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# taz.de -- Die Wahrheit: Menschen mögen
> Guido Maria Kretschmer ist der wahrscheinlich größte Philanthrop unserer
> Zeit, der sich im gegenwärtigen Sein einfach nur sehr, sehr wohlfühlt.
Neulich las ich ein Interview mit Guido Maria Kretschmer und dachte:
Vielleicht geht es genau darum, vielleicht macht genau dies den
Unterschied. Und in meinem Notizbuch für die letzten Worte, die ich auf dem
Sterbebett zu sagen gedenke, strich ich den aktuellen Eintrag:
„Verbraucherschutz ist das Deckmäntelchen des Raubtierkapitalismus“. Mein
Bonmot erschien mir plötzlich reichlich manieriert.
Kretschmer sagt in dem Interview: „Ich mag Menschen einfach sehr.“ Das ist
bewundernswert. Ich könnte den Satz nicht sagen, ohne mich als verlogener
Halunke zu fühlen, weil ich dieses gemeine „aber“, das wir von Rassisten
kennen, die ja nichts gegen Ausländer haben, im Hinterkopf hätte. Denn sie
machen es einem ja nicht immer leicht, die Menschen. Ich habe nichts gegen
Menschen, einige meiner besten Freunde sind welche. Aber manche sind echt
fürchterlich. Sie wählen Idioten und lügen bei Ebay-Kleinanzeigen. Dennoch
oder gerade deshalb: Die Aussage ist bemerkenswert. Wer Menschen wirklich
mag, will, dass sie sich wohlfühlen in seiner oder ihrer Gegenwart. Dafür
braucht es Selbstsicherheit und soziale Kompetenz.
Manchmal ist man aber verstockt, unsicher oder riecht aus dem Mund.
Manchmal ist man aus Versehen ein bisschen eklig. Ich habe neulich bei
einer Comedyshow einen Kollegen getroffen. Ich kam gerade von der Toilette,
und es gab da statt des guten Händetrockners, unter dessen orkanartigem
Gebläse sich alle Hautschichten von den darunter liegenden Muskeln lösen
und in Wellenformationen eine unruhige See imitieren, nur einen
schwachbrüstigen. Jedenfalls gab ich dem Kollegen zur Begrüßung reflexartig
die Hand und merkte dann, dass sie noch total nass war. Kalt und nass.
Danach dachte ich tagelang darüber nach, wie unangenehm der Kollege diese
Begrüßung gefunden haben mag. Obwohl es ja nur Wasser war. Bis heute schäme
ich mich ein bisschen, wenn ich an diesen Moment denke. Was hätte Guido
Maria Kretschmer in dieser Situation getan? Wahrscheinlich hat der immer
seine eigenen Kleenex dabei.
Ich bewundere Leute, die in Swingerclubs verkehren. Man muss die Menschen
schon sehr mögen, wenn man dermaßen intensiven Körperkontakt mit Fremden
sucht. Diese soziale Kompetenz! Faszinierend. Small-Talk in Reizwäsche. Das
ist die Königsklasse.
Alles was ich über Swingerclubs weiß, stammt übrigens aus der früheren
Fernsehsendung „Wa(h)re Liebe“ mit Lilo Wanders. Dort erklärten regelmäß…
moppelige Herren mittleren Alters, die immer mit einem schwarzen Netzhemd,
einem roten Latex-Schlüpfer und Badelatschen bekleidet waren, das
entspannte Motto der Swinger: „Alles kann, nichts muss.“ Eine sympathische
Regelung, die auch außerhalb des organisierteren Orgienwesens Anwendung
finden sollte, im Arbeitsleben beispielsweise. „Alles kann, nichts muss.“
Das steht jetzt in meinem Notizbuch.
8 Apr 2025
## AUTOREN
Christian Gottschalk
## TAGS
Kolumne Die Wahrheit
Trashkultur
Humanismus
Unterhaltungsfernsehen
Die Wahrheit
Einhörner
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