| # taz.de -- Östliche Partnerschaft: Noch viel Spielraum für Reformen | |
| > Sehr erfolgreich ist die EU in Sachen Östliche Partnerschaft bislang | |
| > nicht gewesen. Gerade jetzt wäre eine engere Anbindung bitter nötig. | |
| Bild: Noch eine Projektion: die europäische Flagge auf dem Regierungsgebäude … | |
| Totgesagte leben länger. Gefragt bei einem Treffen von Spitzendiplomaten in | |
| Brüssel Mitte November, ob die Östliche Partnerschaft der EU mit der | |
| Ukraine, Moldau, Belarus, Georgien, Armenien und Aserbaidschan (ÖP) im | |
| Sterben liege, sagte der EU-Chefdiplomat Josep Borrell: [1][„Für uns ist | |
| dies im Moment der wichtigste Teil unserer Außenpolitik.“] Wie ernst es der | |
| EU damit ist, wird sich am 15. Dezember zeigen, wenn in Brüssel der nächste | |
| ÖP-Gipfel stattfindet. | |
| Grundlage ist eine neue „Aufbau-, Resilienz- und Reformagenda“ flankiert | |
| von einem Wirtschafts- und Investitionsplan. Im Fokus stehen die Bereiche | |
| Wirtschaft, gute Regierungsführung, Sicherheit, Umwelt, Klima, digitale | |
| Transformation und Gesellschaft. Bis zu 2,3 Milliarden Euro sollen aus dem | |
| EU-Haushalt dafür mobilisiert werden, wodurch weitere 17 Milliarden Euro an | |
| staatlichen und privaten Investitionen freigesetzt werden könnten. | |
| Die ÖP wurde 2009 als ein Teilprojekt der Europäischen | |
| Nachbarschaftspolitik aus der Taufe gehoben. Zielvorgabe war es, die | |
| beteiligten Staaten durch eine engere Zusammenarbeit politisch und | |
| wirtschaftlich an die EU heranzuführen. Das alles folgte auch dem Motto: | |
| Hauptsache, Ruhe im Osten. Um eine reale Perspektive für eine | |
| EU-Mitgliedschaft ging es nie – bis heute nicht. | |
| Zwölf Jahre danach ist die Bilanz durchwachsen. Zwar sind mit der Ukraine, | |
| der Republik Moldau und Georgien Assoziierungsabkommen nebst umfassenden | |
| Freihandelsabkommen in Kraft getreten. Auch ihre Visumspolitik hat die EU | |
| gegenüber diesen drei Staaten liberalisiert. Doch in Sachen Demokratie, | |
| Rechtsstaatlichkeit, Korruptionsbekämpfung und Sicherheit ist die Strategie | |
| gescheitert. | |
| ## Keine Lösung für die Ukraine in Sicht | |
| Beispiel Ukraine: Bei Fortschritten in guter Regierungsführung, Kampf gegen | |
| die Korruption, der „De-Oligarchisierung“ sowie Justizreformen ist die | |
| Liste der Erfolge auch unter Präsident Wolodimir Selenski überschaubar. In | |
| den von prorussischen Kämpfern besetzten Gebieten Lugansk und Donezk ist | |
| eine Friedenslösung nicht in Sicht. Hinzu kommt eine massive Bedrohung | |
| durch den jüngsten [2][russischen Truppenaufmarsc]h an der Grenze. | |
| Georgien steckt innenpolitisch in einer Dauerkrise, die vor allem durch | |
| einen erbitterten Machtkampf zwischen der Regierungspartei Georgischer | |
| Traum und der größten Oppositionspartei, Vereinte Nationale Bewegung (ENM), | |
| gekennzeichnet ist. In diesem Jahr vermittelte die EU ein Wahlabkommen | |
| zwischen den beiden Kräften, das der Georgische Traum kurz darauf platzen | |
| ließ. In ihrer Auseinandersetzung mit der Zivilgesellschaft findet die | |
| Regierung nichts dabei, elementare Grundrechte zu verletzen. | |
| So geschehen bei einer Pride-Parade im vergangenen Juli, als ein | |
| [3][homophober Mob] auch 50 Journalist*innen attackierte, die Polizei | |
| jedoch kaum eingriff. Auch in Georgiens direkter Nachbarschaft kann von | |
| Ruhe keine Rede sein. Gut ein Jahr nach dem Krieg zwischen Armenien und | |
| Aserbaidschan um Bergkarabach, der für Jerewan bedeutende Gebietsverluste | |
| zur Folge hatte, ist der von Russland vermittelte Waffenstillstand brüchig. | |
| Die Niederlage hat die Position des armenischen Regierungschefs [4][Nikol | |
| Paschinjan] geschwächt. Ohnehin ist der Vertrauensvorschuss für den | |
| „Helden“ der Samtenen Revolution (2018) längst aufgebraucht. Mit solchen | |
| Kleinigkeiten halten sich Aserbaidschans autokratischer Präsident Ilham | |
| Alijew und sein kleptokratischer Klan nicht auf. In Aserbaidschan sind | |
| schwere Menschenrechtsverletzungen an der Tagesordnung. Derzeit sitzen 122 | |
| politische Gefangene hinter Gittern. | |
| ## Menschenrechtsverletzungen in Belarus | |
| In Belarus sind es im Dezember 2021 knapp 800 Häftlinge mehr – eine Folge | |
| drastischer Repressionen, mit denen das Regime seine Kritiker*innen | |
| bestraft. Staatschef Alexander Lukaschenko sitzt dank Moskau immer noch im | |
| Sattel und versucht sogar, die EU zu erpressen, indem er Geflüchtete an die | |
| EU-Außengrenze bringen lässt. Im vergangenen Juni stieg Minsk als Reaktion | |
| auf EU-Sanktionen aus der ÖP aus. Einzig in der Republik Moldau gibt es | |
| Anlass zu Optimismus. | |
| Die Wahl der prowestlichen Politikerin Maia Sandu am 15. November 2020 zur | |
| neuen Präsidentin sowie der Sieg ihrer Mitte-rechts-Gruppierung Partei der | |
| Aktion und Solidarität (PAS) bei der Parlamentswahl im Juli 2021 eröffnen | |
| die Chance auf demokratische Reformen und einen effektiven Kampf gegen die | |
| Korruption. All diese Entwicklungen gehen nicht allein auf das Konto der | |
| politischen Führungen in den Partnerländern. Auch die EU hat ihren Anteil | |
| daran. Denn es mangelt erneut an einer gemeinsamen Strategie. | |
| Die Ukraine, Georgien und Moldau schlossen sich im Mai zum Assoziiertentrio | |
| zusammen, um ihrem Wunsch nach einer vertieften Integration Nachdruck zu | |
| verleihen. Während Polen und die baltischen Staaten dem aufgeschlossen | |
| gegenüberstehen, mauert Frankreich. Armenien könne abgehängt werden, | |
| fürchtet Paris und schielt, auch im Hinblick auf die Präsidentenwahl im | |
| Frühjahr 2022, auf die 500.000 bis 600.000 Diaspora-Armenier*innen im | |
| eigenen Land. | |
| Dass solche Blockaden den Reformeifer einiger östlicher Nachbarn dämpfen, | |
| liegt auf der Hand. Die EU verrät zudem ihre eigenen Werte, wenn sie im | |
| polnisch-belarussischen Niemandsland Geflüchtete zurück über die Grenze | |
| prügeln und so Opfer schwerer Menschenrechtsverletzungen werden lässt. Vor | |
| allem angesichts der Bedrohung durch Russland muss die Politik der EU | |
| gegenüber ihren östlichen Nachbarn zur Chefsache gemacht und die Politik | |
| auf die jeweiligen Partner gezielt ausgerichtet werden. | |
| Wirtschaftliche Unterstützung sollte von messbaren Fortschritten bei | |
| politischen Reformen abhängig gemacht werden. Nicht zuletzt gehört dazu | |
| auch eine wertegeleitete Außenpolitik, die die neue [5][grüne | |
| Außenministerin Annalena Baerbock] im Munde führt. Gerade die ÖP bietet | |
| hier ein lohnendes Bestätigungsfeld. | |
| 15 Dec 2021 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.euractiv.de/section/eu-aussenpolitik/news/oestliche-partnerscha… | |
| [2] /Putins-Kalkuel-und-Bidens-Beitrag/!5818687 | |
| [3] /Gewalt-gegen-Queers-in-Georgien/!5780619 | |
| [4] /Parlamentswahl-in-Armenien/!5777415 | |
| [5] /Annalena-Baerbock-ueber-Aussenpolitik/!5819421 | |
| ## AUTOREN | |
| Barbara Oertel | |
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