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# taz.de -- Medizin aus dem 3-D-Drucker: Ein echter Knochenjob
> Wenn ein Knochenbruch nicht richtig heilt, bleibt oft eine Lücke zwischen
> den Bruchstellen. Eine Lösung für solche Fälle: Gerüste aus dem
> 3-D-Drucker.
Bild: Das netzartige Gerüst aus weißem Plastik überbrückt die Bruchstelle u…
Leipzig taz | Als Beifahrer*in im Auto kann man viel falsch machen:
unkonzentriert navigieren, die falsche Musik spielen und, der wohl der
fatalste Fehler, die Knie angewinkelt ans Armaturenbrett lehnen. Bei einem
Auffahrunfall auf der Autobahn wirkt viel Kraft von hinten, und in dieser
Haltung „ist der Oberschenkelknochen durch“, sagt [1][Tobias Großner.]
Der Unfallchirurg aus Heidelberg hat unzählige solcher Brüche behandelt,
indem er einen Marknagel aus Titan in den Knochen bohrte, so lang wie der
Oberschenkel selbst, oder indem er die Knochenfragmente mit einer langen
Platte und Schrauben stabilisierte. Teile, die auch nach der Heilung im
Körper der Patient*innen bleiben und [2][sich manchmal noch nach
Jahren entzünden, zu Schmerzen und Bewegungseinschränkungen führen können].
Manchmal heilt die Bruchstelle trotz der Stabilisierung nicht und eine
Lücke zwischen den Bruchteilen bleibt. Dann brechen Nagel oder Platte nach
einiger Zeit unweigerlich. Oft stand Großner im Operationssaal und hat
sich gefragt, ob es nicht eine bessere Lösung gibt.
Auf der Suche danach stieß er vor drei Jahren zu [3][BellaSeno], einem
australischen Unternehmen, das Medizinprodukte im 3-D-Drucker herstellt.
Gemeinsam entwickelten sie eine neue Idee: [4][individualisierte
Ersatzstücke], genau an die Knochenlücke der Patient*innen angepasst.
Im Körper eingesetzt, werden sie mit Knochenmark gefüllt. Aus den Zellen
des Knochenmarks bildet sich neuer Knochen. Das dauert manchmal nur Monate,
manchmal Jahre. Gestützt und geleitet wird dieses Wachstum durch das Gerüst
aus dem 3-D-Drucker.
Die Gerüste bestehen aus einem Kunststoff, der sich im Körper langsam
auflöst und schließlich, wenn er seine Aufgabe erfüllt hat, ganz
verschwindet. Das im Gerüst neu gewachsene Stück Knochen wird letztendlich
kaum vom Originalknochen zu unterscheiden sein. Das ist eine kleine
Revolution. Die Bruchlücke wird dann genau von dem Material geschlossen,
das dafür am besten geeignet ist: dem Knochengewebe der Patient*innen.
## Lösungen für den Tagesgebrauch
Die Firma BellaSeno hat ihren Hauptsitz in der BioCity in Leipzig, einem
der modernsten und größten Biotechnologie-Parks in Deutschland. Auf zwei
Etagen sind die Büros und die 3-D-Drucker des Unternehmens untergebracht.
Im mit grauem Büroteppich ausgelegten Showroom werden die gedruckten
Knochengerüste auf einem Podest präsentiert. Scaffolds nennen
Mediziner*innen diese Teile. Bei den Gebilden aus weißem Plastik
erkennt man schnell, wo sie im Körper hingehören, ein etwa 12 Zentimeter
langes Stück Unterschenkel und die Speiche eines Unterarms liegen dort.
Chirurgische Lösungen müssten simpel sein, damit sie im Tagesgebrauch
einsetzbar sind, meint Tobias Großner: „Im Operationssaal brauchen wir ein
Produkt, das jeder versteht. Du musst die Verpackung aufmachen und sofort
wissen, wo es hingehört.“ Nur drei Jahre vergingen von den ersten Versuchen
mit den Scaffolds für die Knochenheilung aus den 3-D-Druckern, bis das
Produkt in Europa zugelassen wurde.
Zuvor hatte BellaSeno allerdings schon jahrelang an der 3-D-Druck-Technik
getüftelt. Und dass „Scaffolds für die Knochenheilung wichtig sind, das
wissen wir schon seit dreißig bis vierzig Jahren“, sagt Großner. „Wir hab…
hier in Leipzig den Brückenschlag gemacht: 3-D-Druck, Scaffolds und
Knochenregeneration. Das ist neu.“
Eine Etage unter dem Showroom stehen zwei 3-D-Drucker hinter einer
Glasscheibe. Es riecht nach Desinfektionsmitteln, von der Decke leuchten
helle Lichtröhren. Das hier ist ein Reinraum, noch steriler als ein
Operationssaal. Betreten darf man ihn erst, wenn der Druckvorgang
abgeschlossen ist, und ausschließlich in Schutzmontur. Aus einem der beiden
Drucker erklingt ein leises rhythmisches Zischen, in seinem Inneren bewegt
sich der Druckkopf langsam vor und zurück, nach und nach schichtet er ein
weißes Gebilde auf. Für ein 12 Zentimeter langes Stück Unterschenkelknochen
braucht der Drucker ungefähr acht Stunden.
## Kunststoff, der sich auflöst
Etwa fünfzig Patient*innen tragen inzwischen ein Scaffold aus den
beiden Druckern hinter der Glasscheibe in sich. Eingesetzt wurden sie an
hochspezialisierten Kliniken. Einer der ersten Patienten ist auch einer der
spektakulärsten Fälle, sein Röntgenbild hängt im Showroom an der Wand: Es
zeigt [5][den Unterarm eines ukrainischen Zivilisten,] der von einem
Projektil getroffen wurde. Der Mann verlor dabei die Speiche, in seinem
Unterarm war nur noch die Elle übrig.
Der verlorene Knochen wurde in der Medizinischen Hochschule Hannover durch
ein Gerüst aus Leipzig ersetzt. Inzwischen kann der Mann seinen Unterarm
wieder bewegen, den Ellbogen beugen und seine Hand benutzen. Seit einem
halben Jahr bildet sich in seinem Körper neuer Knochen.
Im Versuchsraum holt Großner aus einem Kühlschrank den Kunststoff, aus dem
auch das Gerüst für die Speiche gedruckt wurde. Die weißen
Kunststoffflocken sehen so aus wie Kokosraspel und bestehen aus [6][einem
Material, das in der Medizin schon seit gut 90 Jahren bekannt ist]:
Polycaprolacton (PCL). Ursprünglich wurde der Stoff für die Fäden zum Nähen
von Schnitten entwickelt. Wenn das Plastik mit Feuchtigkeit in Berührung
kommt, löst es sich langsam auf. So wie diese Fäden nicht gezogen werden
müssen, bauen sich auch die Scaffolds im Körper langsam ab.
## Brustrekonstruktion aus dem 3-D-Drucker
Im Showroom ist auch ein Produkt ausgestellt, das noch auf die
Marktzulassung wartet, aber viel Geld verspricht: [7][Scaffolds für die
Brustrekonstruktion], ebenfalls aus PCL. Statt mit Knochenmark wird das
Brustgerüst im Körper der Patient*innen mit Fettzellen gefüllt, die an
einer anderen Körperstelle entnommen wurden. Genau wie bei den Scaffolds
für gebrochene Knochen löst sich das Brustgerüst nach einigen Jahren auf,
und der Körper schließt die Fettzellen an den Blutkreislauf an. Das
Fettgewebe wächst, bis es den Raum ausfüllt, den das Scaffold vorgegeben
hat.
Bis zum ersten Prototyp musste BellaSeno die 3-D-Drucktechnik in vielen
Schritten anpassen. „Das Plastik, mit dem wir drucken, ist hart, aber eine
Brust muss sich ja weich und flexibel anfühlen“, sagt Großner. Die
3-D-Drucker müssen deswegen so fein drucken, dass eine bewegliche Struktur
entsteht.
Erste Studien laufen, die Gerüstbrüste sollen zunächst für Menschen auf den
Markt kommen, die ihre Silikonimplantate ersetzen wollen, etwa weil sie
gerissen sind oder ihr Körper sie abwehrt. Übrig bleiben soll dann eine
Brust, die sich kaum von einer natürlich gewachsenen unterscheidet. Wenn
das wirklich klappt, könnten die Knochenbrüche für das Unternehmen
irgendwann eine Nebensache werden.
14 Jul 2024
## LINKS
[1] https://www.klinikum.uni-heidelberg.de/personen/priv-doz-dr-med-tobias-gros…
[2] https://flexikon.doccheck.com/de/Marknagelosteosynthese
[3] https://www.bellaseno.com/
[4] https://www.bellaseno.com/products/pcl-bone-scaffold/
[5] https://www.mdpi.com/2075-4426/14/2/178
[6] https://de.wikipedia.org/wiki/Polycaprolacton
[7] https://biocity-campus.com/bellaseno-startet-klinische-studien-fuer-resorbi…
## AUTOREN
Luisa Faust
## TAGS
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