| # taz.de -- Schwangerschaftsabbruch nach § 218: Quer zur Wirklichkeit | |
| > Seit 150 Jahren ist ein Schwangerschaftsabbruch in Deutschland strafbar. | |
| > Was würde passieren, wäre der Paragraf 218 abgeschafft? | |
| Bild: Internationaler Frauentag in Berlin 2018 | |
| Ein Schwangerschaftsabbruch ist in Deutschland nach § 218 Strafgesetzbuch | |
| grundsätzlich strafbar – seit 150 Jahren ist das so. Nach der Gründung des | |
| Deutschen Reichs am 15. Mai 1871 war eine Schwangere, die „ihre Frucht | |
| abtreibt oder im Leib tötet“ mit Zuchthaus von bis zu fünf Jahren zu | |
| belegen. Die Worte des Paragrafen sind heute andere, sie klingen | |
| zeitgemäßer – allerdings nur in ihrer Form, nicht im Inhalt. Und sie stehen | |
| noch immer direkt hinter Mord und Totschlag, Abtreibung ist ein „Delikt | |
| gegen das Leben“. | |
| Früher haben ungewollt Schwangere versucht, mit Kleiderbügeln, Stricknadeln | |
| und Fahrradspeichen den Fötus aus ihrem Bauch zu kratzen. Sie haben | |
| Seifenlauge, Bleichmittel, Rohrreiniger getrunken. Frauen sind verblutet, | |
| erlitten Bauchfellentzündungen und Vergiftungen, sie sind gestorben, weil | |
| ihnen verboten war, über ihren Körper selbst zu bestimmen. | |
| In einigen Teilen der Welt passiert das noch immer. In Deutschland hat sich | |
| die Lage seit der ersten Reform in Westdeutschland in den 1970ern zwar | |
| verbessert – doch steht auch hier ein Gesetz im Strafgesetzbuch, das quer | |
| zur gesellschaftlichen Wirklichkeit vieler Frauen steht, das im Grunde | |
| sagt: Wenn du schwanger bist, musst du das Kind bekommen. | |
| 1975 stimmte der Bundestag [1][für eine Fristenlösung], wie es sie in der | |
| DDR 20 Jahre lang gab. Nach der durften Frauen in den ersten zwölf Wochen | |
| der Schwangerschaft legal abtreiben. Das Bundesverfassungsgericht urteilte, | |
| dies sei verfassungswidrig. Das „ungeborene Leben“ habe Vorrang, auch vor | |
| dem Selbstbestimmungsrecht der Schwangeren. 1976 verabschiedete der | |
| Bundestag ein Indikationsmodell, ein Abbruch war demnach unter vier | |
| Bedingungen legal: der kriminologischen, also nach einer Vergewaltigung, | |
| der embryopathischen, wenn der Fötus eine Beeinträchtigung hat, einer | |
| medizinischen, wenn die Gesundheit der Schwangeren in Gefahr ist oder der | |
| Notlagenindikation, wenn eine soziale Notlage vorlag. | |
| ## Die Kritik wird lauter | |
| Nach der Wiedervereinigung und dem erneuten Abschmettern der | |
| Fristenregelung durch das Bundesverfassungsgericht 1993 stimmte der | |
| Bundestag 1995 in nicht parteigebundener Abstimmung für die sogenannte | |
| Beratungsregelung. Danach sind Schwangerschaftsabbrüche noch immer | |
| rechtswidrig, sie können mit einer Geld- oder einer Freiheitsstrafe von bis | |
| zu drei Jahren belangt werden. Doch die Abbrüche bleiben straffrei, wenn | |
| die ungewollt schwangere Person die Abtreibung in den ersten zwölf Wochen | |
| nach der Empfängnis von einem Arzt vornehmen, wenn sie sich beraten und | |
| eine dreitägige Bedenkzeit verstreichen lässt. | |
| Die kriminologische und die medizinische Indikation blieben bestehen. Die | |
| Notlagenindikation fiel weg, da sie als nicht mehr nötig angesehen wurde, | |
| die embryopathische Indikation wurde auf Druck von Kirchen und | |
| Behindertenverbänden gestrichen. Sie argumentierten, dass eine Erlaubnis | |
| zum Abbruch nur aufgrund einer Behinderung des Fötus diskriminierend sei. | |
| Die aktuelle Regelung gilt als hart errungener Kompromiss, sie sei die am | |
| wenigsten schlechte Lösung – und dürfe deshalb nicht wieder infrage | |
| gestellt werden. So haben sogar Feministinnen lange argumentiert, doch die | |
| Kritik wird immer lauter. So befand der UN-Frauenrechtsausschuss Cedaw, der | |
| die Umsetzung der UN-Frauenrechtskonvention überwacht, zuletzt 2017, weder | |
| die verpflichtende Beratung noch die dreitägige Bedenkzeit zwischen | |
| Beratung und Eingriff entsprächen dem Recht auf Zugang zu sicheren und | |
| diskriminierungsfreien Schwangerschaftsabbrüchen. | |
| ## Die negativen Folgen sind zahlreich | |
| Der Staat muss eine ausreichende Versorgung an Möglichkeiten zum | |
| Schwangerschaftsabbruch gewährleisten, so sieht es auch das | |
| Schwangerschaftskonfliktgesetz vor. Doch die Stigmatisierung durch das | |
| Strafrecht führt dazu, dass immer weniger Ärzt:innen in Deutschland | |
| Abbrüche durchführen und ungewollt Schwangere in einigen Teilen | |
| Deutschlands weit fahren müssen, um eine Abtreibung zu bekommen. | |
| Abtreibungsgegner:innen fühlen sich indes mit ihren Anfeindungen | |
| gegen Ärzt:innen und ungewollt Schwangere im Recht. | |
| Abtreibungen werden weder in der medizinischen Grundausbildung noch in der | |
| gynäkologischen Weiterbildung gelehrt, und Ärzt:innen wie Kristina Hänel | |
| werden nach Paragraf 219 a, der „Werbung“ für Abtreibungen verbietet, mit | |
| Klagen überzogen, wenn sie nur sachlich darüber informieren. | |
| [2][Die negativen Folgen des Paragrafen 218] sind so zahlreich und | |
| unübersehbar, dass sich 150 Jahre nach seiner Einführung die Frage | |
| aufdrängt: Wenn wir den leidigen Paragrafen abschaffen, was kommt dann? Wie | |
| können Schwangerschaftsabbrüche anders geregelt werden als über das | |
| Strafgesetzbuch? | |
| Um darauf eine Antwort zu finden, haben wir uns den Paragrafen genau | |
| angeguckt und seine verschiedenen Abschnitte mit Ulrike Lembke besprochen. | |
| Die 43-Jährige ist Professorin für Öffentliches Recht an der | |
| Humboldt-Universität Berlin. Wir wollten von ihr wissen, welche unserer | |
| Überlegungen juristisch umsetzbar wären, was ganz weg kann und was anders | |
| geregelt werden müsste. Für die Rolle von Ärzt:innen haben wir die | |
| Bundesärztekammer um eine Einschätzung gebeten, und wir haben mit Elke | |
| Hannack vom CDU-Bundesvorstand gesprochen. Wie offen ist ihre Partei, über | |
| das Thema Schwangerschaftsabbrüche erneut zu streiten? | |
| ## Austragungspflicht verstößt gegen die Menschenwürde | |
| Nicht alles am Paragraf 218 ist schlecht und überflüssig. So droht er auch | |
| jedem, der eine Schwangerschaft gegen den Willen der Schwangeren abbricht, | |
| etwa durch Abtreibungspillen im Essen oder mit psychischer Gewalt, Strafe | |
| an. Ulrike Lembke hält es für selbstverständlich, dass der Abbruch gegen | |
| den Willen der Schwangeren, sei er absichtlich, billigend oder grob | |
| fahrlässig, im Strafgesetzbuch bleibt, allerdings nicht im Abschnitt zu den | |
| Tötungsdelikten. Sinnvoller sei er im Bereich der schweren Körperverletzung | |
| oder der Straftaten gegen die Familie. | |
| Wenn aber der ungewollte Abbruch einer Schwangerschaft eine schwere | |
| Körperverletzung darstellt, dann müsste es die ungewollte Fortführung doch | |
| auch sein? Das wäre allerdings eine grundlegend andere Annahme als die | |
| heutige. | |
| Lembke erläutert, dass das Bundesverfassungsgericht unter Berufung auf das | |
| Grundgesetz eine Schutzpflicht des Staates für Leben und Gesundheit | |
| festgesetzt habe. So könne der Staat etwa Kinder zu ihrem eigenen Schutz | |
| von den Eltern trennen und zum Beispiel durch Angehörige oder Pflegeeltern | |
| versorgen lassen. Zum Schwangerschaftsabbruch passe das jedoch nicht, Fötus | |
| und Schwangere ließen sich schließlich nicht einfach trennen. | |
| Dieses Problem hat das Gericht mit der Austragungspflicht für die | |
| Schwangere zu umgehen versucht, dabei jedoch einen „Denkfehler“ gemacht, | |
| wie Lembke es nennt. Es habe „abstrakt das fötale Leben gegen die | |
| Selbstbestimmung der Schwangeren“ gestellt. Stattdessen hätte es die | |
| Verfassungsmäßigkeit der Austragungspflicht prüfen und deren absolute | |
| Unverhältnismäßigkeit feststellen müssen: „Niemand hat ein Leistungsrecht | |
| am Körper eines anderen Menschen, auch der Fötus nicht.“ Zum Beispiel wäre | |
| selbst bei Lebensgefahr eine per Zwang durchgesetzte Blut- oder Organspende | |
| für Angehörige in Deutschland undenkbar. | |
| ## Ein dickes Problem | |
| Die Austragungspflicht verstoße schlicht gegen die Menschenwürde, führt die | |
| Juristin weiter aus. Der Staat mache die Schwangere zum Objekt, um seine | |
| Schutzpflicht zu erfüllen. In einer Rechtsordnung, welche die Würde, | |
| Integrität und Autonomie auch von Frauen garantiert, sind die derzeit | |
| geltenden Paragrafen 218 ff. nicht mit der Verfassung vereinbar. | |
| Heißt also: Nur der Abbruch gegen den Willen der Schwangeren bliebe im | |
| Strafgesetzbuch, der Rest vom § 218 würde gestrichen. Dann könnten doch | |
| auch die sich anschließenden Paragrafen 218 a und 218 b gestrichen werden, | |
| da sie die Bedingungen zur Straflosigkeit und Indikationsfeststellung | |
| regeln, die es nicht mehr bräuchte – oder? | |
| Im Prinzip ja. Solange man nicht glaubt, man habe damit alle Probleme | |
| erledigt. Denn in der medizinischen Indikation (§ 218 a (2)) verbirgt sich | |
| ein dickes Problem, über das die Pro-Choice-Bewegung nicht gern spricht und | |
| das sich auch mit der Abschaffung des Paragrafen nicht von selbst erledigen | |
| würde. Als die embryopathische Indikation 1995 gestrichen wurde, ging ein | |
| Teil der Behindertenbewegung davon aus, dass sich so eine als | |
| diskriminierend empfundene Praxis einschränken ließe, nämlich die | |
| Abtreibung behinderter Föten nur aufgrund dieser Eigenschaft, eben | |
| behindert zu sein. | |
| Dies war jedoch nicht der Fall. Seitdem können Schwangerschaften weiterhin | |
| legal abgebrochen werden, wenn angenommen wird, dass eine Behinderung des | |
| Fötus die Schwangere unzumutbar belasten würde. Dann greift die | |
| medizinische Indikation. Die Abschaffung der embryopathischen Indikation | |
| hat das Problem also nur verschoben. Das Problem ist nämlich nicht die | |
| Abtreibung, sondern die Annahme einer überdurchschnittlichen Belastung. | |
| ## Verinnerlichte Behindertenfeindlichkeit | |
| Von dieser Annahme gehen auch Feministinnen oft aus. Auch wenn sie meist | |
| auf die tatsächlich zu geringen Ressourcen und Hilfsmittel verweisen, um | |
| diese Annahme zu begründen, setzt sich die Bewegung zu wenig mit den | |
| eigenen Ängsten vor Schwäche und Abhängigkeit und der eigenen | |
| verinnerlichten Behindertenfeindlichkeit auseinander, die das Leben mit | |
| einem behinderten Kind als unzumutbar erscheinen lassen. | |
| Ärzt:innen nehmen relativ schnell an, dass das Leben mit einem | |
| behinderten Kind eine nicht zumutbare Belastung darstellt. Wenn die | |
| Schwangere selbst psychische Probleme hat, depressiv ist oder suizidal, | |
| gehen sie dagegen eher davon aus, dass sich dies auch anders als durch | |
| einen Abbruch lösen lässt. Diese Ungleichbehandlung ist eine Folge des | |
| Frauenbildes und der verbreiteten Vorstellungen über Behinderung. Das kann | |
| nicht allein durch eine Abschaffung des Paragrafen 218 gelöst werden. | |
| Zusätzlich sollte das Leben mit behinderten Kindern erleichtert und | |
| behindertenfeindliche Vorurteile bekämpft werden. | |
| Die Verlagerung in die medizinische Indikation hat auch dafür gesorgt, dass | |
| solche Abbrüche nun bis zum Eintritt der Wehen möglich sind, da die | |
| medizinische Indikation keine Frist hat. Der Zeitpunkt, zu dem ein zu früh | |
| geborenes Kind außerhalb des Uterus lebensfähig ist, rückt aufgrund des | |
| medizinischen Fortschritts immer weiter nach vorne, zurzeit ist dies ab der | |
| 22. Schwangerschaftswoche möglich. Das gilt aber auch für | |
| Schwangerschaftsabbrüche, die in Deutschland ab der 16. | |
| Schwangerschaftswoche als eingeleitete Geburten vorgenommen werden. „Die | |
| Problematik der sogenannten Spätabbrüche ist tatsächlich die schwierigste | |
| juristische und medizin-ethische Frage in diesem Komplex“, sagt Lembke. | |
| Dass kein Mensch ein Leistungsrecht am Körper eines anderen hat, bedeute | |
| nämlich auch, dass [3][die Strafbarkeit des Schwangerschaftsabbruchs] nur | |
| für den Zeitraum absolut ausgeschlossen sei, in dem der Fötus außerhalb der | |
| Gebärmutter nicht lebensfähig ist. Das wirft die Frage auf, ob es nicht | |
| doch eine Regelung geben sollte, die zwischen Abbrüchen im Frühstadium und | |
| Spätabbrüchen unterscheidet. „Es braucht eine echte Neuregelung, die alle | |
| sozialen, medizinischen, ethischen und rechtlichen Aspekte zusammenbringt“, | |
| sagt Lembke, „dazu fehlt es aber noch an ernsthaften interdisziplinären | |
| Verständigungen.“ | |
| ## Sinnvoller ohne den Strafparagrafen | |
| Als ärztliche Tätigkeit und nicht unter Strafandrohung könnte die bisher im | |
| Paragraf 218 c geregelte Verletzung der ärztlichen Sorgfaltspflicht neu | |
| geordnet werden. Eine solche liegt vor, wenn ein Arzt eine schwangere | |
| Person unzureichend berät, sie nicht über den Ablauf, die Folgen, die | |
| Risiken des Schwangerschaftsabbruchs aufklärt. In der Musterberufsordnung | |
| der Bundesärztekammer, die die für jede:n Ärzt:in geltenden Pflichten | |
| gegenüber Patient:innen regelt, findet sich dazu schon einiges. | |
| Wir fragen bei der Bundesärztekammer in Berlin nach. Pressesprecher Samir | |
| Rabbata verweist auf die „seit Jahrzehnten“ andauernde „politische | |
| Diskussion“ und die „Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts“. Eine | |
| solche „wesentliche Fragestellung“ könne „nicht in den Berufsordnungen d… | |
| Landesärztekammer geregelt werden“. Ganz ausschließen will er eine solche | |
| Regelung über die Standesgesetze statt über das Strafgesetz jedoch nicht. | |
| „Wenn man das befürwortet“, schreibt er, müssten Änderungen „in den | |
| Heilberufe- und Kammergesetzen der 16 Bundesländer getroffen werden.“ Diese | |
| Gesetze fungieren als Grundlage für die Berufsordnungen – und sie zu | |
| ändern, ist möglich. | |
| Die Beratungspflicht vor einem Abbruch ist im Paragraf 219 Strafgesetzbuch | |
| geregelt und im Schwangerschaftskonfliktgesetz präzisiert, deren | |
| Formulierungen widersprechen sich allerdings. Während es im Strafgesetzbuch | |
| heißt, die „Beratung dient dem Schutz des ungeborenen Lebens“ und solle | |
| „die Frau zur Fortsetzung der Schwangerschaft ermutigen“, hält das | |
| Schwangerschaftskonfliktgesetz fest, die Beratung sei „ergebnisoffen zu | |
| führen“ und gehe „von der Verantwortung der Frau aus“. Da Beratung nur a… | |
| freiwilliger Basis wirkt, könnte das Schwangerschaftskonfliktgesetz sogar | |
| sinnvoller ohne den Strafparagrafen funktionieren. | |
| ## Große Hilfe für Beratungsstellen | |
| Eine Streichung des Paragrafen wäre auch eine große Hilfe für | |
| Beratungsstellen. Praxen, in denen Schwangerschaftsabbrüche durchgeführt | |
| werden, und Beratungsstellen sind häufig Ziel von „Mahnwachen“ und | |
| „Gehsteigberatungen“ von Abtreibungsgegner:innen. Obwohl der Staat | |
| verpflichtet ist, den Zugang zu garantieren, werden solche Aktionen selten | |
| verboten. Flächendeckende Schutzzonen einzurichten, hält Ulrike Lembke | |
| jedoch nicht für realistisch, schließlich seien die jeweiligen örtlichen | |
| Verhältnisse unterschiedlich und die Versammlungsfreiheit ein hohes Gut. | |
| Wenn Schwangerschaftsabbrüche als Gesundheitsleistungen anerkannt würden, | |
| könnten solche Gehsteigbelästigungen als Ordnungswidrigkeit gefasst werden, | |
| meint die Juristin. | |
| Der Paragraf 219 a hat es 2017 mit dem Fall der Allgemeinmedizinerin | |
| Kristina Hänel zu bundesweiter Bekanntheit gebracht. | |
| Abtreibungsgegner:innen nutzen das „Werbeverbot“, um Ärzt:innen | |
| anzuzeigen, auch wenn sie nur sachlich über Schwangerschaftsabbrüche | |
| informieren. | |
| Anfang 2019 einigte sich die Große Koalition auf einen Kompromiss: Demnach | |
| dürfen Ärzt:innen und Einrichtungen jetzt zwar angeben, dass sie | |
| Schwangerschaftsabbrüche durchführen – mehr aber nicht. Genauere | |
| Informationen, etwa zu den verschiedenen Methoden des Eingriffs, dürfen nur | |
| die bereitstellen, die ihn nicht selbst vornehmen. Deshalb musste Hänel | |
| Ende Januar die Information auf ihrer Webseite löschen, um nicht finanziell | |
| ruiniert zu werden. Gleichzeitig hat sie Klage beim | |
| Bundesverfassungsgericht eingereicht. | |
| ## Es braucht ein Gesetz mit dem Recht auf Abbruch | |
| Kein anderes Land hat einen solchen Paragrafen im Strafgesetzbuch. | |
| „Berufswidrige Werbung“ verbieten die Berufsordnungen der | |
| Bundesärztekammern ohnehin, sie würden auch im Falle von „anstößiger“ | |
| Werbung für Schwangerschaftsabbrüche greifen. Die ersatzlose Streichung | |
| wäre das einzig richtige, um ungewollt Schwangere und Ärzt:innen vor | |
| Diffamierungskampagnen zu schützen. | |
| Fassen wir zusammen: Der Schwangerschaftsabbruch wäre als Frage | |
| reproduktiver Gesundheit in den entsprechenden Gesetzen und Verordnungen zu | |
| regeln. Im Sozialgesetzbuch sollte festgelegt werden, dass der Abbruch von | |
| einer:m Ärzt:in durchgeführt, die Kosten übernommen und wie die Nachsorge | |
| gestaltet werden solle. In den ärztlichen Berufsordnungen könnten die | |
| Qualitätsstandards, die Durchführung, das Verbot der Werbung sowie der | |
| Bereich der ärztlichen Ausbildung geregelt werden. | |
| Darüber hinaus braucht es ein Gesetz zur Förderung der reproduktiven | |
| Gesundheit. Es sollte explizit ein Recht auf Schwangerschaftsabbruch | |
| enthalten. Das Gesetz müsste auch ein kostenloses Beratungsangebot | |
| garantieren, zu Familienplanung, Sexualität und Schwangerschaftskonflikten. | |
| Die Finanzierung könnte dann anders gelöst werden. Dadurch, dass Abbrüche | |
| bislang nicht legal sind, sondern nur von der Strafverfolgung ausgenommen | |
| werden, werden sie nicht von den Krankenkassen übernommen. Menschen mit | |
| wenig Geld können eine Kostenübernahme beantragen. Wenn | |
| Schwangerschaftsabbrüche aber nicht mehr im Strafgesetzbuch stünden, könnte | |
| der Abbruch zur Gesundheitsleistung werden. | |
| ## Politischer Wille gesucht | |
| Ohne eine Neuregelung der Paragrafen 218 und 219, ohne dass der | |
| Schwangerschaftsabbruch als medizinische Leistung behandelt wird, wird die | |
| schon jetzt unzureichende Gesundheitsversorgung von ungewollt Schwangeren | |
| immer schlechter, manche Ärzt:innen sprechen von einer Katastrophe, auf | |
| die Deutschland zusteuere. | |
| Für Veränderungen aber braucht es politischen Willen. Ohne Stimmen aus der | |
| Union wäre eine Veränderung im Moment und wahrscheinlich auch über die | |
| Bundestagswahl im September hinaus nicht möglich. Ob es SPD, Grüne, | |
| Linkspartei und FDP gelingen würde, sich für eine Gesetzesänderung | |
| zusammenzuschließen, ist fraglich. Bei der Debatte um den § 219a sprang die | |
| SPD ab. Und es steht zu befürchten, dass auch bei jedem künftigen | |
| Koalitionspartner die reproduktiven Rechte schnell zur Verhandlungsmasse in | |
| Koalitionsgesprächen würden. | |
| Als der Bundestag 1993 für eine Fristenlösung votierte, stimmten auch 32 | |
| Unionsabgeordnete dafür. Wer würde heute dafür stimmen, über | |
| Schwangerschaftsabbrüche allein die schwangere Person entscheiden zu | |
| lassen? Ein paar Namen aus der Unionsfraktion fallen, als wir uns umhören, | |
| häufiger, mit uns reden möchte niemand. | |
| Sofort zum Gespräch bereit erklärt sich Elke Hannack, sie ist Vizechefin | |
| des Deutschen Gewerkschaftsbundes und Mitglied des CDU-Bundesvorstands, | |
| sitzt aber nicht im Parlament. Schon in der Debatte um den Paragrafen 219 a | |
| positionierte sich der DGB eindeutig für seine Abschaffung. Hannack sagt: | |
| „Die Prozesse gegen Kristina Hänel und andere Ärztinnen waren das | |
| Schlimmste, was ich in den letzten Jahrzehnten in Deutschland zu diesem | |
| Thema erlebt habe.“ | |
| ## Eine juristische Debatte findet nicht statt | |
| Beim Paragraf 218 wird sie ein wenig vorsichtiger, doch ihre Stimme bleibt | |
| ruhig: „Bei der Abwägung für oder gegen einen Abbruch sollte immer“, und | |
| das Wort wiederholt sie, „immer das Selbstbestimmungsrecht der Frau im | |
| Vordergrund stehen.“ Sie will die Zwangsberatung abschaffen und den | |
| Paragraf 218 aus dem Strafgesetzbuch nehmen. Stattdessen sollten Regelungen | |
| zum Schwangerschaftsabbruch da verankert sein, „wo sie hingehören“, etwa im | |
| Schwangerschaftskonfliktgesetz. Sie findet diese Alternative wichtig, auch | |
| weil sie glaubt, „fordern wir eine generelle Abschaffung, dauert das noch | |
| 50 Jahre“. | |
| Wie sieht sie die Chancen dafür in ihrer Partei? „Die Abstimmungen, die wir | |
| zu dem Thema in der Partei hatten, sind immer fast 50:50 ausgegangen, mit | |
| einer leichten Tendenz für den sogenannten Lebensschutz. Aber die CDU ist | |
| da nicht eindeutig. Ich weiß, dass es Kolleginnen und Kollegen in der | |
| Fraktion gibt, die denken wie ich.“ | |
| Doch kehren wir noch einmal zum Juristischen zurück. Denn zweimal hatte der | |
| Bundestag in der Vergangenheit ja für eine Fristenlösung votiert, das | |
| Bundesverfassungsgericht jedoch anders entschieden. Wir fragen in Karlsruhe | |
| nach. Dort scheint man zunächst unentschlossen, ob man mit uns sprechen | |
| soll, dann erhalten wir eine Absage – auch wegen des anhängigen Verfahrens | |
| von Kristina Hänel. | |
| ## Von Menschen gemacht | |
| Ulrike Lembke sagt: „Wie das Bundesverfassungsgericht heute entscheiden | |
| würde, weiß niemand.“ Wenig ermutigend sei die Entscheidung von 1993, mit | |
| welcher der parlamentarische Kompromiss von 1992 gekippt worden sei. Vor | |
| allem aber fehle es weiterhin an juristischer Literatur, welche eine andere | |
| Position zur Austragungspflicht vertrete, eine echte juristische Debatte | |
| finde nicht statt. | |
| Im Fall Hänel wird das Bundesverfassungsgericht entscheiden müssen. „Dann | |
| kann es auch allgemeine Anmerkungen zum Schwangerschaftsabbruch machen, | |
| wenn es das möchte“, sagt Lembke, und so die juristische Debatte | |
| weiterbringen. Diese sei lange von einer sehr konservativen | |
| Professorenschaft geführt worden, die explizit gegen Abtreibungen war. Beim | |
| letzten Höhepunkt der Debatte Anfang der 1990er seien zwei Prozent der | |
| Juraprofessuren von Frauen besetzt gewesen, heute sind es 16 Prozent. | |
| Sicher ist: Der § 218 ist nicht in Stein gemeißelt, er ist von Menschen | |
| gemacht und verteidigt worden, andere Menschen können ihn ändern. Ideen | |
| dazu gibt es. | |
| 8 Mar 2021 | |
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| Kirsten Achtelik | |
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