| # taz.de -- Die Wahrheit: „Charité“ mit Tieren | |
| > Pünktlich zum Start der Berlinale diese Woche besorgt künstliche | |
| > Intelligenz jetzt das Drehbuchschreiben für Film und Fernsehen. | |
| Bild: Filmboss Udo Schmidt am Apparat, der Macher der neuen Serie mit Avatieren | |
| Premieren, Prominentenpartys, Pipapo – bald ist Berlinale, auch | |
| Internationale Filmfestspiele Berlin genannt. Am Donnerstag dieser Woche | |
| beginnt „eines der weltweit bedeutendsten Ereignisse der Filmbranche“, wie | |
| man sich selbst gern bescheinigt. Die wahren Drahtzieher der Branche, die | |
| wirklich wichtigen Leute, treffen sich zu Festivalzeiten allerdings beim | |
| EFM, dem European Film Market. Und der tagt dieses Jahr aus Gründen nur | |
| online. Wir sprachen deshalb per Videokonferenz mit Udo Schmidt, einem der | |
| ganz großen Player auf dem EFM. Thema: eine kleine Revolution im | |
| Filmgeschäft. Es geht um „Screenplaywriter“, ein beeindruckendes Programm, | |
| das mittels künstlicher Intelligenz (KI) selbstständig Drehbücher verfasst. | |
| „Das Schlimmste an meinem Job waren doch immer diese ewigen Diskussionen | |
| mit den Schreiberlingen“, sagt Film- und Fernsehproduzent Schmidt, ein | |
| gewaltiger Koloss von Mann, der sein Büro in München-Unterföhring mit | |
| seinem dröhnenden Bass vollkommen auszufüllen scheint, wenn er nicht im | |
| Zoom an seinem Verdampfer nuckelt. „Da wolltest du so eine sauteure | |
| Regen-bei-Nacht-Außenaufnahme einfach durch eine schöne Duschszene mit der | |
| jungen Hauptdarstellerin ersetzen, und da ging schon das Geschrei los. Ich | |
| meine, inhaltlich ist das doch sehr ähnlich, Wasser und so.“ | |
| Doch diese Zeiten, sie sind vorbei. Das Programm „Screenplaywriter“ wurde | |
| vom Max-Planck-Institut für Intelligente Systeme zusammen mit der „Derrick“ | |
| nahestehenden Herbert-Reinecker-Stiftung entwickelt. Gefüttert wurde die KI | |
| mit den erfolgreichsten Drehbüchern der letzten Jahre, darunter | |
| selbstverständlich alle „Traumschiff“-Folgen von Reinecker, „und die gan… | |
| Dinger mit Nazis, Juden und Russen, die gehen ja auch immer weg wie | |
| geschnitten Brot“, so Schmidt. | |
| Das erste KI-Drehbuch ist schon fertig, und Profi Schmidt gibt sich ehrlich | |
| beeindruckt: „Da mussten wir fast nichts dran ändern, tolle Dialoge, | |
| perfekt positionierte Plotpoints und jede Nacktszene eins a inhaltlich | |
| motiviert!“ Das Werk heißt: „Ein Spätheimkehrer kommt selten allein“. | |
| ## Trümmerfrau mit Wassermühle | |
| Die künstliche Intelligenz hat den Pressetext für uns gleich mitgeliefert. | |
| „Trümmerfrau Marie muss sich nach zwölf Jahren Krieg und Entbehrung neu | |
| erfinden. Ihr Mann ist ‚im Krieg geblieben‘, wie man so schön sagt. Im | |
| zerstörten Berlin machen die ersten Tanzschuppen wieder auf, und die | |
| lebenslustige junge Frau stürzt sich ins Vergnügen. Da erbt sie eine | |
| Wassermühle im Emsland. Widerwillig macht sie sich auf den Weg in die | |
| Provinz. Die Dorfbevölkerung ist misstrauisch und spießig. Einige sind | |
| sogar Nazis! Nur der in der Wassermühle versteckte Jude Jakob hält von | |
| Anfang an zu ihr. Gemeinsam bauen sie das Wassermühlengeschäft wieder auf. | |
| Sie verlieben sich und heiraten. Jahre später klopft ein zerlumpter Typ an | |
| die Tür und gibt sich als ihr Mann aus. Aber ist es wirklich der | |
| treuherzige Gefreite Georg oder sein hinterhältiger SS-Bruder Siegfried?“ | |
| Schmidt nuckelt jetzt euphorisch an seinem Verdampfer. „Ist das nicht | |
| super?“, freut er sich mit leuchtenden Augen, „und alle fahren Oldtimer, | |
| das sieht doch jeder gerne.“ Das Drehbuch wurde von der ersten Version | |
| „Screenplaywriter 1.0“ geschrieben. In der überarbeiteten Version | |
| „Screenplaywriter 1.1“ kann der User alle beliebigen Genres miteinander | |
| kombinieren. Die Anzahl der Parameter ist fast grenzenlos. „Ich habe mal | |
| zum Spaß ‚Daily Soap‘, ‚Portugal‘, ‚Screwball‘ und ‚Wim Wenders�… | |
| eingegeben. Das Ergebnis war etwas weird, aber funzte dramaturgisch | |
| wunderbar“, lacht Schmidt. | |
| Widerstand gegen die Drehbücher vom „Kollegen Computer“ kamen bis jetzt aus | |
| den Reihen der Autoren kaum. Denn die sind in Deutschland traditionell | |
| schlecht organisiert. Großes Gezeter hingegen war in den Fernsehredaktionen | |
| zu hören. Kein Wunder, meint Insider Schmidt: „Der Arbeitsalltag der | |
| Redakteurinnen und Redakteure in den Sendern besteht ja hauptsächlich aus | |
| endlosen Drehbuchbesprechungen, in denen sie aus ambitionierten Projekten | |
| Stück für Stück Konfektionsware machen. Jetzt kriegen sie die | |
| Konfektionsware direkt geliefert und bangen um ihre gut dotierten Jobs.“ | |
| ## Zoo ohne nerviges Personal | |
| Film- und Fernsehproduzent Udo Schmidt dagegen schaut optimistisch in die | |
| Zukunft. Streamingdienste, Corona, Serien-Hype: Der Markt boomt. Die | |
| nächsten Filme hat die künstliche Intelligenz bereits generiert. Sein | |
| Lieblingsprojekt ist die auf fünf Staffeln angelegte Serie „Zoo Berlin“: | |
| „Das ist absolut genial, oder?“ Natürlich sei das Drehen mit Tieren viel zu | |
| teuer. „Von daher“, so Schmidt, „sparen wir im nächsten Schritt gleich n… | |
| mehr nerviges Personal ein: Die überbezahlten Tiere und diese | |
| unberechenbaren Schauspielerinnen und Schauspieler.“ | |
| Alle Darsteller werden dann durch täuschend echt wirkende Avatare ersetzt – | |
| so entsteht sie, die erste Streamingserie mit Heinz Rühmann und Ilse | |
| Werner, zwei Jahrzehnte lang in der Versenkung, die man Tod nennt, | |
| verschwundene Mimen aus der Frühzeit des Kintopps. Das Comeback des Jahres. | |
| „Und den Löwen spielt Juma, der als ‚Clarence, der schielende Löwe‘ in | |
| ‚Daktari‘ berühmt wurde.“ Udo Schmidt lehnt sich in seinem Chefsessel | |
| zurück und raunt schweratmend: „Alle sind ersetzbar!“ Dann zwinkert er uns | |
| am Schirm zu. „Vielleicht, vielleicht bin auch ich nur eine Illusion.“ Dann | |
| zieht er am Verdampfer und verschwindet in einer riesigen Rauchwolke. | |
| 7 Feb 2022 | |
| ## AUTOREN | |
| Christian Gottschalk | |
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