den Umbau von | |
Gesellschaft und Wirtschaft einzuleiten. | |
Umweltpolitiker:innen haben über Jahrzehnte nur eine kleine, aber | |
wachsende Gemeinde erreicht. Die Anhänger:innen von Friday for Future | |
haben für die Popularisierung dieser Forderungen gesorgt. Andere Teile der | |
Bevölkerung sind durch schlimme Naturkatastrophen wie die Überschwemmung an | |
der Ahr zu einem ökologischen Bewusstsein gekommen. Und nicht wenige wollen | |
Klimaschutz, einfach, weil ihre Bekannten es cool finden. Auch gut. Besser, | |
Leute kaufen ein Angeber:innenfahrrad als einen SUV. All das ist ein | |
gutes Fundament für die erforderliche konsequente Klimapolitik. Aber es ist | |
fragil, es kann schnell wegbrechen. | |
11 Feb 2022 | |
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## AUTOREN | |
Anja Krüger | |
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