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# taz.de -- Die Wahrheit: Adler der rosigen Umsätze
> Die Wahrheit-Berufsberatung nimmt die Heißluftbranche der prall
> aufgeblasenen Motivationsredner unter die Lupe.
Bild: Speaker aus dem Hochpreissegment wie Christian Lindner beherrschen auch d…
Sie wollen mehr verdienen als Ihr Drogendealer, sind aber sogar für einen
Job beim Fernsehen zu blöd? Werden Sie doch einfach Speaker oder gar
Keynote-Speaker. Halten Sie Impulsvorträge über Motivation!
Als Speaker ist es Ihre Aufgabe, den Angestellten bei Firmenveranstaltungen
auf den Sack gehen. Angst vor Ablehnung brauchen Sie nicht zu haben, denn
alle müssen Sie gut finden. Wer nicht in Anwesenheit von Vorgesetzten
mindestens einmal anmerkt, Ihr Vortrag sei „total inspirierend“ gewesen,
wird nämlich sofort entlassen.
Der Chef hat schließlich „Geld in die Hand genommen“ und „am Ende des
Tages“ Sie ausgewählt und eingeladen. Vergessen Sie das Gerede über flache
Hierarchien! Sie sind mit der hiesigen Firmenkultur hinreichend vertraut,
wenn Sie eine Staffel „Stromberg“ geguckt und danach eine Stunde lang das
Treiben auf einem Pavianfelsen beobachtet haben.
## Mit Rotwelsch und Hodenkrebs
Die Vorbereitung auf Ihren ersten Impulsvortrag können Sie in zwei
Werktagen erledigen. Überlegen Sie sich ein halbes Dutzend Sprüche auf dem
Niveau von „Gewinner sind Leute, die nicht verlieren“ und schreiben Sie ein
paar Kalenderweisheiten wie „Lebe Deinen Traum“ ab.
Dazu erwerben Sie Vertriebs-Grundkenntnisse aus einem Gratiskurs im
Internet und schaffen sich ein paar Brocken Manager-Rotwelsch drauf. Mit
dieser Zusatzqualifikation können Sie schon bis zu 10.000 Euro am Tag
verlangen – und müssen nicht mal eigene Stifte mitbringen. Neben „Headset�…
und „Wasser ohne Kohlensäure“ schreiben Sie einfach „White-Board-Filzer�…
ihre Anforderungen.
Eine Ausbildung für Ihren neuen Job ist nicht nötig. Ein bisschen Schicksal
in der Biografie (Hodenkrebs überlebt, Übergewicht gehabt, versehentlich
richtigen Beruf gelernt) ist allerdings von Vorteil.
Wir wissen, es gibt weder Schicksal noch Probleme, sondern nur „dornige
Chancen“, um den großen Liberalen Christian Lindner zu zitieren (als Redner
zu buchen über premium-speakers.com, Preise auf Anfrage). Ihr beruflicher
Erfolg zeigt den Versagern im Publikum, dass es allein an den faulen
Minderleistern selber liegt, wenn sie nicht befördert werden oder immer die
Gräte im Fischfilet finden.
## Premium-Inhalte rülpsen
Mit dem richtigen „Mindset“ (dieses Wort auf jeden Fall einbauen!), das die
Teilnehmer im Rahmen einer Dreißig-Grad-Gehirnwäsche mit Weichspüler bei
den Veranstaltungen verpasst bekommen, werden aus dornigen Chancen „rosige
Umsätze“ (diese Formulierung können Sie geschenkt haben).
Vorbilder gibt es zahlreiche: Detlef D. Soost etwa nimmt 12.500 Euro für
einen Impulsvortrag – plus Fahrtkosten und Wasser ohne Kohlensäure. Denn
von Wasser mit Kohlensäure muss man rülpsen, was sich ungünstig auf die
Vermittlung von Premium-Inhalten auswirkt. Obwohl man Worte wie
„Optimismus“ oder „Kernkompetenz“ sehr gut rülpsen könnte.
Für 12.500 Euro erklärt der Tänzer mit dem Körper einer Actionfigur, „wie
Ziele und Visionen zum Motor des Erfolgs werden“, oder überrascht sein
Publikum mit der Erkenntnis „Einstellung schlägt Talent – Erfolg entsteht
im Kopf“. Wer doof ist, muss also fleißig sein.
## Zweifelhafte Vögel
Machen Sie jetzt nicht den Fehler zu denken, bei diesen Tagessätzen würde
es reichen, vier Tage im Jahr zu arbeiten. So ein Faulpelz ist ein
schlechtes Vorbild und wird nicht gebucht.
Im oberen Preissegment treibt sich auch Erlebnis-Entrepreneur Jochen
Schweizer herum, von dem Sie folgendes Geheimwissen erwerben können: „Man
muss sich ernsthaft anstrengen, um ein Ziel zu erreichen“. Vertriebsprofi
Ardeschyr Hagmaier dagegen stellt die lebensentscheidende Frage: „Sind Sie
Adler oder Ente?“ Die richtige Antwort für ihn heißt Adler, obwohl Enten
sehr sympathische Tiere sind: Sie essen alles und verfügen über ein
umfangreiches Balz-Repertoire. Adler dagegen sind eher zweifelhafte
Rolemodels, die jahrelang Hakenkreuze mit den Füßen festgehalten haben,
ohne sich nur einmal zu beschweren.
## Gurus ohne Sex-Geschwurbel
Speaker sind im Grunde Prediger, die den Glauben an den Kapitalismus
stärken. Je teurer die Speaker, desto weniger konkret ihre Inhalte. Bis
2.000 Euro kriegen Sie vielleicht noch einen alten Praktiker, einen dieser
„leidenschaftlichen Vertriebler“, die man dafür bewundert, dass sie einem
Inuit einen Kühlschrank verkaufen könnten. Mit Eiswürfelfunktion und einer
ganz miesen Energieeffizienzklasse. Spätestens ab 10.000 Euro geht es dann
nur noch um kollektive religiöse Verzückung, die alle im Saal eines
Kongresshotels zusammengetriebenen Angestellten zu erfassen hat.
Die Zutaten eines gelungenen Götzendienstes sind wabernde
Wirtschaftsesoterik, mittelmäßige Mantras, Gaga-Gleichnisse und ein paar
Atemübungen zur Selbstoptimierung. Wie bei den Baghwan-Jüngern, nur ohne
Sex-Geschwurbel. Nicht umsonst heißen die Stars unter den Head-Set-Heiopeis
„Motivationsgurus“.
Machen Sie sich jetzt auf den Weg zum Erfolg! Schon der große Visionär
Henry Ford hat immer gesagt: „Morgen, morgen nur nicht heute, sagen alle
faulen Leute.“ Und zwar zu seinen Angestellten. Erfolgreiche Menschen, das
haben Studien gezeigt, schlafen wenig und stehen zu einer sehr frühen
Uhrzeit auf. Zum Beispiel um 4.30 Uhr. Erfolgreiche Menschen haben ein
Morgenritual. Sport, Yoga, Manager-Magazin auswendig lernen, irgendwas
Gesundes, aber Ekliges trinken (onanieren gilt nicht).
## Innere Entenfüße nutzen
Denken Sie positiv! Nun werden Sie einwenden: „Wenn man weiß, dass man am
Tag mit ungefähr einer Stunde ‚Arbeit‘ über zehn Mille abzocken wird, ist
es ja einfach, optimistisch in die Zukunft zu blicken“. Ich höre Neid, ich
höre Missgunst, ich spüre negative Schwingungen. Genau so denken Verlierer!
Ich teile Ihnen eine unbequeme Wahrheit mit: Genau deshalb sind Sie immer
noch der kleine Penner aus der Debitorenbuchhaltung! Bedenken Sie: Detlef
D. Soost, Jochen Schweizer und ich waren nicht immer diese schwerreichen
Lichtgestalten, die wir heute sind. Wir haben es wegen unserer sehr guten
Einstellung mit harter Arbeit gegen alle Widerstände geschafft.
Denken Sie immer an die Geschichte vom Adler und der Ente: „Ich sehe bis
zum Horizont“, sagt der Adler, „Ente, du musst echt auch mal
‚Out-of-the-Teich‘ denken!“ – „Halt den Schnabel, Nazi-Vogel“, spri…
Ente, „ich bin am Balzen dran. Du laberst echt nur Quaak!“ Was will ich
damit sagen? Wasser ist zäher als Luft. Deshalb ist die Ente zäher als der
Adler. Wenn Ihre inneren Entenfüße den Wasserwiderstand nutzen, werden Sie
vorankommen. Werden Sie Speaker!
9 Mar 2020
## AUTOREN
Christian Gottschalk
## TAGS
Wirtschaft
Psychologie
Religion
Filmbranche
Sandra Hüller
Kolumne Die Wahrheit
Charlotte Roche
Senioren
Menschheit
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