# taz.de -- Große Namen in Berliner Sozialpolitik: Eine, die fehlen wird | |
> Der Rückzug der Berliner Sozialsenatorin Elke Breitenbach sorgt für | |
> großes Bedauern. Bundespolitikerin Katja Kipping soll ihr nachfolgen. | |
Bild: Zieht sich zurück: Sozialsenatorin Elke Breitenbach (Die Linke) | |
Wie kann sie so etwas sagen?! Am Dienstagabend gab Noch-Senatorin Elke | |
Breitenbach (Die Linke) bekannt, dass sie nicht noch einmal als | |
Sozialsenatorin antreten wird – ihre Aufgabe sei erfüllt. Erfüllt? Noch vor | |
drei Monaten sagte Breitenbach bei der Vorstellung des Masterplans zur | |
Überwindung der Obdachlosigkeit: Umgesetzt werden muss der aber in der | |
nächsten Legislaturperiode. Und nun soll der Masterplan ohne seine | |
Meisterin verwirklicht werden und Berlin verliert eine Senatorin, die im | |
ganzen Politikgedöns der letzten fünf Jahre gewiss die beste Performance | |
abgeliefert hat. | |
Seit Elke Breitenbach ihren Rückzug bekannt gegeben hat, haben sich viele | |
Menschen mit Worten des Bedauerns gemeldet – aus der eigenen und anderen | |
Parteien, aus Gewerkschaften, von sozialen Trägern. Als Erster zitiert | |
werden soll hier aber einer, der weiß, was es bedeutet, wenn Politik einen | |
Unterschied macht. | |
[1][Klaus Seilwinder] hat sieben Jahre auf der Straße gelebt. Er hat | |
Gewalt, Missachtung und Desinteresse erlebt. Er weiß, was es bedeutet, ganz | |
unten zu sein. Inzwischen engagiert er sich in verschiedenen | |
Odachloseninitiativen. „Frau Breitenbach ist eine, die wirklich zu den | |
Leuten gegangen ist, die mit uns geredet hat.“ Früher, sagt Seilwinder, | |
seien Politik und Gesellschaft gegen obdachlose Menschen gewesen, | |
inzwischen sei man gegen Obdachlosigkeit. „Frau Breitenbach hat den | |
Blickwinkel geändert.“ Er habe die Senatorin oft getroffen und sehe sie | |
auch diese Woche wieder bei einer Veranstaltung. „Da werde ich ihr noch mal | |
sagen, wie enttäuschend das ist, dass sie geht.“ | |
Auch Sebastian Böwe ist einer, der schon Jahrzehnte mit Obdachlosigkeit in | |
Berlin zu tun hat. Er hat in diversen Projekten gearbeitet, inzwischen | |
akquiriert er Wohnungen für eines der Berliner Modellprojekte von | |
[2][Housing First]. Mit Breitenbachs Vorgänger (Mario Czaja von der CDU) | |
habe er nie auch nur ein Wort wechseln können. „Aber als wir Elke | |
Breitenbach unser Konzept vorgestellt haben, war klar, jetzt bewegt sich | |
etwas.“ Viele Träger seien mit ihr per Du, ihre Expertise sei gefragt, | |
dafür rufe die Senatorin auch persönlich an. Breitenbach sei auf der Seite | |
der Unterdrückten, ganz und gar keine Lobbyistin – höchstens für die Armen. | |
## „Mit Haaren auf den Zähnen“ | |
Und noch ein Urgestein der Berliner Obdachlosenpolitik sollte zu Wort | |
kommen: Die Wissenschaftlerin Susanne Gerull von der | |
Alice-Salomon-Hochschule beschäftigt sich seit mehr als drei Jahrzehnten | |
mit Obdachlosigkeit, sie ist Mitglied der Landesarmutskonferenz und des | |
[3][Arbeitskreises Wohnungsnot]. Breitenbach sei ein Politiker:innentyp, | |
den es selten gebe: praxisnah, nie nur verwaltend. Breitenbachs Fachwissen | |
sei riesig, so sehr habe sie sich in die Arbeit reingefressen. Die | |
Überwindung von Ungleichheit sei bei Breitenbach keine Phrase, sondern | |
Arbeitsauftrag. Und den erfülle sie auch „mit Haaren auf den Zähnen“, | |
Konflikte habe sie jedenfalls nie gescheut, sagt Gerull. | |
Bedauern über Breitenbachs Abgang hört man auch aus der | |
flüchtlingspolitischen Szene – Geflüchtete waren das dritte Thema in | |
Breitenbachs „Superressort“. So sagte [4][Andreas Tölke], Gründer des | |
Vereins „Be an Angel“, am Mittwoch der taz, Breitenbach habe bei ihm gleich | |
zu Beginn ihrer Amtszeit einen bleibenden Eindruck hinterlassen, weil sie | |
es geschafft hatte, binnen kurzer Zeit alle Turnhallen „freizuziehen“. Die | |
waren 2016 noch zu Dutzenden mit Geflüchteten notbelegt. „Das war ein | |
sensationell guter Einstieg“, findet Tölke. „Auf einmal gab es jemanden im | |
Senat, der die Interessen von Geflüchteten vertritt.“ | |
Überhaupt sei Breitenbach höchst engagiert und stets offen für | |
Einzelschicksale gewesen – für Politiker nicht selbstverständlich, so | |
Tölke. Und sie habe als gute Netzwerkerin dafür gesorgt, dass | |
flüchtlingspolitische NGOs in der Verwaltung gehört werden. „Auch wenn sie | |
nicht der Partei meiner Wahl angehört: Breitenbach war das Paradebeispiel | |
dafür, dass die Berliner Politik manchmal besser ist als ihr Ruf.“ | |
Für Diana Henniges von „Moabit hilft“ lagen Breitenbachs Stärken im | |
Obdachlosenbereich. Unbürokratisch habe sie für mehr und neuartige | |
Unterbringungsmöglichkeiten gesorgt, etwa die ganztägig geöffneten | |
24/7-Kältehilfe-Einrichtungen oder Heime, wo man Hunde mitbringen kann. | |
„Wenn Breitenbach in den Bereich Geflüchtete so viel Engagement gesteckt | |
hätte, wäre sie richtig gut gewesen“, sagt Henniges. Leider sei es der | |
Senatorin jedoch nie gelungen, das Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten | |
(LAF) unter ihre Kontrolle zu bekommen. Das Amt mache nach wie vor „was es | |
will“, so Henniges – und das meist nicht im Sinne der Geflüchteten. Diese | |
würden weiterhin eher als „lästige Bittsteller“ behandelt, anstatt als | |
Klient*innen mit Rechtsansprüchen. „Breitenbach hat hier offenbar ihre | |
Weisungsbefugnis nie durchsetzen können.“ | |
Dennoch bedauert Henniges Breitenbachs Abgang: „Wir hätten ihr gerne noch | |
fünf Jahre die Chance gegeben, um dauerhafte Reformen durchzusetzen.“ | |
## Katja Kipping soll Nachfolgerin werden | |
Den einsetzenden Spekulationen um Breitenbachs Nachfolge bereitete die | |
Landesvorsitzende der Linken, Katina Schubert, bereits am | |
Mittwochnachmittag ein Ende: Offenbar sollen die großen Fußstapfen, die | |
Breitenbach hinterlässt, von einem sehr bekannten Parteimitglied ausgefüllt | |
werden. Auf dem Landesparteitag am Samstag wolle Schubert [5][Katja | |
Kipping], bis vor Kurzem noch Parteivorsitzende auf Bundesebene, als neue | |
Berliner Senatorin für Integration, Arbeit und Soziales vorschlagen. | |
Von Breitenbachs Senatsverwaltung heißt es indes, dass mit der Verankerung | |
des [6][Masterplans zur Überwindung der Obdachlosigkeit] die linke Politik | |
von Elke Breitenbach bereits fest im Koalitionsvertrag verankert sei. | |
„Damit wird diese Vision nicht mehr nur von einer einzelnen Person | |
getragen“, so Sprecher Stefan Strauß. Elke Breitenbach hat in dieser | |
Hinsicht vielleicht doch ihre Aufgabe erfüllt. Und als streitbare | |
Abgeordnete bleibt sie der Landespolitik erhalten. | |
Ihren Rückzug hat die 60-Jährige übrigens damit begründet, dass die Pflege | |
ihres 93-jährigen Vaters das Amt nicht länger zulasse. Auch das passt. | |
1 Dec 2021 | |
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## AUTOREN | |
Manuela Heim | |
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