# taz.de -- Politik im Libanon: „Wir fürchten uns nicht“ | |
> Wer im Libanon etwas braucht, wendet sich an die Parteien. Das | |
> Patronagesystem macht auch die Justiz machtlos. Doch einige stellen sich | |
> dagegen. | |
Eigentlich, sagt Mariana Fodoulian, eigentlich hatte sie mit Politik und | |
Politikern nie etwas zu tun. Doch an einem sonnigen Tag steht sie dann doch | |
auf der Straße. Hinter ihr versperrt Stacheldraht den Weg zum | |
Unesco-Palast, in dem sich das libanesische Parlament trifft. Soldaten | |
bewachen den Durchgang, ein Panzer parkt auf einer Verkehrsinsel. „Wir | |
waren dort und wurden von der Armee und den verantwortlichen Anhängern der | |
politischen Parteien attackiert“, sagt Fodoulian. „Aber wir sind heute | |
wiedergekommen, um zu sagen: Wir fürchten uns nicht vor euch!“ | |
An ihrem schwarzen Pullover ein Anstecker, darauf das Foto einer jungen | |
Frau. Mariana Fodoulian verlor ihre 29-Jährige Schwester durch die | |
[1][Detonation] vom 4. August 2020, als Hunderte Tonnen unsicher gelagertes | |
Ammoniumnitrat im Hafen der libanesischen Hauptstadt Beirut explodierten. | |
Fodoulian selbst überlebte, doch ihre Schwester starb an inneren Blutungen. | |
Seitdem wünscht sich die 31-jährige Hinterbliebene Gerechtigkeit. Noch | |
immer ist kein hochrangiger Politiker zur Verantwortung gezogen worden. | |
Dabei wussten sowohl das Transportministerium als auch die | |
Staatssicherheit, dazu das Militär, der damalige Ministerpräsident und der | |
Präsident von der gefährlichen Lagerung. | |
„Sie haben ihren Job nicht gemacht und jetzt versuchen sie, sich zu | |
verstecken“, sagt Fodoulian. Nach dem Tod ihrer Schwester begann die | |
Tierärztin zu demonstrieren – so wie viele Angehörige der Opfer, die sich | |
organisiert haben. Doch der Kampf für Gerechtigkeit ist hart in einem Land, | |
in dem konfessioneller Klientelismus die Menschen entzweit. | |
## Die Verfassung macht Parteien zu Konfessionsträgern | |
Parteien sind im Libanon durch Konfessionen definiert, der Proporz der | |
Religionen in der [2][Verfassung] verankert. Der Staatspräsident muss | |
maronitischer Christ sein, der Ministerpräsident sunnitischer Muslim, der | |
Parlamentspräsident schiitischer Muslim. Das Konstrukt sollte die | |
friedliche Koexistenz erbringen, sichert aber den alten Warlords | |
politischen Einfluss und lässt viel Raum für Korruption. | |
Das klientelistische System frisst die Staatskasse auf, sorgte dafür, dass | |
sich niemand um das Ammoniumnitrat im Hafen kümmerte, und zieht sich durch | |
alle Institutionen. Auch in die Justiz. Sie wird behindert von | |
Parteizugehörigkeiten, auch im Fall der verheerenden Explosion, deren | |
Aufklärung immer wieder ins Stocken gerät. | |
Der erste Richter, der die Wahrheit ans Licht bringen wollte, hieß [3][Fadi | |
Sawwan]. Er wollte drei ehemalige Minister und den damaligen | |
Ministerpräsidenten wegen fahrlässiger Tötung anklagen. Daraufhin vereinte | |
sich die politische Klasse und erreichte seine Absetzung per | |
Gerichtsbeschluss. | |
Sein Nachfolger [4][Tarek Bitar] ging noch weiter: Er verfolgte hochrangige | |
Militär-, Geheimdienst- und Sicherheitsbeamte. Er forderte die Regierung | |
und das Parlament auf, die Immunität der Chefs zweier Sicherheitsbehörden | |
und zweier ehemaliger Regierungsmitglieder aufzuheben, um sie befragen zu | |
können. Doch das Parlament und die Regierung weigerten sich. Dabei ging es | |
um enge Verbündete der schiitischen Partei und Miliz Hisbollah sowie ihrer | |
Schwesterpartei Amal. Bitar ließ Verantwortliche zur Vernehmung vorladen. | |
Daraufhin klagten diese und forderten seine Absetzung. Anfang November | |
wurde die Untersuchung deshalb zum dritten Mal ausgesetzt. | |
„Ich bin weit entfernt von der Politik“, sagt Mariana Fodoulian, „ich fra… | |
nur nach Gerechtigkeit für meine Schwester. Wer sie getötet hat, soll | |
bestraft werden.“ Der Zusammenschluss der Familien der Explosionsopfer | |
verlangt, dass die Verantwortlichen juristisch belangt werden. Bis vor | |
Kurzem vertrat sie ein gemeinsamer Sprecher, Ibrahim Hoteit. Doch der | |
erklärte plötzlich, er stehe hinter der Forderung der Hisbollah, Richter | |
Tarek Bitar abzusetzen. | |
Seitdem konkurrieren zwei Gruppen: die Angehörigen, die Bitar ersetzt sehen | |
möchten, und diejenigen, die ihm als unabhängigem Richter vertrauen. | |
Fodoulian zählt zu den Letzteren. „Sie versuchen es nicht nur mit den | |
Richtern, sondern auch mit den Familien“, sagt sie. „Sie machen alles, um | |
Gerechtigkeit zu verhindern. Auch dieses Mal ist es wie immer: Weil sie den | |
Richter nicht absetzen konnten, haben sie gesagt: ‚Okay, wir bringen die | |
Familien auseinander.‘ Denn wir waren stark, alle zusammen.“ | |
Die 31-jährige erzählt, dass ihren Mitstreiter*innen am Telefon gedroht | |
worden sei. „Sie dachten, dass wir Angst bekommen würden. Aber das ist | |
nicht passiert, es wird nicht passieren.“ Nicht alle schiitischen | |
Angehörigen hätten sich abgespalten, das sei etwas Gutes. | |
Der Streit um den Richter wird mit harten Bandagen ausgetragen. Bei einer | |
Protestaktion der schiitischen Hisbollah und ihrer Verbündeten für die | |
Absetzung Bitars schossen unbekannte Scharfschützen von den umliegenden | |
Häuserdächern. Sieben Menschen starben. Viele fühlten sich an den | |
Bürgerkrieg erinnert, der 1975 bis 1990 das Land anhand konfessioneller | |
Linien spaltete. | |
## Klientilismus an jeder Ecke | |
Im Alltag, ja bei jeder Kleinigkeit, steht der Klientelismus über dem | |
gemeinsamem Staat. Wer etwas benötigt, sei es einen Job, Geld oder | |
Lebensmittel, geht zum Zaim, dem politischen Führer. Wer mit Politikern | |
verbandelt ist, bekommt mehr Strom oder Wasser. Wer sich mit den Parteien | |
gut stellt, bekommt die Studiengebühren oder die Krankenhausrechnung | |
erlassen. Doch das Geld für all diese Wohltaten stammt aus der Staatskasse, | |
in der nun ein riesiges Loch klafft. | |
Im Herbst 2019 begannen angesichts einer sich anbahnenden Wirtschaftskrise | |
die größten [5][Massenproteste], die Beirut je gesehen hatte. Im ganzen | |
Land gingen Menschen auf die Straße, forderten ein Ende der Korruption | |
sowie die Absetzung der politischen Klasse und vorgezogene Neuwahlen. Sie | |
forderten einen Staat, der sich um alle Menschen kümmert, statt das Land | |
zugunsten eigener Klientelen auszuplündern. Es schien, als seien alle um | |
die gleichen Probleme vereint: steigende Arbeitslosigkeit, horrende | |
Rechnungen für Wasserlieferungen und Strom. „Kulun yani kulun“ – „alle | |
heißt [wirklich] alle“, riefen die Menschen. | |
„Der Spruch kam aus dem Jahr 2015“, erklärt Aly Sleem. Der 34-Jährige sag… | |
er sei schon früh politisch interessiert gewesen, schaue viel Nachrichten. | |
„Ich hatte das Privileg, 2015 einer der wenigen zu sein, die die | |
[6][‚You-Stink!‘-Bewegung] etabliert haben.“ Damals stapelte sich im Land | |
der Müll zu hohen Bergen, weil die Deponien überfüllt waren. Viele junge | |
Menschen sahen darin ein Symbol der Misswirtschaft und protestierten. „Es | |
war die größte Errungenschaft für mich, als die Leute den Slogan 2019 | |
wiederholt haben. Denn sie haben verstanden, dass es ein sehr politisches | |
Statement ist.“ | |
Die Leute hätten erlebt, dass jede Partei zu der Misere beigetragen habe, | |
sagt Aly Sleem. Er arbeitet als Geschäftsführer des libanesischen Verbandes | |
für demokratische Wahlen (LADE). Während der Proteste forderten die Leute | |
auch Neuwahlen. „Doch leider gab es keine neuen Wahlen. Wir hatten | |
[7][Covid] und so viele andere Dinge, um die wir uns sorgen müssen. Die | |
Dinge haben sich drastisch geändert.“ | |
## Kein Strom, kein Wasser, kein Internet | |
Das kann man allerdings sagen. Denn das Schneeballsystem der libanesischen | |
Banken, das Anleger*innen mit sagenhaften Zinsen anlockte, ist | |
inzwischen zusammengebrochen, die Devisen im Depot der Zentralbank | |
schrumpfen. Banken geben keine Dollar mehr aus – früher ein gängiges | |
Zahlungsmittel. Die libanesische Lira verliert drastisch an Wert. Der Preis | |
von Lebensmitteln, Medizin oder Benzin hat sich in kurzer Zeit um das | |
16-Fache erhöht. Der Staat liefert keinen Strom mehr, die Rechnung für | |
private Generatoren übersteigt bei vielen Menschen die Kaltmiete. Sich | |
wiederholende Stromausfälle bedrohen die Patienten in den Krankenhäusern. | |
Der staatliche Internetanbieter hat zu wenig Diesel für die Generatoren. | |
Zuletzt fällt das Internet für 26.000 Kund*innen aus – darunter auch | |
Einsatzzentralen der Sicherheitskräfte. Die Angst, die Wohnung zu verlieren | |
oder am Ende des Monats das Essen nicht mehr bezahlen zu können, ist für | |
viele Menschen im Libanon alltäglich geworden. Ist das der perfekte | |
Nährboden für das Patronagesystem? | |
Die Armen, sagt Aly Sleem, waren schon immer eine beliebte Zielgruppe. | |
Vergünstigungen wie Tank- oder Essensgutscheine seien eine gängige Methode, | |
sich um die eigene Klientel zu kümmern. Sleem nimmt an, dass internationale | |
Hilfsgelder, die bereits überwiesen wurden, erst im März ausgegeben werden | |
– kurz vor den Parlamentswahlen. „Die Kandidat*innen erbringen | |
Dienstleistungen, um politische Loyalität zu erlangen. Das Gesetz selbst | |
verbietet das nicht, auch nicht während des Wahlkampfs. Es gilt nicht als | |
Wahlbestechung.“ | |
2018 hätten Parteien sogar Flugtickets bezahlt, um Menschen aus der | |
Diaspora zum Wählen einfliegen zu lassen. Der Milliardär und Abgeordnete | |
Fouad Makhzoumi beispielsweise habe eine Stiftung gegründet, um während des | |
Wahlkampfs Pakete mit Thunfisch, Nudeln und Olivenöl an die Armen zu | |
verteilen. Sein Lohn war ein Parlamentssitz. Das klientelistische System | |
ersetzt so den Sozialstaat. | |
Hassan Seif al-Din ist Taxifahrer. Während der Fahrt diskutiert er übers | |
geöffnete Fenster mit einem Fahrer, der aus der Parklücke fährt, ohne sich | |
umzuschauen. Dann macht er das Radio lauter und regt sich auf. Über den | |
Parlamentssprecher Nabih Berri, den Ex-Präsidenten Hariri, die Zentralbank. | |
„Sie lügen alle. Wir haben hier große Probleme.“ Der 47-Jährige kommt aus | |
einem Dorf in der Nähe von Baalbek. | |
Seine Nachbarn seien alle in der schiitischen Hisbollah, erzählt er. Seine | |
Mutter hingegen gehörte niemandem an, auch sein Vater nicht. Er selbst | |
folge ebenso keiner Partei. „Schreib, dass ich zu niemandem gehöre!“ sagt | |
er mit Nachdruck. Seif al-Din ist unverheiratet, lebt mit seiner Schwester | |
in einer Wohnung in einem südlichen Vorort. Auch während des Bürgerkriegs | |
war er im Libanon. Trotzdem lässt er sich von der Kriegsrhetorik nicht | |
beeindrucken und nicht einschüchtern. Er rede offen mit den Leuten gegen | |
die Politiker. | |
Doch nicht alle Männer in Seif al-Dins Alter wenden sich vom Klientelsystem | |
ab. Bei einer Rast im südlichen Mlita, in einem kleinen Restaurant mit | |
Ausblick auf die Berge, serviert der Ladenbesitzer Brot mit einer | |
Käse-Paprika-Mischung. Beiläufig erwähnt er, seine ganze Familie gehöre der | |
Hisbollah an. Sie alle besäßen Waffen und seien bereit, für die Partei in | |
den Krieg zu ziehen. Nicht im Libanon, sondern gegen Israel und den | |
„Islamischen Staat“, so sagt er. | |
Eine ähnliche Rhetorik findet sich bei den Christen. Einen Jungen zu | |
gebären hieße, eine Waffe zur Welt zu bringen, sagt ein Maronit aus der | |
Küstenstadt Byblos. Er habe eine Pistole und schimpft auf die Schiiten, die | |
das Land ruinierten. | |
## Politik der Drohungen mit den gefährlichen Nachbarn | |
Wie kommt es, dass dieses gewaltorientierte Schwarzweißdenken anhält, trotz | |
gemeinsamer Probleme? Daran seien die traditionellen Parteien schuld, | |
erklärt Aly Sleem. „Sie triggern die Instinkte der Menschen. [8][Hassan | |
Nasrallah] zum Beispiel hat sich im Jahr 2018 immer wieder gesagt: ‚Wenn | |
ihr nicht für uns stimmt, wird der sunnitische Islamische Staat in eure | |
Dörfer einfallen und eure Frauen vergewaltigen.‘ Und Gebran Bassil hat | |
gesagt: ‚Wir sind hier, um die christliche Gesellschaft zu schützen.‘ Es | |
ist also immer so, dass Christen und Muslime dazu gebracht werden, sich | |
gegenseitig zu fürchten, damit sie bei dir bleiben und für dich stimmen.“ | |
Auf dem Weg in das Bergdorf Bscharre brennt ein Autoreifen vor einer | |
Tankstelle. Etwas weiter den Berg hinauf zeigt sich eine beeindruckende | |
Kulisse aus Felsschluchten. Rund 1.400 Meter über dem Meeresspiegel erhebt | |
sich das Dorf mit mehr als 30 Kirchen. Aus diesem maronitisch-christlichen | |
Ort stammt der bekannte Dichter Khalil Gibran. Doch das ihm gewidmete | |
Museum hat an diesem Mittwoch geschlossen. Auch die Restaurants, | |
Kleiderläden, selbst die Kioske haben die Rollläden heruntergefahren. Am | |
Ortsausgang findet sich dann doch etwas zu Essen: In seinem Garten verkauft | |
ein Mann Säfte, Salat und Sandwiches. Er erklärt, das ganze Dorf sei auf | |
den Beinen, um Straßen zu blockieren und seinen Patron zu beschützen. Denn | |
an diesem Tag sollte der Anführer der „Libanesischen Kräfte“, Samir Geage… | |
beim Militärgeheimdienst vorsprechen. Warum ist der Restaurantbesitzer | |
nicht mit auf die Straße gegangen? Weil er bei dem Klientelismus nicht | |
mitmacht? Nein, er müsse einfach arbeiten. | |
LADE-Geschäftsführer Aly Sleem kann verstehen, dass Leute sich weiterhin | |
für die politischen Führungspersonen einsetzen. „Früher habe ich die | |
Hisbollah unterstützt.“ Dabei sei er nicht einmal religiös. „Das war rein | |
sektiererisch. Ich habe gesehen, dass Hisbollah mich verteidigt, als | |
Person, die in einem schiitischen Umfeld aufgewachsen ist, in einem System, | |
das seinen Bürger*innen keine Gerechtigkeit verschafft. Und wann immer | |
du dein Recht einfordern wolltest, musstest du zu den politischen Parteien | |
gehen, nicht zu den staatlichen Institutionen oder den Ministerien.“ Seine | |
Mutter sei alleine mit drei Kindern gewesen. „Damals dachte ich, wir | |
müssten der Partei verbunden sein, andernfalls würden wir aus unserer | |
Gemeinde ausgeschlossen.“ | |
Sleem hat sich dieser Logik entzogen. „Ich habe genug von der | |
Diskriminierung und von den Vorurteilen.“ Zunächst habe er erkannt, dass | |
das klassistische System zulasten der Ärmeren geht. „Dann habe ich | |
verstanden, dass die Jugend diskriminiert wird, indem sie ihre politischen | |
Ansichten nicht ausdrücken kann, ihnen nicht erlaubt wird, zu wählen.“ | |
Als sein Vater starb, bemerkte er die Diskriminierung der Gesetze gegenüber | |
der Mutter, die nicht so einfach erben konnte. „Mit der Zeit musste ich | |
feststellen, dass alle hier im Libanon vom System diskriminiert werden | |
außer denen, die sich ständig vor den religiösen Führern verbeugen.“ Um | |
einen Job im öffentlichen Dienst zu bekommen, hätte man sich an die Partei | |
in seinem Wahlkreis wenden müssen. | |
Bisher sind Wahlkreise im Libanon so verteilt, dass sie auf die religiösen | |
Zugehörigkeiten abgestimmt sind. Im maronitisch-christlichen Bscharre zum | |
Beispiel würden sunnitische Politiker erst gar nicht versuchen, Wahlwerbung | |
zu machen. Doch mit den Protesten der vergangenen Jahre gibt es auch immer | |
mehr Alternativen: Gruppierungen und Parteien, die für säkulare Werte | |
einstehen, gegen Patronage und Korruption. Welche Chance haben unabhängige | |
Parteien bei den Wahlen? | |
„Es wird sehr schwierig sein, ein alternatives Programm oder eine | |
alternative Agenda zu erstellen. Es braucht politische Positionspapiere zur | |
Elektrizitätskrise, Wasserversorgung, um die finanzielle Situation | |
anzugehen, und so weiter. Bis heute haben sie das nicht besprochen“, sagt | |
Aly Sleem. Stattdessen überlegten die Parteien, in welchen Wahlkreisen sie | |
gewinnen könnten, und konkurrierten untereinander. „Das schafft eine | |
gravierende, Kluft zwischen politischen Oppositionen und aufstrebenden | |
Gruppen.“ | |
Werden die Wahlen im März zu einem Wandel im Libanon führen? „Nun, wir | |
werden keine drastische Veränderung erleben“, prognostiziert Sleem. Das | |
sektiererische Wahlsystem mit dem nach Proporz geordneten Wahlgesetz | |
verhindere das. „Ich würde jedoch sagen, dass wir eine niedrigere | |
Wahlbeteiligung sehen werden, weil die Menschen sehr frustriert sind. Sie | |
werden weder für die politischen Parteien noch für die Alternativen oder | |
oppositionelle Gruppen stimmen. Denn wir wissen nicht, wer die alternativen | |
Fraktionen sind, was ihre Agenda ist.“ | |
Auch die Tierärztin Marian Fodoulian, die ihre Schwester durch die | |
Explosion verloren hat, ist unschlüssig, ob sie wählen geht. „Ich bin 31 | |
Jahre alt und bin noch nie gegangen. Vielleicht muss ich das, um Teil des | |
Wandels zu sein.“ Sie glaubt, Gerechtigkeit könne nicht nur durch Wahlen | |
erlangt werden. „Selbst wenn ich einen Wandel wähle, leider folgen noch | |
immer viele Libanes*innen den alten politischen Köpfen.“ | |
Am Ende des Protesttages steht ein Etappensieg: Am Abend weist ein | |
Berufungsgericht den Einspruch gegen den die Untersuchung leitenden Richter | |
ab. Tarek Bitar nimmt die Arbeit wieder auf. | |
28 Jan 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Ein-Jahr-nach-der-Explosion-in-Beirut/!5786496 | |
[2] http://www.verfassungen.net/lb/index.htm | |
[3] /Nach-Explosion-in-Beirut/!5708476 | |
[4] /Schuesse-in-Beirut/!5808284 | |
[5] /Massenproteste-im-Libanon/!5636622 | |
[6] /Muellproblem-im-Libanon/!5473291 | |
[7] /Corona-Krise-im-Libanon/!5700595 | |
[8] /Giftanschlag-in-Syrien/!5093224 | |
## AUTOREN | |
Julia Neumann | |
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