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# taz.de -- Linken-Politikerin über Selbstbestimmung: „Die Austragungspflich…
> Reproduktive Gerechtigkeit fordert die frauenpolitische Sprecherin der
> Linksfraktion, Cornelia Möhring. Dabei geht es auch um künstliche
> Befruchtung.
Bild: Cornelia Möhring, frauenpolitische Sprecherin der Linksfraktion
taz am wochenende: Frau Möhring, Sie haben diese Woche einen Antrag im
Bundestag eingebracht, in dem Sie die Bundesregierung auffordern,
[1][reproduktive Gerechtigkeit] zum Regierungsziel zu erklären. Was heißt
das?
Cornelia Möhring: Das bedeutet die gesetzliche Verankerung eines
Dreiklangs: Wir fordern erstens das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung
aller Menschen. Zweitens das Recht, dass jede Person selbst entscheiden
kann, ob sie ein Kind bekommt oder nicht. Und drittens das Recht auf ein
gutes und sicheres Leben mit Kindern.
Warum dieser Dreiklang?
Reproduktive Gerechtigkeit umfasst ein materiell abgesichertes Leben in
Würde und Sicherheit mit Kindern, die willkommen sind. Momentan wird dieses
Modell eingeschränkt: durch das Strafgesetzbuch zum Beispiel, das den
Schwangerschaftsabbruch verbietet. Oder dadurch, dass Verhütungsmittel
nicht kostenfrei sind. Die Entscheidung für oder gegen Kinder wird auch
davon geprägt, ob ich sie mir leisten kann, weshalb auch der soziale Aspekt
wichtig ist.
Inwiefern?
Letztlich hat selbst der soziale Wohnungsbau mit reproduktiver
Gerechtigkeit zu tun, denn natürlich schränken beengte Wohnverhältnisse die
Entscheidungsfreiheit in Bezug auf die Familienplanung ein.
Was versprechen Sie sich davon, all diese Aspekte zu verknüpfen?
Diese Aspekte sind verknüpft – sie werden nur nicht so diskutiert. Mit dem
Konzept von reproduktiver Gerechtigkeit docken wir an feministische
Bewegungen an, die kritisiert haben, dass es nicht nur um Abwehrkämpfe
gegen Schwangerschaftsabbrüche gehen darf. Dabei werden Menschen übersehen,
die in ihrem Recht eingeschränkt werden, mit Kindern leben zu wollen. Wir
wollen keine strafrechtliche, sondern eine menschenrechtsgeleitete
Herangehensweise an Frauengesundheit.
Eine ganzheitliche Perspektive?
Ja, und eine demokratische. Die umfasst dann zum Beispiel, dass Verhütung
und Notfallkontrazeptiva kostenlos sind. Die Kosten für künstliche
Befruchtung, wo Singlefrauen oder gleichgeschlechtliche Paare bisher
ausgenommen sind, sollen für alle übernommen werden. Menschen mit
Behinderung müssen das Recht auf Elternschaft haben. Es ist unvorstellbar,
aber da gibt es immer noch Zwangssterilisationen.
Wo bleibt die Geburtshilfe? Gehört ein guter Hebammenschlüssel nicht auch
zu reproduktiven Rechten?
Doch, Vor- und Nachsorge, die Geburtshilfe selbst und eine gute Betreuung
von Frühgeburten gehören dazu. Aber der Antrag wäre zu groß geworden, wenn
wir diesen Bereich explizit aufgenommen hätten. Uns ist die fortlaufende
Debatte wichtig, deshalb haben wir eine Hintertür eingebaut: Wir fordern
eine unabhängige Sachverständigenkommission, die genau erarbeiten soll,
welche gesellschaftlichen und rechtlichen Hürden es auf dem Weg zu
reproduktiver Gerechtigkeit hierzulande gibt. Die Geburtshilfe rückt
sozusagen nach.
Wie wollen Sie mit [2][Schwangerschaftsabbrüchen] umgehen?
Die müssen natürlich legalisiert werden, die Austragungspflicht muss
abgeschafft werden. Abbrüche und deren Nachsorge sollen Teil der
Gesundheitsversorgung sein. Es soll das Recht auf umfassende Beratung im
Schwangerschaftskonfliktfall geben, aber keine Pflicht mehr.
Soll es einen Ersatz für die [3][Paragrafen 218] und [4][219] geben, die
unter der Überschrift „Straftaten gegen das Leben“ den
Schwangerschaftsabbruch und Informationen darüber regeln?
Nein. Wir wollen das Recht auf selbstbestimmte Schwangerschaft verankern.
Wir schlagen auch keine Frist vor. Wir wissen aus Kanada, wo Abbrüche seit
30 Jahren legal sind, dass die weitaus meisten Abbrüche in den ersten zwölf
Wochen vorgenommen werden. Spätabbrüche werden ohne zwingende medizinische
Gründe nicht in Anspruch genommen.
Als zuletzt die Jusos die vollständige Legalisierung von Abbrüchen
forderten, kochte die Debatte sofort hoch.
Ja, die AfD hatte absolut irre Zerstückelungsfantasien von Föten. Unsere
Position ist: Wenn für reproduktive Gerechtigkeit gesorgt ist und eine
Schwangere unabhängig von materiellen Zwängen entscheiden kann, ob sie die
Schwangerschaft austragen will oder nicht – warum sollte ein Abbruch im
fünften Monate überhaupt nötig sein? Solche Situationen sind völlig an den
Haaren herbeigezogen. Wir müssen uns von der Frage lösen, wann genau
menschliches Leben vor der Geburt beginnt.
Geht es nicht konkret um diese Frage?
Nein, das ist willkürlich. Die katholische Kirche hat das Leben von
männlichen Föten auch schon mal lange vor dem Leben weiblicher Föten
beginnen lassen. Die Frage, wann aus einer Schwangerschaft menschliches
Leben wird, kann weder religiös noch medizinisch definiert werden. Eine
Frau, die ein Kind will, hat vom Tag der Empfängnis an ein potenzielles
Kind im Bauch. Einen ungewollten Abgang erlebt sie als Fehlgeburt.
Und eine Frau, die kein Kind will?
Die erlebt das als einen Zustand ihres Körpers, den sie nicht will. Wenn
sie einen Abgang herbeiführt, erlebt sie ihn als Beendigung eines nicht
gewollten Zustands ihres Körpers. Der Ausgangspunkt feministischen Handelns
muss an dieser Stelle empathisch sein. Die Frage, wann menschliches Leben
beginnt, beginnt mit der Entscheidung der schwangeren Person und ist nicht
für alle gleichzusetzen.
Sie haben Ihren Antrag „Für das Leben“ genannt. Üblicherweise nutzen dies…
Claim die sogenannten Lebensschützer:innen, die für ein Verbot von
Abbrüchen sind. Warum machen Sie das?
Um zu zeigen, dass „für das Leben“ ein universaler Anspruch ist: Es geht um
Selbstbestimmungsrechte sowie materielle, gesundheitliche und
menschenrechtliche Belange. Wir wollen klar machen, dass „für das Leben“
einen ganz, ganz anderen Inhalt hat als das, was sich die sogenannten
Lebensschützer:innen auf die Agenda schreiben. Sie behaupten, „für
das Leben“ zu sein, haben aber kein Problem damit, wenn Kinder in
europäischen Lagern von Ratten angefressen werden. „Für das Leben“ heißt
bei ihnen vor allem „gegen Selbstbestimmung“.
Wie soll das alles finanziert werden?
Reproduktive Gerechtigkeit setzt gesellschaftliche Veränderungen voraus. Zu
Ende gedacht ist das ein Milliardenprogramm, dessen Finanzierung nur durch
grundsätzliche Paradigmenwechsel möglich wäre: Umverteilung von Vermögen
etwa, Geld für das Leben statt für Aufrüstung und Militär. Allein die
Kosten für unseren Gesetzesvorschlag würde die Übernahme von
Schwangerschaftsabbrüchen, Verhütung, Kinderwunschbehandlung und Assistenz
zur Elternschaft beinhalten. Aber wenn reproduktive Gerechtigkeit
Regierungsziel ist, darf die Umsetzung keine Kostenfrage sein.
So ein Gesetz hat doch auf absehbare Zeit keine Chance.
Natürlich ist das immer eine Frage der Kräfteverhältnisse. Mit der Union
ist das nicht zu machen, aber wenn es zu anderen Mehrheiten käme, kann ich
mir so ein Gesetz mit Grünen, SPD und uns Linken sehr gut vorstellen.
8 Mar 2021
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## AUTOREN
Patricia Hecht
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