# taz.de -- Amputation wegen Tumor: Brust ab | |
> Wer sich nach einer Brustamputation gegen einen Wiederaufbau entscheidet, | |
> steht unter Rechtfertigungsdruck. Das erlebte auch unsere Autorin. | |
Bild: Brüste und diese ominöse Weiblichkeit | |
Wenn dieser Text erscheint, ist meine linke Brust Geschichte – oder | |
vielmehr pathologischer Abfall. Vor der Amputation hat sie mir ein paar | |
Monate lang das Leben schwergemacht – oder eher ihr Inhalt: ein bösartiger, | |
aggressiver, schnell wachsender Tumor, der die Brust, als er endlich | |
diagnostiziert wurde, bereits um etwa ein Drittel vergrößert hatte. | |
Die Möglichkeit, nach der Chemotherapie brusterhaltend zu operieren, gab es | |
wegen der Größe des Tumors nicht. Ein Wiederaufbau kam für mich nicht in | |
Frage, mir war recht schnell klar, dass ich dann links halt flach sein | |
würde. Für meine Chirurgin war meine Entscheidung kein Problem. | |
[1][Wie bei meiner Abtreibung vor mehr als 20 Jahren musste ich nicht lange | |
überlegen], mich ausführlichst informieren oder schwer mit mir ringen. | |
Damals wollte ich nicht schwanger sein und kein Kind, also war [2][der | |
Abbruch der Schwangerschaft] die naheliegende Entscheidung. Diese hatte ich | |
schon getroffen, bevor der Schwangerschaftstest die zwei Linien zeigte. | |
Alle Artikel, Psycholog*innen, Ärzt*innen und Patient*innen betonen | |
unermüdlich, dass der Umgang mit der betroffenen Brust eine | |
höchstpersönliche, schwere Entscheidung sei, die jede Betroffene mit sich | |
selbst ausmachen müsse – die Betonung der schweren, individuellen | |
Entscheidungen erinnert mich an den Diskurs über ungewollte | |
Schwangerschaften. Wenn der Weg, der hierbei für die Betroffenen am besten | |
ist, der Abbruch ist, muss zumindest gelitten und mit sich gerungen worden | |
sein – eine leichte Entscheidung scheint nicht möglich und wirkt beinahe | |
unethisch. [3][Und wie zur Frau der Kinderwunsch] gehören eben auch [4][die | |
Brüste] dazu, eine Entscheidung dagegen steht häufig unter | |
Rechtfertigungsdruck. | |
Funktion oder Optik | |
Bei meinen Brüsten ist mir die Funktion wichtig, die Optik dagegen recht | |
egal. Über einen Wiederaufbau habe ich deswegen nicht viel nachgedacht: | |
Wenn die Empfindungsfähigkeit weg ist, habe ich nicht viel Verwendung für | |
diese Ausbuchtung am Oberkörper. Ich fühle mich nicht sonderlich „weiblich�… | |
und hatte weder bei den durch die Chemotherapie ausgefallenen Haaren, noch | |
bei der anstehenden Brustoperation Angst, dadurch diese ominöse | |
Weiblichkeit einzubüßen. | |
Aber. In allen Fachartikeln. Bei allen Gesprächen im Chemoraum. In allen | |
Broschüren. Geht es immer um Wiederaufbau, Wiederaufbau, Wiederaufbau – | |
also um das Wie, nicht um das Ob. Für den medizinischen Betrieb rund um | |
Brustkrebs und für viele Mitpatient*innen ist der scheinbar drohende | |
Verlust der Weiblichkeit das große Ding. | |
Etwa 30 Prozent aller etwa 75.000 pro Jahr in Deutschland neu erkrankten | |
Brustkrebspatient*innen können aus medizinischen Gründen nicht | |
brusterhaltend operiert werden. Es gibt keine verlässlichen Zahlen dazu, | |
wie viele von ihnen sich für einen Wiederaufbau, für das Tragen von | |
Epithesen oder dafür entscheiden, flach zu bleiben. In keinem der | |
Fachartikel, die ich gelesen habe, wird die Möglichkeit, die betroffene | |
Brust einfach ab zu lassen, auch nur erwähnt. Es geht immer nur um die Vor- | |
und Nachteile der verschiedenen Methoden des Aufbaus, mit Silikon oder | |
körpereigenem Gewebe (Muskeln, Haut, Fett). | |
Beim Vorgespräch zur OP wird mir versichert, dass ein*e Mitarbeiter*in | |
aus dem Sanitätshaus ins Krankenhaus käme, um eine Epithese, also eine | |
Brust aus Kunststoff, die an den Oberkörper angeklebt oder in den BH | |
eingelegt wird, und den dazugehörigen BH anzupassen. Zwar ist klar, dass | |
ich keinen Wiederaufbau per OP möchte, einseitig flach rumlaufen zu wollen, | |
erscheint dann doch zu ungewöhnlich – außerdem zahlt das ja die | |
Krankenkasse. Und tatsächlich tun ja die meisten Betroffenen ihr | |
Möglichstes, damit sich zumindest äußerlich nichts verändert durch die | |
Erkrankung und ihre Behandlung. | |
Schonendste Option | |
Da wird die Rede von der höchstpersönlichen Entscheidung zur Floskel: Wenn | |
eine Mitpatientin im Chemoraum energisch für den Wiederaufbau argumentiert | |
und nicht nur für sich selbst postuliert, dass sie „so normal wie möglich“ | |
aussehen wolle, sondern auch, dass sie Frauen mit nur einer Brust | |
„abstoßend“ finde, und niemand das problematisiert, auch die anwesende | |
Psychoonkologin nicht. Wenn eine – die schonendste – Option nie erwähnt | |
wird, existiert sie als Möglichkeit für die meisten Betroffenen, die sich | |
nicht selbst auch auf ungewöhnlichen Wegen nach Informationen suchen, | |
praktisch gar nicht. | |
Wenn einer Betroffenen, die sich gegen einen Wiederaufbau entscheidet, zu | |
einem psychologischen Gespräch geraten wird, der Betroffenen, die einen | |
haben möchte, aber nicht. Wenn eine in einer einschlägigen Facebook-Gruppe | |
ausführliche nach ihren Gründen gefragt wird, wenn sie ankündigt, flach | |
bleiben zu wollen, aber niemand so etwas beim Aufbau gefragt wird. Wenn es | |
schon so einen Appell an die Betroffenen gibt, sich das sehr gründlich zu | |
überlegen, dann sollten sie doch über alle Optionen nachdenken können. | |
[5][Der Verein Ablatio mammae – Selbstbewusst ohne Brust e. V. (amsob)] hat | |
sich im September 2019 gegründet, um Brustlosigkeit als gleichwertige | |
Alternative bekannter zu machen. Julia Thomas, die Vorsitzende des Vereins, | |
kritisiert im Gespräch mit der taz, dass die flache Brust oft nicht als | |
gleichwertige Option betrachtet würde und nicht aktiv darüber informiert | |
würde. | |
Der Verein wolle Frauen bei dieser Entscheidung unterstützen, wenn es ihnen | |
anderswo schwer gemacht würde. Sie erwarte nicht von jeder Frau, | |
„kämpferisch zu sein und sich mit allen Normen auseinanderzusetzen“. In der | |
Kommunikation mit Ärzt*innen könne man da so einiges bewegen. Diese seien | |
teilweise sogar erfreut über die Initiative, weil sie sich bisher nicht | |
getraut hätten, das ihren Patient*innen vorzuschlagen, erzählt Thomas. | |
Auch in der Broschüre der Frauenselbsthilfe Krebs „Brustamputation – Wie | |
geht es weiter?“, die die seit 45 Jahren existierenden | |
Selbsthilfeorganisation in diesem Jahr neu aufgelegt hat, gibt es nur die | |
beiden Möglichkeiten: Wiederaufbau oder Epithesen. Ich frage die | |
Pressesprecherin Caroline Mohr, warum sie die Möglichkeit, flach zu | |
bleiben, nicht erwähnen. Sie erklärt, dass die Option flach zu bleiben, nur | |
für Frauen mit kleinen Brüsten infrage komme. Für alle anderen sei es | |
„orthopädisch wichtig“, dass das Gegengewicht erhalten bleibe. | |
Die paar hundert Gramm | |
Habe ich so sehr kleine Brüste? Ich kann mir nicht vorstellen, dass die | |
paar hundert Gramm so einen krassen Unterschied machen. Verspannt bin ich | |
eh schon, und wer hat keine Rückenschmerzen? Außerdem: Warum bezahlen die | |
Krankenkassen hier keine Angleichung? Eine solche wird ja nach einem | |
einseitigen Wiederaufbau problemlos übernommen, wenn die Brüste zu | |
unterschiedlich sind. Eine beidseitige Amputation wird aber eigentlich nur | |
gemacht, [6][wenn die betroffene Person das BRCA-Gen hat, das als | |
Krebsrisiko erhöhend gilt]. Bei allen anderen werden solche Anträge häufig | |
abgelehnt, eine „gesunde“ Brust abzunehmen, gilt als fast schon unethisch, | |
das macht man einfach nicht. Warum es aber kein Problem zu sein scheint, | |
für einen Wiederaufbau gesunde Muskeln zu Brüsten umzubauen, kann mir | |
niemand erklären, schließlich hat ein gesunder Muskel im Unterschied zu | |
einer gesunden Brust sogar eine Funktion. | |
Die Betroffene Anna Belle Jöns lerne ich über Instagram kennen. Sie hat | |
ihre Krankenkasse überzeugen können, die Amputation der verbliebenen Brust | |
zu bezahlen. Mit der Begründung hat sie sich viel Mühe gegeben, ihr | |
Onkologe hat den Antrag unterstützt. Als sie mit 36 ihre Brustkrebsdiagnose | |
erhielt, waren [7][trans Personen im Freundeskreis] wichtig, um sich gegen | |
einen Aufbau entscheiden zu können, und Frauen, die sich auf Instagram über | |
#goingflat austauschten. | |
Jöns kritisiert, dass man immer noch hauptsächlich von anderen Betroffenen | |
über die Möglichkeit höre, aber kaum von Ärzt*innen. Mit ihrer Epithese | |
habe sie sich nie so richtig anfreunden können, sich aber auch kaum | |
getraut, ohne auf die Straße zu gehen. Als eine Bekannte nach Brustkrebs- | |
und BRCA-Diagnose beidseitig flach wurde, war das für Jöns, nun mit 42, der | |
Ansporn, den Antrag auf abbauende Angleichung trotz ihrer Angst vor einer | |
langwierigen Auseinandersetzung mit der Krankenkasse zu stellen. Sie | |
wünscht sich, dass auch für Betroffene, die sich gegen einen Wiederaufbau | |
entscheiden, gelten möge, was für Frauen mit zwei Brüsten anscheinend | |
selbstverständlich ist: ein Recht auf Symmetrie und sich im eigenen Körper | |
wohlfühlen zu können. | |
Ich glaube, mich in meinem bald asymmetrischen Körper wohlfühlen zu können, | |
schließlich trage ich auch meine langen Ohrringe nur auf einer Seite und | |
die Frisur war vor dem Haarausfall asymmetrisch. Vor der OP haben die | |
Freund*innen mehr Angst als ich, bei mir überwiegt die Neugier auf den | |
anderen Körper. | |
26 Nov 2021 | |
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## AUTOREN | |
Kirsten Achtelik | |
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