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# taz.de -- Die Wahrheit: „Einhörner sind Faschos!“
> Das große Wahrheit-Interview mit dem Lüdenscheider Experten Bernd
> Klapproth über ein Fantasiegeschöpf, das keine Regenbögen pinkelt.
Bild: Bernd Klapproth mit dem Schädel eines prähistorischen Doppel-Einhorns
In der für Kinderartikel zuständigen Branche sorgte jüngst die Studie
„Einhörner als Vorboten des Faschismus“ für erheblichen Unmut. Die Wahrhe…
sprach jetzt mit dem Verfasser, dem Lüdenscheider Honorarprofessor Dr.
Bernd Klapproth, über beliebte Fabelwesen im Zwielicht.
taz: Herr Dr. Klapproth, was haben Sie gegen Einhörner?
Bernd Klapproth: Persönliche Animositäten haben in der Wissenschaft nichts
zu suchen! Es geht nicht darum, Einhörner aus Jux und Dollerei verächtlich
zu machen. Aber diese widerlichen Viecher haben sich fest in unserer
Alltagskultur etabliert. Sie verunstalten Schulranzen, verdingen sich als
aufblasbare Schwimmhilfen, agitieren im Kinderfernsehen. Dabei sind diese
ach so sanftmütigen Wesen politisch höchst problematisch. Wie ich in meiner
Studie en détail nachgewiesen habe: Sie sind sogar faschistoid. Manche
Details sind dabei so winzig, dass sie nicht mit bloßem Auge zu erkennen
sind.
Unsichtbare Details in einer wissenschaftlichen Studie?
Ja, denn es handelt sich um Moleküle. Wussten Sie, dass Proteine
Makromoleküle sind, aus denen man faszinierende Nanomaschinen bauen kann?
Aus Makrosachen Nanodinge bauen, das ist so cool! Man kann quasi winzige
Waffen gegen Krebs basteln. Außerdem spielen Proteine eine wichtige Rolle
beim Stoffwechsel, einem ebenso erstaunlichen wie komplizierten Vorgang.
Seien Sie froh, dass Ihr Stoffwechsel unbewusst abläuft, müssten Sie ihn
steuern, würden Sie sicherlich ständig Fehler machen und wären schon längst
mausetot. Oder haben Sie etwa Ahnung von Chemie?
Nein, aber was hat das mit Einhörnern zu tun?
Das liegt doch auf der Hand: In der Populärkultur hat die wissenschaftliche
Weltsicht keinen guten Ruf. Wer mit Pur ins „Abenteuerland“ will, muss als
Eintritt sogar seinen Verstand abgeben. Als neulich bei einer der
Landtagswahlen des Jahres Jörg Schönenborn in der ARD die Wählerwanderungen
erläuterte, fragte mich meine Frau: „Wer zum Teufel wechselt denn von den
Grünen zur AFD?“ Ich antwortete wie aus der Pistole geschossen:
„Heilpraktiker*innen“, denn wir gendern zu Hause, um alle Gender-Feinde zu
ärgern. All diese unseligen Bündnisse während der Pandemie zwischen
Esoterik und Faschismus haben doch gezeigt: Wer heute Bäume umarmt, umarmt
morgen Alice Weidel! Die Kerntemperatur ist doch die gleiche.
Aber dafür können Sie doch nicht die hübschen Paarhufer verantwortlich
machen …
Papperlapapp. Meine Studie beweist: Dass „rational“ und „kühl“ ein
scheinbar untrennbares Wortpaar bilden und voll unfair ist gegenüber der
Rationalität und der Wissenschaft. Die Sehnsucht nach dem Unerklärlichen
und dem Mystischen ist schon deshalb falsch, weil das Erklärbare so viel
Wundervolles in sich birgt. Wer einmal beim Anblick eines blühenden
Rhododendron auf dem Familiengrab die Romantik des ewigen Stoffwechsels
gespürt hat, kann auf esoterischen Unfug wie das Wassergedächtnis,
Chakren-Massage oder Quantenheilung getrost verzichten.
Und nun, Herr Dr. Klapproth, zurück zu den Einhörnern, bitte.
Sehr gerne. Einhörner könnten wirklich Regenbögen pinkeln, wenn am Ende
ihrer Harnwege eine Art Zerstäuber angebracht wäre und sie sich beim
Urinieren in einen sehr günstigen Winkel zum Licht stellen würden.
Das macht sie aber noch nicht zu Vorboten des Faschismus.
Natürlich nicht, lassen Sie mich doch bitte meinen Gedanken zu Ende
bringen! Die Sache mit der Zellerneuerung beim Menschen alle sieben Jahre
ist übrigens auch nur so ein Eso-Spinner-Mythos. Stolze 98 Prozent aller
Atome unseres Körpers werden jedes Jahr ersetzt, andere gar nicht. Lustig
ist: Trotzdem altert man. Sieht man ja an Ihnen. Die Atome aus denen wir
Menschen zusammengebaut sind, haben zum großen Teil bereits 14 Milliarden
Jahre auf dem Buckel, und sie funktionieren wie am ersten Tag. Seit dem
Urknall sind die munteren kleinen Dinger unermüdlich im Einsatz, man möchte
gar nicht so genau wissen, wo die sich schon überall rumgetrieben haben. In
Sternenstaub, Dinosaurierkot oder Hitlers Bart vielleicht. Aber niemals in
einem Einhorn.
Ach …
Ja, denn die Einhörner wohnen im Abenteuerland, welches, nach Hartmut
Engler, ein Geschenk der Fantasie ist. Einhörner symbolisieren und
forcieren somit die Ablehnung des faktenbasierten Diskurses, sie
indoktrinieren schon die Jüngsten, die dereinst Verantwortung für die
Zukunft unseres Landes übernehmen sollen, dazu, die als böse empfundene
Wirklichkeit zu ignorieren.
Und was folgern Sie daraus?
Dann manschen die Jungschen sich aus Kalendersprüchen und diesen offensiv
der Scharlatanerie frönenden Youtube-Kanälen, eben dem ganzen hirnlosen
Gewäsch, ein eklektisches Weltbild zusammen, das keine Hand und keinen Fuß
nicht hat. Ein waberndes Durcheinander aus vollkommen wirrem Zeug, in dem
man einen moralischen Kompass vergebens sucht. Und wenn dann einer kommt
und sagt, die Regierung, die schreibt die „Tagesschau“ und die Flüchtlinge
nehmen uns unsere Zahnarzttermine weg, dann glauben die das!
Deshalb, ich denke dies nun wirklich haarklein dargelegt zu haben, deshalb
sind Einhörner Faschos.
Ach so, jetzt haben wir Sie und Ihre These endlich verstanden. Wir danken
Ihnen für das aufschlussreiche Gespräch.
22 Nov 2023
## AUTOREN
Christian Gottschalk
## TAGS
Einhörner
Wissenschaft
Gesellschaftskritik
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