| # taz.de -- Grünenpolitikerin über Osteuropa: „Die EU macht sich unglaubwü… | |
| > Viola von Cramon will sich im neuen EU-Parlament für Osteuropa einsetzen. | |
| > Dazu gehört auch, die soziale Frage in den Blick zu nehmen. | |
| Bild: Petro Poroschenko und Angela Merkel in Kiew | |
| taz: Frau von Cramon, Sie wollen [1][für die deutschen Grünen ins nächste | |
| EU-Parlament] einziehen und sich dort vor allem auch für die Belange | |
| Osteuropas einsetzen. Bisher hat dieses Feld Rebecca Harms bearbeitet, die | |
| nicht mehr antritt. Wollen Sie eine neue Rebecca Harms werden? | |
| Viola von Cramon: Glücklicherweise werden im Europäischen Parlament ja | |
| keine Mandate vererbt. Deshalb trete ich als Viola von Cramon an – mit | |
| einem klaren Osteuropa-Profil. Inhaltlich kann ich an vieles anknüpfen, was | |
| Rebecca Harms auch bearbeitet hat. Uns verbindet die Sympathie für die | |
| Menschen in Osteuropa. | |
| Einmal abgesehen von Sympathie. Warum ist Osteuropa wichtig? | |
| Das ist eine sicherheitspolitische Frage. Wenn es keinen Frieden an den | |
| Grenzen der Europäischen Union gibt, ist langfristig auch der Frieden in | |
| der EU gefährdet. Wenn wir, wie in der Ukraine, eine | |
| Kriegsauseinandersetzung mit Russland haben, ist auch das Problem von | |
| weiteren Geflüchteten für uns aktuell. | |
| Im nächsten Jahr wird [2][die Östliche Partnerschaft], ein Förderprogramm | |
| der EU für Weißrussland, die Ukraine, Moldau, Georgien, Armenien und | |
| Aserbaidschan, zehn Jahre alt. Eingefrorene Konflikte wie zum Beispiel in | |
| Georgien, Korruption, grassierende Armut. Kurzum: Die Bilanz ist nicht | |
| gerade positiv. Was ist da schief gelaufen? | |
| Der Ansatz ist gut. Die Östliche Partnerschaft ist jedoch weit mehr, als | |
| nur den Handel auszubauen oder den Jugendaustausch zu intensivieren. | |
| Östliche Partnerschaft heißt auch Standards zu setzen, Institutionen | |
| aufzubauen und die Frage von Rechtsstaatlichkeit durch zu deklinieren. Wenn | |
| es dann aber darum geht, diese Dinge auch umzusetzen und möglicherweise mit | |
| den Regierenden in diesen Ländern zu einer echten Verständigung zu kommen, | |
| wird in Brüssel der Rückwärtsgang eingelegt. Dabei ginge es auch anders. | |
| Nehmen wir die Ukraine. Ich sehe da derzeit sehr ungesunde Tendenzen. Wenn | |
| der aktuelle Präsident Petro Poroschenko vor irgend etwas Angst hat, dann | |
| davor, dass er keine politisch Legitimation im Ausland hat und seinen | |
| Wählern sagen muss, die EU empfängt mich nicht mehr, wir bekommen kein Geld | |
| mehr. Diesen Hebel gilt es stärker zu nutzen. Wir müssen als Europäische | |
| Union aber neben Rechtsstaatlichkeit und Demokratieförderung auch immer die | |
| Frage der sozialen Verteilung im Blick haben. Es kann nicht sein, dass wir | |
| mit Ländern Verträge machen, die die soziale Frage komplett außer Acht | |
| lassen und dafür sorgen, dass durch Korruption und Oligarchen die eigene | |
| Bevölkerung bis aufs Blut ausgebeutet wird. Genau deswegen sind ja auch die | |
| Menschen in Armenien auf die Straße gegangen. | |
| Warum ist die EU so zurückhaltend? | |
| Man arrangiert sich eben irgendwie. Dabei laufen wir Gefahr, unglaubwürdig | |
| zu werden. Wenn wir quasi ein Programm auflegen, dann aber hinter unseren | |
| eigenen Erwartungen in diesen Ländern zurück bleiben, dann kann man es auch | |
| sein lassen. Für die Glaubwürdigkeit der Europäischen Union müssen wir | |
| deutlicher auftreten. Nicht unbedingt härter, aber klarer und deutlicher. | |
| Das erwarten die Menschen, die wir unterstützen, von uns. | |
| Das Asowsche Meer könnte zum nächsten Kriegsschauplatz zwischen Russland | |
| und der Ukraine werden. Wie schätzen Sie die Lage dort ein und wie sollte | |
| sich die EU dazu verhalten? | |
| Es gab dort für die Russen schon immer die Möglichkeit Schiffe anzuhalten | |
| und zu kontrollieren. Das ist nichts Neues. Jetzt jedoch stoppen sie die | |
| Schiffe länger. Dadurch laufen die Häfen in Mariupol und Berdjansk leer, | |
| diese Ort werden ausgehungert. Schon jetzt werden Leute entlassen und das | |
| ist eine soziale Katastrophe. Ich glaube nicht, dass die Russen aktuell ein | |
| Interesse daran haben die Lage militärisch zu eskalieren, aber für die | |
| Ukraine ist das ein weiterer Destabilisierungsfaktor. Kiew hat es | |
| allerdings versäumt, seine Infrastruktur entsprechend auszubauen. Das zeigt | |
| aber auch die innere Nichtreformmiertheit der Ukraine. Die EU sollte im | |
| Zweifelsfall über weitere Sanktionen gegen Russland nachdenken. | |
| Haben die Sanktionen etwas gebracht? | |
| Wenn sie nichts gebracht hätten, würden nicht Lobbyisten in Berlin, Brüssel | |
| und Rom herum laufen und versuchen, sie außer Kraft zu setzen. Natürlich | |
| wirken sich die Sanktionen auf Russland negativ aus, wie zum Beispiel ein | |
| eingeschränkter Zugang zu den Kapitalmärkten. Die finanzielle Misere ist ja | |
| auch an der Rentenreform ablesbar, die auf Biegen und Brechen durchgesetzt | |
| werden sollte. Für mich sind die Sanktionen ein wichtiges Signal. Sollten | |
| sie jetzt ganz oder teilweise aufgehoben werden, wäre das ein Blankoscheck. | |
| Nach dem Motto: Auch die nächste Invasion, auch die nächste Grenzverletzung | |
| hat keine Folgen. | |
| Also die Sanktionen aufrecht erhalten? | |
| Ja. Solange Russland nicht liefert und nicht ernsthaft an einer Lösung im | |
| Donbass interessiert ist und das Ganze torpediert, sehe ich nicht ein, | |
| warum wir auf der politischen Ebene nachgeben sollten. Gleichzeitig sollten | |
| wir aber für die russische Zivilgesellschaft mehr Angebote machen – zum | |
| Beispiel Visa-Erleichterungen Aussicht stellen. | |
| Nehmen wir an, Sie schaffen den Sprung nach Brüssel. Was wären die ersten | |
| Projekte, die Sie angehen würden? | |
| Ich würde mich für Stipendien bzw. Auszeiten für besonders verfolgte | |
| AktivistInnen und JournalistInnen einsetzen. Journalisten sind mit die | |
| verwundbarste Gruppe, weil sie mit ihren Veröffentlichungen immer wieder | |
| den Finger in die Wunde legen. Unabhängige Medien müssen stärker gefördert | |
| werden. Ich würde einen Fond auflegen, um den sich unabhängige | |
| JournalistInnen bemühen könnten. Darüber hinaus müssten auch entsprechende | |
| Institutionen geschaffen werden – zum Beispiel ein europäischer Medienrat, | |
| in dem auch Vertreter aus den östlichen Ländern sitzen. Denn sie wissen, wo | |
| die Probleme sind und wo Hilfe benötigt wird. Damit man nicht wieder am | |
| Ziel vorbei fördert. | |
| 8 Nov 2018 | |
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| ## AUTOREN | |
| Barbara Oertel | |
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