# taz.de -- Müllproblem im Libanon: Recycling an der Quelle | |
> Ein kleines Unternehmen kämpft in Beirut gegen den Müll. Eine absolute | |
> Ausnahme im Libanon, wo sich der Abfall in den Straßen türmt. | |
Bild: „Man muss den Müll dort trennen, wo er entsteht“, sagt Kassem Kazak … | |
Beirut taz | Die breite Betonrampe führt hinab ins Dunkel, man sieht kaum | |
die Hand vor Augen. Ein schmaler Gang, spärlich mit Glühbirnen beleuchtet, | |
führt weiter ins Innere des Gebäudes. Links und rechts türmen sich Blöcke | |
aus gepresstem Plastik und Säcke voller Altglas. Hier unten, in einem | |
ehemaligen Parkhaus im Viertel Ouzai im Süden von Beirut, befindet sich das | |
Sortierlager von Recycle Beirut. | |
Der 35-jährige Computer-Ingenieur Kassem Kazak gründete das Unternehmen | |
2015 zusammen mit einem Freund. „Ich lebte früher in Tarik al-Dscheideh, | |
einem ärmeren Viertel von Beirut mit vielen Palästinensern“, erzählt Kazak, | |
dessen Großvater aus Haifa stammt und 1948 in den Libanon flüchten musste. | |
„Dort gibt es sehr viele Müllsammler, mit denen ich mich anfreundete. So | |
kam mir die Idee, Müll zu recyceln.“ | |
Ganz hinten arbeiten Manar, Halah und Ouda. Die drei Syrerinnen, Anfang 30, | |
sind kurz nach Beginn des Krieges im Nachbarland aus Damaskus mit ihren | |
Familien nach Beirut geflüchtet. Seit fast drei Jahren arbeiten sie bei | |
Recycle Beirut, sortieren sechs Tage die Woche sieben Stunden lang Altglas, | |
Plastik, Papier und Kartonagen. „Man sieht hier unten zwar nicht die Sonne, | |
aber uns gefällt die Arbeit“, sagt Manar. Und die Bezahlung ist | |
vergleichsweise gut. | |
Die Müllkrise vom Sommer 2015, als sich der Abfall in den Straßen Beiruts | |
türmte, gab dem kleinen Unternehmen einen regelrechten Schub. „Plötzlich | |
interessierten sich sehr viele Leute für Recycling und wir konnten den | |
Ansturm kaum bewältigen“, erinnert sich Kazak. | |
Mittlerweile hat Beirut Recycle etwa 3.000 Kunden, die ihren Müll gegen | |
eine Gebühr von umgerechnet acht Euro zu Hause abholen lassen. Hinzu kommen | |
2.000 Haushalte und Unternehmen, die ihren Müll direkt im Sortierlager der | |
Firma abgeben. | |
## Täglich 4.000 Tonnen Müll | |
Allerdings bleiben Kazak und sein Unternehmen im Libanon eine absolute | |
Ausnahme. Täglich produziert das Land etwa 4.000 Tonnen Müll, und nur acht | |
Prozent davon werden wieder aufbereitet. Der Rest landet auf Müllkippen | |
oder wird illegal im Meer versenkt. | |
Als vor zweieinhalb Jahren die Proteste von Anwohnern zur Schließung der | |
größten Deponie in Naameh führten, stellte die für den Abtransport des | |
Mülls zuständige Firma Sukleen die Arbeit ein. Die Folge: stinkende | |
Müllberge in den Straßen von Beirut. Hunderttausende gingen auf die Straße, | |
um unter dem Motto „You Stink!“ gegen den Müll, aber vor allem gegen die | |
politisch Verantwortlichen zu demonstrieren. | |
Im März 2016 verkündete die Regierung eine temporäre Lösung für das | |
Müllproblem: Für eine Übergangszeit von vier Jahren sollte eine alte | |
Deponie im Beiruter Stadtteil Bourj Hammoud wieder eröffnet werden. Zudem | |
legte die Regierung eine neue Deponie am „Costa Brava“-Strand südlich des | |
Beiruter Flughafens an. Doch beide haben bereits jetzt ihre | |
Kapazitätsgrenzen erreicht. | |
## „Eine Art von Erpressung“ | |
„Schon die Naameh-Deponie war als Übergangslösung gedacht, aber ihre | |
Nutzung wurde in 20 Jahren viermal verlängert“, sagt der Ökonom Jad Chaaban | |
von der American University Beirut. Auch die jetzige Übergangslösung diene | |
nur dazu, dass sich die Situation von 2015 vor den für Mai 2018 angesetzten | |
Parlamentswahlen nicht wiederhole, meint Chaaban. „Für mich ich das eine | |
Art von Erpressung: wenn die Leute protestieren und Deponien geschlossen | |
werden, gibt es wieder Müllberge in den Straßen.“ | |
Ähnlich sieht es Kassem Kazak: „Ein Verantwortlicher der Stadtverwaltung | |
sagte mir, dass die Lösung des Müllproblems darin bestehe, | |
Recycle-Container aufzustellen, aber das funktioniert nicht. Man muss den | |
Müll dort trennen, wo er entsteht. Recycling an der Quelle ist die einzige | |
Lösung für Libanons Müllproblem.“ Ende Oktober gab die Regierung eine | |
Studie in Auftrag, um die Möglichkeit zu prüfen, die Deponien in Bourj | |
Hammoud und Costa Brava länger als geplant offenzuhalten. Eine nachhaltige | |
Lösung ist also nicht in Sicht. | |
Kazak bleibt trotzdem optimistisch: „Wir sind ein kleines Unternehmen, aber | |
wir haben die öffentliche Meinung auf unserer Seite.“ Das Problem sei, dass | |
sein Unternehmen keinerlei Hilfe von staatlicher Seite bekomme, um zu | |
expandieren und die Müllaufbereitung kostengünstiger zu machen, sagt Kazak. | |
Deshalb hat er jetzt finanzielle Hilfe von der EU beantragt. „Wir müssen | |
die Sache selbst in die Hand nehmen. Sonst wird sich nie etwas ändern.“ | |
31 Dec 2017 | |
## AUTOREN | |
Jakob Farah | |
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