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# taz.de -- Arzneimittel Cytotec: Vorsicht oder Überreaktion?
> Das Bundesinstitut für Arzneimittel will den Vertrieb des Medikaments
> Cytotec stoppen. Verbände halten dagegen: Es helfe Frauen bei Abbrüchen.
Bild: Wird seit 2006 in Deutschland in der Geburtshilfe und Gynäkologie einges…
Berlin taz | Wichtige Fachgesellschaften und Verbände schlagen Alarm, weil
das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) den
Vertrieb des Medikaments Cytotec in Deutschland stoppen will, das in der
Geburtshilfe und Gynäkologie eingesetzt wird. Ihre Befürchtung: Die
medizinische Versorgung von Frauen werde schlechter, die Betreuung von
Frauen in Notsituationen gefährdet – insbesondere in solchen Situationen,
die „tabuisiert seien“, also bei Schwangerschaftsabbrüchen und
Fehlgeburten.
In einem [1][offenen Brief] an Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) und das
Bundesinstitut schreiben die Gesellschaften, es sei für „Deutschland nicht
tragbar“, den Zugang zu einem „essentiellen“ Standardmedikament in der
Gynäkologie und Geburtshilfe zu erschweren.
Cytotec mit dem Wirkstoff Misoprostol war in Deutschland bis 2006 zur
Behandlung von Magenschleimhautentzündung zugelassen. Danach wurde es aber
weiter importiert und auch außerhalb der abgelaufenen Zulassung im
sogenannten Off-Label-Use vor allem in der Gynäkologie und Geburtshilfe
eingesetzt. Vergangenes Jahr war das Medikament in die Schlagzeilen
geraten, weil sich Meldungen über schwere Nebenwirkungen bei der
Geburtseinleitung gehäuft hatten.
## „Wehenstürme“ durch Cytotec
BuzzFeedNews und der Bayerische Rundfunk hatten [2][über Fälle berichtet],
in denen Frauen nach der Einnahme von Cytotec sogenannte Wehenstürme
erlitten hatten. In einzelnen Fällen kamen Kinder unter Sauerstoffmangel
zur Welt, was mit Cytotec zusammenhängen könnte. Nach Gesprächen mit dem
Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte hatten die drei
Pharmakonzerne, die Cytotec importieren, Anfang des Monats mitgeteilt, das
Medikament in Deutschland nicht mehr zu verkaufen.
16 Fachgesellschaften, darunter die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie
und Geburtshilfe (DGGG), die Deutsche Gesellschaft für Familienplanung und
Sexualpädagogik Pro Familia, der Berufsverband der Frauenärzte, der
Deutsche Hebammenverband, Doctors for Choice und der Arbeitskreis
Frauengesundheit warnen nun vor Versorgungslücken sowohl in der klinischen
Geburtsthilfe als auch bei niedergelassenen Frauenärzt:innen.
Denn jenseits der Geburtseinleitung wird das Medikament, das zu
Kontraktionen der Gebärmutter führt und dazu, dass das Gewebe weicher wird,
unter anderem beim Einsetzen der Spirale verwendet, bei postpartalen
Blutungen, bei Fehlgeburten sowie bei medikamentösen
Schwangerschaftsabbrüchen, bei denen es internationale Leitlinien für die
empfohlene Dosierung gibt. Eine generelle „Erschwerung des Zugangs zu
Cytotec“, so die Gesellschaften, sei deshalb die „falsche Konsequenz“.
## Medikamentöse Schwangerschaftsabbrüche
Die Möglichkeit, sich für den medikamentösen Schwangerschaftsabbruch zu
entscheiden, gebe es nur, wenn der in Cytotec enthaltene Wirkstoff
Misoprostol zur Verfügung stehe, heißt es in dem Brief. Rund 30.000 Frauen
wählen diese Methode hierzulande jährlich, sie ist deutlich schonender als
der operative Eingriff. Alternativ zu Cytotec seien nur zwei Präparate auf
dem Markt, die aber „keine ausreichende Alternative“ böten.
Eine formale Zulassung von Cytotec für den deutschen Markt werde der
Hersteller vermutlich nicht beantragen. Er habe auch gar keinen Anreiz, so
die Fachgesellschaften: Das sei teuer und das Medikament werde ja bereits
weltweit benutzt.
Die Weltgesundheitsorganisation WHO setzte den Wirkstoff Misoprostol schon
vor Jahren auf die Liste der effektivsten und sichersten Medikamente, die
die wichtigsten Bedürfnisse innerhalb eines Gesundheitssystems bedienen
können. Frauenärzt:innen zufolge war das Medikament in der
Geburtseinleitung zum Teil offenbar zu hoch dosiert worden.
## Auch Aspirin kann zu hoch dosiert werden
Allerdings könne man jedes Medikament falsch dosieren, sagte der Gynäkologe
Ulrich Pape der taz, auch Aspirin. Der faktische Importstop, so Pape, sei
eine „Überreaktion und ein Skandal“. Sollte Cytotec in Deutschland künftig
nicht mehr bezogen werden können, sei das für den medikamentösen
Schwangerschaftsabbruch ein „Riesenrückschritt“.
Eine Sprecherin des BfArM bestätigte der taz, dass das Institut vor dem
Hintergrund „unsachgemäßer Anwendung“ und möglichem schwerwiegenden Risi…
bei der Geburtsteinleitung „eines dafür nicht zugelassenen Arzneimittels“
auf einen schnellen Vertriebsstop dieses Mittels hingewirkt habe. Das
Institut, so die Sprecherin, bevorzuge „eindeutig den Einsatz von
zugelassenen Arzneimitteln gemäß ihrer jeweiligen Zulassungsbedingungen“,
also den sogenannten In-Label-Use. Nach den Gesprächen mit den Importeuren
sei beabsichtigt, „nur noch bereits georderte oder freigegebene Ware“ in
den Verkehr zu bringen.
„Es ist richtig, dass die Anwendung von Cytotec in der Geburtshilfe einer
kritischen Überprüfung unterzogen wird“, sagte die frauenpolitische
Sprecherin der Linksfraktion und stellvertretende Fraktionschefin, Cornelia
Möhring. Verschiedene Stellungnahmen aber betonten, dass Komplikationen
unter der Geburt vor allem durch falsche Anwendung entstünden.
## Positive Erfahrungen bei Abbrüchen
Im Bereich des medikamentösen Schwangerschaftsabbruchs hingegen gebe es
überwiegend positive Erfahrungen. Sie erwarte von Gesundheitsminister Jens
Spahn, so Möhring, dass er sich um ein „differenziertes Bild“ bemühe und
entsprechende Schritte einleite. „Abbrüche müssen weiterhin auch
medikamentös möglich sein.“
18 Apr 2021
## LINKS
[1] https://doctorsforchoice.de/wp-content/uploads/2021/04/Offener-Brief-Cytote…
[2] https://www.buzzfeed.de/recherchen/riskante-dosis-90134031.html
## AUTOREN
Patricia Hecht
## TAGS
Schwerpunkt Abtreibung
Gesundheit
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Kolumne Krank und Schein
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Bremen
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